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Wieder drehte der Vampir eine Runde um das Haus und suchte nach einem Fenstersims oder einem vorstehenden Wasserspeier, an dem er sich festklammern konnte, um die Zauberer zu beobachten. Vielleicht bezog sich die Prophezeiung auf sie? Vielleicht dienten sie dem Licht. Uriens hatte mit einem der Bediensteten der Magier gesprochen. Sie waren nicht gerade beliebt bei ihrem Personal. Die Diener des Hauses behandelten sie fast wie Sklaven. So wußte der Vampir, daß die fünf Zauberer bei Nacht fast immer allein in ihrer Villa waren, wußte, wem welche Kammer gehörte, und kannte all ihre Namen.

Zerwas landete im Garten hinter dem Haus. Er hatte kein Fenstersims gefunden, das breit genug gewesen wäre, um dort Halt zu finden. Er mußte nun versuchen, in die Villa einzudringen. Obwohl der Regen mittlerweile aufgehört hatte, tropfte es noch immer von den großen Bäumen im Garten. Leise knirschte Kies unter seinen Krallen. Er stand vor dem Portal zum Garten. Wer immer dieses Haus hatte errichten lassen, verfügte über einen für Menschen ungewöhnlichen Geschmack. Das prächtige Portal war mit reichen Steinmetzarbeiten verziert. Der unbekannte Künstler hatte zwei Bäume aus dem Marmor geschlagen, deren Geäst sich als Torbogen über den Eingang wölbte. Bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, daß zwischen dem Blätterwerk der Bäume zwei nackte Frauen saßen. Nein, Frauen war die falsche Bezeichnung. Es waren Dryaden, verzauberte Geschöpfe, wie man sie in den alten Elfenwäldern finden konnte. Zerwas blieb noch eine Weile stehen und musterte den Torbogen. Merkwürdig, daß dieses Haus, das zur Straße hin so nüchtern wirkte, hier mit solcher Kunst prunkte. Verstohlen rüttelte der Vampir an der Pforte. Sie war offen. Vorsichtig schritt er in den dunklen Flur, der dahinter lag. Von oben konnte er den Singsang der Magier hören. Wußte der Namenlose, was sie dort trieben? Auf jedes Geräusch lauschend, schlich Zerwas weiter über den Flur. An der zweiten Tür machte er Halt. Hier mußte das Zimmer des Kalakaman sein, des blonden Zauberers, dem zwei Finger an der linken Hand fehlten. Behutsam drückte der Vampir die Klinke herunter und trat ein. Der Raum war klein, doch geschmackvoll möbliert. Schrank, Bett und Tisch waren mit Schnitzereien geschmückt. Ein dichter Teppich lag in der Mitte des Zimmers. Alles war ordentlich aufgeräumt. Nirgendwo lag etwas herum, das Rückschlüsse auf den Bewohner dieses Raums erlaubte.

Zerwas ging zum Schrank. Hier hingen verschiedene Roben. Daneben waren zwei gefaltete Hemden in ein Fach gelegt. Mit vorgestrecktem Kopf schnupperte er an den Hemden. Seine Sinne waren in Dämonengestalt wesentlich schärfer. Das untere Hemd sah abgetragener aus, und obwohl es gewaschen war, hatte es noch immer einen Hauch vom Körpergeruch des blonden Magiers an sich. Er holte es aus dem Schrank und riß einen kleinen Leinenstreifen vom Saum. Dann faltete er es wieder, so gut es mit seinen klauenbewehrten Händen möglich war, und legte es an seinen Platz im Schrank zurück. Vorsichtig schlich er zum Flur zurück.

In den Kammern der anderen Magier verfuhr er ähnlich. Er riß ein Stück vom ledernen Schnürriemen eines Schuhs ab, zog einige Haare aus einem Kamm und stahl ein Schnupftuch. Alles, was er mitnahm, verstaute er einzeln in kleinen Lederbeuteln, die er an die breiten Riemen des Schwertgurts gebunden hatte, der über seine Brust lief. Jetzt galt es nur noch, in die Kammer Eolans einzudringen. Doch der Raum des Erzmagiers lag im oberen Stockwerk. Zerwas stand an der breiten Treppe, die von der Mitte des Flurs nach oben führte, und lauschte. Die Magier hatten ihre Beschwörung oder ihr gemeinschaftliches Gebet beendet. Es war ruhig.

Zerwas fluchte innerlich. Er hätte zuerst nach oben gehen sollen. Jetzt blieb ihm keine Wahl. Er mußte in Eolans Kammer! Langsam schlich er die Treppe hinauf. Fadenscheinige Gobelins hingen von der Galerie, zu der die Stufen führten. Soweit Zerwas erkennen konnte, zeigten sie die Fabeltiere der Elfenwälder. Einhörner, Flußgeister und Pegasi, Wesen, denen man nachsagte, daß sie die Pforten zu verborgenen Welten kannten.

Am obersten Absatz der Treppe machte Zerwas wieder Halt und musterte die Türen, unter denen schmale Lichtschlitze ins Dunkel fielen. Behutsam schlich er über den steinernen Boden auf die Tür zu, hinter der er das Zimmer vermutete, in dem er vorhin die Magier gesehen hatte. Seine Krallen verursachten bei jedem Schritt ein leises Klicken auf den Steinen. Gebannt lauschte er vor der Tür. Es waren mehrere Männerstimmen zu hören. Beruhigt schlich der Henker weiter. Sie schienen ihr Palaver noch nicht beendet zu haben.

