Выбрать главу

Der übrigens noch wenig bekannte Oberlauf des Orinoco, der sich schon seiner Entfernung wegen dem Einflusse der venezuolanischen Behörden fast ganz entzieht, keinen Handelsverkehr hat und den umherirrenden Banden der

Eingebornen preisgegeben ist, bietet freilich erst die meisten Gefahren. Sind auch die seßhaften Indianer im Westen und Norden des großen Stromes von milderen Sitten, da sie vielfach Landbau treiben, so trifft das doch nicht für die zu, die inmitten der Savannen des Departements Orinoco leben. Räuber aus Habgier wie aus Noth, scheuen sie vor keiner Unthat, vor keinem Morde zurück.

Niemand weiß bisher, ob es in Zukunft gelingen werde, diese wilden, unbezähmbaren Naturen unter eine geordnete Regierung zu beugen, denn ebenso, wie das bezüglich der Raubthiere auf den Ilanos nicht zu erwarten ist, dürfte es bezüglich der Eingebornen auf den Ebenen des Alto-Orinoco unmöglich sein. Thatsächlich haben nicht wenig Missionare es ohne sonderlichen Erfolg versucht.

Einer derselben, ein zu den fremden Missionen gehörender Franzose, weilte schon seit mehreren Jahren in jenen hohen Gebieten des Stromes. Man hat aber nichts davon gehört, daß sein Muth und seine Opferfreudigkeit ihren Lohn gefunden hätten, daß es ihm gelungen wäre, jene wilden Völkerschaften nur einigermaßen zu civilisieren und für die katholische Religion zu gewinnen, ebensowenig davon, daß der muthige Apostel der Mission von Santa-Juana jene Indianer, die sich bisher jedem Versuche einer Civilisierung widersetzten, um sich zu sammeln vermocht hätte.

Doch handelte es sich - um auf Herrn Miguel und seine beiden Collegen zurückzukommen - jetzt nicht darum, über den Gebirgsstock der Roraima bis in jene entlegenen Landestheile vorzudringen. Läge das freilich im Interesse der geographischen Wissenschaft, so schreckten sie gewiß nicht davor zurück, den Orinoco, ebenso wie den Atabapo und den Guaviare bis an ihre Quellen zu verfolgen. Ihre Freunde erwarteten übrigens, und nicht unberechtigter Weise, daß die Frage, wegen des Ursprungs an der Vereinigung der drei

Wasserläufe ihre Lösung finden werde. Allgemein nahm man an, daß das zu Gunsten des Orinoco geschehen werde, der sich nach der Aufnahme von dreihundert Nebenflüssen und nach einem Laufe von zweitausendfünfhundert Kilometern durch fünfzig Arme in den Atlantischen Ocean ergießt.

Zweites Capitel

Der Sergeant Martial und seine Neffe

Die Abfahrt des Geographentrios - eines Trios, dessen Instrumente jedenfalls nie in gleiche Stimmung kommen würden - war auf den 12. August, mitten in der Regenzeit, angesetzt.

Am Vorabend dieses Tages gegen acht Uhr plauderten zwei im Hotel von Ciudad-Bolivar abgestiegene Reisende in dem Zimmer eines derselben. Ein leichter erfrischender Luftzug strich durch das Fenster herein, das nach der Alameda-Promenade zu lag.

Eben hatte sich der jüngere der beiden Fremdlinge aufgerichtet und sagte zu dem andern in französischer Sprache:

»Sei achtsam, mein guter Martial, und ehe ich mich zur Ruhe lege, erinnre ich Dich noch einmal an alles, was vor der Abreise zwischen uns vereinbart worden ist.

- Wie Sie wünschen, Jean.

- Sapperment, rief Jean, da fällst Du ja gleich bei den ersten Worten aus der Rolle!

- Aus meiner Rolle.?

- Gewiß. Du duzest mich ja nicht.

- Richtig!. Das vermaledeite Duzen!. Ich bitte Sie. nein, ich bitte Dich. der Mangel an Gewohnheit.

- Der Mangel an Gewohnheit, mein armer Sergeant!. Das meinst Du wirklich?. Seit einem Monat haben wir Frankreich verlassen und Du hast mich doch auf der ganzen Ueberfahrt von Saint-Nazaire bis Caracas Du genannt.

- Das ist freilich wahr! antwortete der Sergeant Martial.

- Und jetzt, wo wir in Bolivar angekommen sind, das heißt, an dem Punkte, wo unsre Reise anfängt, die uns so viel Freude - vielleicht so große Enttäuschungen, so viele Schmerzen bereiten wird.«

Jean hatte diese Worte in tiefer Erregung ausgesprochen. Seine Brust hob sich, seine Augen wurden feucht. Dennoch bemeisterte er sich, als er das Gefühl von Unruhe sah, das die harten Züge des Sergeanten Martial widerspiegelten.

