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- Die ich aber nicht annehme! rief Herr Felipe.

- Und die ich rundweg ausschlage!« secundierte ihm Herr Varinas.

Das Ergebniß der Vermittlung des Herrn Miguel in dieser hydrographischen Frage lief also darauf hinaus, daß jetzt drei, statt früher zwei Personen für den Guaviare, den Orinoco und den Atabapo eintraten. Der Streit dauerte noch eine volle Stunde an und würde vielleicht überhaupt niemals ein Ende gefunden haben, wenn nicht Felipe von der einen und Varinas von der andern Seite plötzlich gerufen hätten:

»Wohlan. so reisen wir zur Entscheidung selbst ab!.

- Abreisen? erwiderte Herr Miguel, der einen solchen Vorschlag kaum erwartet hätte.

- Ja ja! erklärte Herr Felipe. Brechen wir nach San-Fernando auf, und wenn ich Sie da nicht einwurfsfrei davon überzeuge, daß der Atabapo der Orinoco ist.

- Und ich, schnitt ihm Herr Varinas das Wort ab, Ihnen nicht haarklein beweise, daß der Guaviare den eigentlichen Orinoco darstellt.

- So wird es meine Aufgabe sein, schloß Herr Miguel, Sie zu der Anerkennung zu zwingen, daß nur der Orinoco in der That der Orinoco ist!«

Unter solchen Verhältnissen und in Folge des berichteten Wortgefechts beschlossen die drei Männer eine derartige Reise. Vielleicht wurde durch diese neue Expedition endlich der Lauf des venezuolanischen Stromes festgestellt, wenn das durch die letzten Forschungsreisen noch nicht endgiltig geschehen war.

Uebrigens handelte es sich nur darum, bis nach San-Fernando, an jene Stelle hinauszugehen, wo der Guaviare und der Atabapo ihre Gewässer, nur wenige Kilometer voneinander entfernt, in den Hauptstrom ergießen. Ließ es sich dort nachweisen, daß der eine und der andere nur Nebenflüsse waren und nichts anderes sein konnten, so mußte man wohl dem Orinoco die Rangstellung zusprechen, von der ihn minderwürdige Wasserläufe zu stürzen suchten.

Man braucht sich nicht darüber zu wundern, daß dieser im Laufe einer hitzigen Discussion aufgetauchte Entschluß sofort zur Ausführung kam, auch nicht über das Aufsehen, das er in der gelehrten Welt und unter den höheren Gesellschaftsclassen von Ciudad-Bolivar ebenso erregte, wie er fast die ganze Republik Venezuela in gelinden Aufruhr brachte.

Es geht mit gewissen Städten, wie mit gewissen Menschen: so lange sie keine feste und dauernde Wohnstätte haben, tasten sie zögernd umher. Das trifft auch für den Hauptort der Provinz Guyana zu, seit dem ersten Entstehen eines solchen im Jahre 1576 am rechten Ufer des Orinoco. Nachdem nämlich der Ort an der Mündung des Caroni unter dem Namen San-Tome gegründet worden war, wurde er zehn Jahre später um etwa fünfzehn Lieues weiter flußabwärts verlegt. Von den Engländern unter dem Befehle des berühmten Walter Raleigh niedergebrannt, verlegte man ihn 1764 wieder hundertfünfzig Kilometer weiter stromaufwärts, nach einer Stelle, wo die Breite des Flusses kaum noch vierhundert Toisen beträgt. Daher stammte der Name des »Engen« Angostura, der später dem Namen Ciudad-Bolivar weichen mußte.

Dieser Hauptort der Provinz liegt gegen hundert Lieues (450 Kilometer) vom Delta des Orinoco entfernt, dessen Wasserstand - den man an der Piedra del Midio, einem mitten im Strome aufragenden steilen Felsen abliest - unter dem Einfluß der (vom Januar bis zum Mai) trockenen Jahres- und dem der Regenzeit sehr beträchtlich wechselt.

Zu der Stadt, die nach der neuesten Zählung elf- bis zwölftausend Einwohner haben soll, gehört noch die Vorstadt Soledad am linken Stromufer. Sie erstreckt sich von der Alameda-Promenade bis zum Quartier »Chien-sec« (Trockner Hund), ein ganz unpassender Name, da dieser Stadttheil mehr als jeder andre den Ueberschwemmungen ausgesetzt ist, die das plötzliche und häufig sehr starke Anschwellen des Orinoco hervorruft. Die Hauptstraße mit ihren öffentlichen Gebäuden, eleganten Läden und offnen Säulengängen, die Häuserreihen, die sich übereinander am Abhange des schiefrigen Hügels erheben, der die Stadt beherrscht, die ländlichen Wohnstätten, die zerstreut unter grüner Umrahmung hervorschimmern, die eigenartigen Seen, die der Strom flußauf- und flußabwärts durch Verbreiterung seines Bettes bildet, die Bewegung und das Leben des Hafens, die zahlreichen Dampfer und Segelschiffe, die für die Lebhaftigkeit des Stromverkehrs zeugen, der noch durch einen recht bedeutenden Handel vermehrt wird - Alles vereinigt sich hier, das Auge zu ergötzen.