Am anderen Ende der Galerie lag Eolans Zimmer. Auch hier fiel Licht unter der Tür durch. Einen Augenblick stand der Vampir still, doch nichts schien sich im Inneren des Raumes zu rühren. Langsam drückte er die Klinke herunter, schob die Tür vorsichtig einen Spaltbreit auf und spähte hinein. Der Raum war verlassen und von Dutzenden Kerzen erleuchtet. Schnell schlüpfte er durch die Tür und schloß sie hinter sich wieder. Ihm gegenüber wies ein großes Fenster auf den Platz der Sonne. Eilig huschte sein Blick über die Einrichtung. Eolan schien weniger penibel als seine Adepten zu sein. Achtlos über einen Stuhl geworfen lag noch sein Prachtgewand herum, das er jeden Abend zu den Offiziersversammlungen anlegte. Zerwas ließ seine Pranke über die prächtige, mit Perlen bestickte und von Goldfäden durchwirkte Robe gleiten. Ein kleines Fädchen blieb an einer seiner Krallen hängen. Das war gut, dachte Zerwas. Dieser Goldfaden sollte den Erzmagier ins Verderben stürzen. Auf der Galerie öffnete sich eine Tür. Stimmen und Schritte waren zu hören.

Für einen Augenblick überlegte der Vampir, ob er es auf einen Kampf ankommen lassen sollte, doch dann huschte er zum Fenster. Buntes Bleiglas zeigte einen lichtdurchfluteten Wald. Matt spiegelte sich das Kerzenlicht auf den Scheiben. Hastig entriegelte er das Fenster und stand mit einem Satz auf dem Sims. Hinter sich hörte er, wie die Tür geöffnet wurde. Zerwas breitete die Schwingen aus und stieß sich ab. Ein schriller Schrei erklang aus dem Zimmer. Die hysterische Stimme eines alten Mannes. »Es ist wieder da! Ich habe wieder das Flügelschlagen gehört! Der Totenvogel ist gekommen!«

Erschöpft landete Zerwas auf der obersten Stufe seines Turmes. Er hatte seine ›Geschenke‹ weitergegeben. Das Problem der Magier würde bald gelöst sein. Er machte den Schritt in den Abgrund und fand sich im nächsten Augenblick in seinem geheimen Versteck tief unter der Stadt wieder. Müde schnallte er sein Schwert vom Rücken und verwandelte sich in seine menschliche Gestalt zurück. Lange war es her, daß er diese verborgene Kammer unter der Stadt bei seinen magischen Experimenten gefunden hatte. Die Greifenfurter hatten keine Ahnung, worauf sie hier hausten.

Zerwas schmunzelte. Es paßte zu den Hinterwäldlern, die wahre Geschichte ihrer Stadt nicht zu kennen, nicht zu wissen, auf welch schicksalsträchtigem Boden sich ihre Vorfahren niedergelassen hatten. Diese Erde hier barg weit gefährlichere Dinge als seine Gebeine, und das war auch der Grund, weshalb die Orks vor den Toren der Stadt standen. Die Gewölbe, die Zerwas bewohnte, waren einst Teil einer unterirdischen Kultstätte gewesen. Die Elfen und Zwerge hatten diesen Ort zerstört. Doch nicht vollständig. Es mochten auch noch andere Höhlen und Gänge erhalten geblieben sein, und das war es, was die Schwarzpelze suchten, als sie den Praios-Tempel eingerissen hatten. Unter dem Hügel, auf dem der Platz der Sonne lag, mußte sich einst das Kultzentrum befunden haben. Zerwas hatte hier selbst einst nach Höhlen geforscht, hatte versucht, seinen Geist tief unter die Erde zu schicken. Doch es schien alles vernichtet, und noch immer herrschte eine mächtige, ihm übel gesonnene Kraft tief unter dem Platz. Etwas, das sich an seinen Leiden ergötzt hatte, als er hingerichtet wurde.

Der Vampir erinnerte sich, wie damals ein fremder Geist in ihn eingedrungen war, lauernd in ihm saß und sein Sterben verfolgte. Zerwas schüttelte den unangenehmen Gedanken ab. »Sartassa!« rief er in das Halbdunkel des Gewölbes, doch nichts regte sich. Wieder rief er den Namen der Elfe. Vergebens. Sie war jagen, obwohl sie versprochen hatte, niemals ohne ihn zu gehen. Der Vampir fluchte vor sich hin. Sollte sie sehen, was sie davon hatte. Er würde ihr nicht folgen. Wütend warf er sich auf das Bett und starrte die Decke des Gewölbes an. Der Ruß hatte die Bronzeampeln, die an Ketten von der Decke herabhingen, im Lauf der Jahrhunderte schwarz gefärbt. Einige verborgene Luftschächte dienten als Rauchabzug, doch fiel kein Licht durch sie in die verborgene Kammer. Unruhig wälzte er sich auf dem Bett und dachte an Sartassa.