Da schlug er lächelnd einen freundlicheren Ton an.

»Jawohl; jetzt, da wir in Bolivar sind, vergißt Du, daß Du mein Onkel bist und ich Dein Neffe bin.

- Ich alter Dummkopf! rief der Sergeant Martial, der sich einen tüchtigen Klaps an die Stirne gab.

- Nein. doch Du beunruhigst Dich, und statt daß Du mich behütetest, scheint es fast nöthig. Sage mir, lieber Martial, pflegt nicht gewöhnlich der Onkel den Neffen zu duzen?

- Allerdings wohl immer.

- Und hab' ich Dich nicht seit unsrer Einschiffung daran gewöhnt, indem ich stets Du zu Dir sagte?

- Ja. und doch. damit angefangen hast Du nicht so von. von.

- Kleinauf! unterbrach ihn Jean, das Wort besonders betonend.

- Freilich. nicht von kleinauf! wiederholte der Sergeant Martial, dessen Blick, als er sich auf den angeblichen Neffen richtete, einen ganz sanften Ausdruck bekam.

- Und vergiß auch nicht, setzte der junge Mann hinzu, daß »klein« auf Spanisch pequeno heißt.

- Pequeno, wiederholte der Sergeant Martial. Ein hübsches Wort. Ich kenne es und auch noch gegen fünfzig andre. kaum mehr, soviel ich mir auch Mühe gegeben habe!

- O, der Dickschädel! rief Jean. Hab' ich Dir während der Ueberfahrt auf dem »Pereire« nicht Tag für Tag Deine spanische Aufgabe überhört?

- Zugegeben, Jean! Es ist aber schrecklich für einen alten Soldaten in meinen Jahren, der sein Lebtag nur französisch gesprochen hat, noch dieses Charabia der Andalusier lernen zu sollen. Wahrhaftig, es fällt mir schwer, mich zu hispanisieren, wie jener Andre sagt.

- Das wird sich schon noch finden, lieber Martial.

- Na ja, für die fünfzig Wörter, wovon ich sprach, hat sich's ja schon gefunden. Ich kann zu essen verlangen: »Deme usted algo de comer; zu trinken: Deme usted de beber«; um ein Bett ersuchen: »Deme usted una cama«; nach dem Wagen fragen: »Enseneme usted el camino«; wie viel kostet das?: »Cuanto vale esto« Ich kann auch Danke schön! »Gracias« und Guten Tag!: »Buenos dias« sagen, ebenso wie Guten Abend!: »Buenos noches«, und wie befinden Sie sich?: »Como esta usted?« Daneben versteh ich zu wettern und zu schimpfen wie ein Aragonier oder ein Castilianer: Carambi de carambo de caramba.

- Genug, genug! unterbrach ihn Jean, ein wenig erröthend. Diese Schimpfreden hab ich Dir nicht gelehrt, und Du wirst gut thun, sie nicht bei jeder ersten besten Gelegenheit anzuwenden.

- Was denkst Du, Jean?. Die Gewohnheiten eines alten Unterofficiers! Mein Leben lang hab' ich mit lauter Tölpeln und mit manchem Donnerwetter nur so herumgeworfen, und wenn man seine Rede nicht mit ein paar solchen Kraftausdrücken würzt, kommt sie mir immer recht schal vor. Was mir am meisten gefällt an diesem spanischen Kauderwälsch, das Du wie eine Senora sprichst.

- Nun, das wäre, Martial.?

- Ja, wohl zu verstehen, daß dieses Kauderwälsch solche Kraftausdrücke in schwerer Menge. fast mehr als andre Wörter hat.

- Und die hast Du Dir natürlich am leichtesten gemerkt.

- Das gesteh' ich, Jean; der Oberst von Kermor war es aber, als ich unter ihm diente, nicht gewesen, der mir wegen meiner Bombendonnerwetter Vorwürfe gemacht hätte!«

Bei Erwähnung des Namens von Kermor veränderte sich der Gesichtsausdruck des jungen Mannes und eine Thräne benetzte die Lider des Sergeanten Martial.

»Siehst Du, Jean,« nahm der Soldat wieder das Wort, »wenn Gott jetzt zu mir spräche: »»Sergeant, in einer Stunde wirst Du Deinem Oberst die Hand drücken, in zwei Stunden werd' ich aber meinen Blitzstrahl auf Dich herabschleudern!««, dann antwortete ich gewiß: »Herr. mach' Deinen Blitzstrahl fertig und ziele mir aufs Herz!«