Ueber Soledad, wo später eine Eisenbahn münden soll, wird Ciudad-Bolivar bald mit Caracas, der Hauptstadt Venezuelas, verbunden sein. Seine Ausfuhr an Rinderhäuten und Hirschfellen, an Kaffee, Baumwolle, Indigo, Cacao und Tabak dürfte dann eine weitere Vermehrung erfahren, eine so große

Höhe sie durch die Ausbeutung der goldhaltigen Quarzlager, die 1848 im Thale des Yuruauri entdeckt wurden, auch schon erreicht hat.

Die Neuigkeit, daß die drei gelehrten Mitglieder der geographischen Gesellschaft von Venezuela aufbrechen wollten, um die Streitfrage bezüglich des Orinoco und seiner zwei südwestlichen Zuflüsse aus der Welt zu schaffen, fand also im ganzen Lande den lebhaftesten Widerhall. Die Bolivarier sind etwas heißblütig und machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Die Tagespresse nahm die Angelegenheit auf und stellte sich zum Theil auf die Seite der Atabapo-Anhänger, zum Theil auf die der Vertheidiger des Guaviare oder des Orinoco. Die große Menge kam ins Feuer. Man hätte wirklich glauben mögen, die Wasserläufe drohten ihr Bett zu ändern, das Gebiet der Republik zu verlassen und nach irgendeinem andern Staate der Neuen Welt auszuwandern, wenn man ihnen nicht Gerechtigkeit widerfahren ließe.

Bot nun wohl diese Fahrt stromaufwärts ernstliche Gefahren? In gewissem Maße, ja; wenigstens für Reisende, die auf ihre eignen Hilfsmittel angewiesen waren. Gegenüber der beabsichtigten Lösung jener Lebensfrage scheute vielleicht aber auch die Regierung vor einem Opfer nicht zurück. Das war ja eine passende Gelegenheit zur Verwendung der Miliz, die auf dem Papiere wohl zweihundertfünfzigtausend Mann zählt, in der That aber kaum den zehnten Theil dieser Sollstärke erreicht. Warum hätte man den Forschungsreisenden aber nicht eine Compagnie des stehenden Heeres zur Verfügung stellen können, jener »Armee«, die auf sechstausend Mann Soldaten gelegentlich siebentausend Generäle hatte, ohne andre hohe Officiere zu rechnen, wie das Elisee Reclus, der schon so viele ethnographische Curiositäten ans Licht brachte, nachgewiesen hat?

So etwas verlangten die Herren Miguel, Felipe und Varinas aber gar nicht. Sie gedachten auf eigne Kosten zu reisen, und ohne andre Begleitung, als die der Bauern, der Ilaneros, der Flußschiffer und Führer, die mehrfach an den Ufern des Stromes anzutreffen sind. Sie wollten dasselbe ausführen, was andre Pioniere der Wissenschaft vor ihnen vollbracht hatten. Uebrigens gedachten sie ja über den Flecken San-Fernando, an der Vereinigung des Atabapo und des Guaviare, gar nicht hinauszugehen. Nur in den Landestheilen, die der Oberlauf des Stromes bewässert, waren vielleicht Angriffe von Indianern zu befürchten, jener unabhängigen Stämme, die so schwer zu bändigen sind und denen man nicht ohne Grund viele Mordthaten und Räubereien zuschreibt, welche in einem, früher von Caraiben bevölkerten Lande ja gar nichts Wunderbares sind.

In der That ist es nicht rathsam, stromaufwärts von San-Fernando, in der Nähe der Mündung des Meta auf dem andern Flußufer, gewissen Guaharibos zu begegnen, die sich stets gegen alle Gesetze auflehnen, oder jenen Quivas, die im Rufe wilder Grausamkeit schon durch ihre Raubzüge in Columbien standen, bevor sie nach den Ufern des Orinoco versetzt wurden.

In Ciudad-Bolivar war man auch etwas beunruhigt über das Schicksal zweier Franzosen, die vor ungefähr einem Monate von dort aufgebrochen waren. Man wußte von diesen Reisenden wohl, daß sie stromaufwärts bis über die Mündung des Meta hinausgekommen waren, nichts aber über ihr Geschick, seit sie durch die Gebiete der Quivas und der Guaharibos dahinzogen.