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Darrag starrte in die toten Augen seiner Frau. Dann griff er nach dem Sattelknauf und versuchte aufzusteigen. Zerwas fiel ihm in den Arm. »Laß den Unsinn! Du wirst dich nur umbringen, wenn du allein zu den Orks zurückreitest. Man würde dir vermutlich nicht mal das Stadttor öffnen.«

»Versuch nicht, mich aufzuhalten!« Darrag drehte sich mit dem Rücken zum Pferd und griff nach dem Schwert an seiner Seite.

»Denk an deine Kinder! Sollen sie Waisen werden? Wenn ihre Mutter tot ist, ist es schon schwer genug für sie. Willst du dir jetzt auch noch das Leben nehmen? Misira ist tot, und sie wird nicht wieder lebendig, indem du einen Ork umbringst. Das letzte, was sie sagte, war, daß sie dich liebt. Beweise jetzt, daß du ihrer Liebe wert bist!«

Darrag nahm die Hand von der Waffe. Dann umschlang er mit beiden Armen seine tote Frau und fing wieder an zu weinen. »Komm, Darrag! Wir wollen die Tote aufbahren. Sie ist gestorben wie eine Heldin und sie soll morgen ein Heldenbegräbnis haben. Ich werde dir helfen, ihren Leichnam so herzurichten, daß deine Kinder von ihr Abschied nehmen können.« Zerwas nahm beide Pferde am Zügel und machte sich auf den Weg. Einige Schritte hinter ihm folgte Darrag. Schweigend trug er Misira auf seinen Armen, preßte sie an seine Brust wie ein großes Kind. Er hatte wieder angefangen zu weinen. Seine Tränen tropfen auf den schimmernden Küraß, den er seiner Frau geschmiedet hatte. Ein prächtiger Panzer und doch hatte er sie nicht vor dem Tod bewahren können. Er würde sich nie verzeihen, daß er sie zu diesem Angriff mitgenommen hatte, und er hatte Angst vor den Fragen seiner Kinder.

11

Im Morgengrauen schritt Sharraz Garthai durch das verwüstete Lager der Orks. Der Überfall in der Nacht hatte sie die Arbeit von mehr als zwei Wochen gekostet. Nie in der Geschichte hatte ein Orkgeneral über so viele Steinschleudern verfügt wie er, und nun waren sie nicht mehr als ein Haufen rauchender Trümmer. Ganz zu schweigen von den Verlusten unter seinen Kriegern. Der überraschende Angriff hatte mehr als hundert Kämpfern das Leben gekostet, und fast doppelt so viele waren verletzt.

»Du hättest auf mich hören sollen«, meldete sich der Zwerg neben ihm zu Wort. Kolon Tunneltreiber war eine unangenehme Erscheinung. Keine anderthalb Schritt groß war er zunächst von den Kriegern verlacht worden. Jetzt lachten sie nicht mehr. Der Zwerg war überaus empfindlich und jähzornig. Gleich am ersten Tag, als er das Lager in Orkenwall erreichte, hatte er drei Krieger in Duellen getötet. Seitdem hielten die meisten gehörigen Abstand zu ihm.

Kolon hatte ihn vor einem Ausfall gewarnt und darauf bestanden, daß das Hauptlager oder zumindest die Geschützstellungen mit Schanzen befestigt würden, doch Sharraz hatte es abgeschlagen. Er meinte, daß seine Krieger keine Maulwürfe seien. Wieder schweifte sein Blick über die Trümmerlandschaft. Einige der Katapulte loderten noch immer. Dünne Rauchsäulen stiegen zum Himmel auf und wurden vom schwachen Wind davongetrieben.

»Gut, du hast recht gehabt. Bist du nun zufrieden? Du hast es besser gewußt, Kolon.« Sharraz machte sich nicht einmal die Mühe, zum Zwerg hinabzublicken, während er mit ihm sprach.

»General, es gibt eine Möglichkeit, die Menschen für das büßen zu lassen, was sie uns letzte Nacht angetan haben. Wir haben den Vorteil, daß sie uns nach diesem leichten Erfolg mit Sicherheit für dumm und schwach halten.«

Sharraz drehte sich um. Ihm gefiel der Tonfall nicht, in dem der Zwerg die letzten Worte gesprochen hatte. Mit blutunterlaufenen Augen blickte ihn der Belagerungsexperte über seinen wildwuchernden weißen Bart an. Seinem Gesicht war nicht abzulesen, was er für Gedanken hegte. »Zunächst brauche ich mehr Sklaven. Schick Reiter aus, die jeden Mann und jede Frau im Umkreis von zwanzig Meilen einfangen! Deine Krieger haben sich bei den Schanzarbeiten nicht gerade bewährt. Sie arbeiten zu langsam, folgen meinen Befehlen nicht recht und sind aufsässig. Ich will sie nur noch als Wachen um mich haben. Für Belagerungsarbeiten sind sie einfach nicht zu gebrauchen.« Kolon griff nach einem verkohlten Ast und zerrieb ihn langsam zwischen den Fingern. »General, wenn ich genug Arbeiter bekomme, um meine Pläne auszuführen, dann verspreche ich dir, werden die Greifenfurter beim nächsten Ausfall erbarmungslos zusammengeschossen.«

»Du sollst bekommen, was du willst.« Sharraz war verärgert über den anmaßenden Tonfall des kleinen Mannes. »Aber ich rate dir, sei erfolgreich, sonst wird dein Kopf meine Zeltstange schmücken, gleichgültig, ob du hier mit persönlicher Empfehlung des Marschalls bist oder nicht.« Der Ork genoß, daß er den Zwerg ganz offensichtlich für einen Moment aus der Fassung gebracht hatte. Jedenfalls schien er langsam wieder zu begreifen, wer hier den Befehl führte.

»Ich fürchte, ich werde dich dieser Freude berauben. Statt dessen werde ich dir die Köpfe derer, die den nächsten Ausfall anführen, vor die Füße legen.« Kolon salutierte wie ein kaiserlicher Offizier und machte sich davon.

Noch so ein Verräter, dachte Sharraz. Was mochte ihn dazu bewogen haben, auf Seiten der Orks zu kämpfen? Und auch noch an diesem Ort. War Greifenfurt doch das legendäre Saljeth, wo einst eine Koalition von Elfen und Zwergen den Orks eine vernichtende Niederlage beigebracht und anschließend das Heiligtum des Tairach geschändet hatte. Für kurze Zeit hatte er heute morgen geglaubt, der Zwerg habe absichtlich schlechte Arbeit geleistet, so daß es den Menschen leichtfiel, in dieser Nacht ihren Angriff auf das Lager auszuführen. Doch es war Kolon gewesen, der ihn vor einem solchen Angriff ausdrücklich gewarnt hatte. Nun, der Zwerg hatte diesmal mit seinen Versprechungen den Mund reichlich voll genommen. Sollte er versagen, wäre es Sharraz ein Vergnügen, ihn persönlich zu richten.

Zerwas hatte wieder seine Dämonengestalt angenommen. Mit zusammengefalteten Flügeln hockte er auf dem Dach des Patrizierhauses, das Marcian den Magiern aus Bethana überlassen hatte. Eolan und seine Spießgesellen störten ihn. Der Vampir schloß nicht aus, daß diese weißgewandeten Magier mit ihrem überheblichen Getue in irgendeiner Verbindung mit der Inquisition standen. Ihre asketischen Gesichter, die merkwürdigen Zeichen, mit denen ihre Roben bestickt waren, all das gefiel ihm nicht. Wieder dachte er an die Schlacht um die Geschütze. Die Stimme, die ihm zuflüsterte: »Ich habe dich erkannt, Dämon!« Es mußte Eolan gewesen sein. Wer sonst sollte telepathische Fähigkeiten haben? Der Bordellbesitzer Lancorian war zwar auch ein Zauberer, doch traute er ihm solche Gaben nicht zu.

Der Vampir stieß sich vom Dach ab. Leichter Nieselregen machte die Schindeln rutschig und umhüllte das Gemäuer des Hauses mit einem schwachen Schimmer. Die Fenster im oberen Stockwerk waren erleuchtet. Die fünf Magier mußten Dutzende Kerzen abbrennen, so hell strahlte es durch die Fenster. Vielleicht hatten sie Angst vor der Dunkelheit? Der Vampir schmunzelte und verwarf diesen Gedanken wieder. Wo hatte man je gehört, daß ein Meister der weißen Magie wie Eolan Angst vor der Finsternis hat? Wahrscheinlicher war, daß sie irgendein Ritual vollzogen.

In engen Kreisen flog Zerwas um das Haus. Es war nicht leicht gewesen, die Namen der Adepten herauszufinden. Schon vor ein paar Tagen hatte er Uriens damit beauftragt, ihm diese Information zu verschaffen. Der verwirrte Bettler war ihm bislang jedesmal ein zuverlässiger Diener gewesen. Er bereute es nicht, ihn in der Blutnacht verschont zu haben. Der verstümmelte Mann konnte sich völlig frei in der Stadt bewegen. Niemand scherte sich um seine Fragen, denn die meisten hielten ihn für wahnsinnig. Sein Verstand hatte auch tatsächlich gelitten, doch dafür war durch das, was er ihm angetan hatte, sein prophetisches Talent in ihm geweckt worden. Wieder ging Zerwas durch den Kopf, was der Blinde zum Abschied zu ihm gesagt hatte. »Hüte dich vor dem Licht! Auch wenn du vor dem Glanz des Praios gefeit bist, wird er dir dennoch Schmerzen bereiten!«