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»Wenn ich ein paar Kämpfer hätte wie dich, Krieger, die beinahe unverwundbar sind ...« Marcians Stimme war zu einem Flüstern geworden. Er wußte, daß er allein für diesen Gedanken schon auf den Scheiterhaufen gehörte. Die Inquisition durfte niemals erfahren, was hier vor sich gegangen war. Doch auch dafür hatte er schon Vorbereitungen getroffen.

Zerwas überwachte den Abtransport der Verwundeten aus dem Siechenhaus der Therbuniten. Lange konnte dieses Viertel nicht mehr gehalten werden. Überall loderten Brände, und die Kampfhunde der Orks streunten durch die Straßen. Noch leisteten die Bürger auf den Barrikaden verzweifelten Widerstand, schossen aus den Fenstern der brennenden Häuser und warfen Felsbrocken und Balken von den Dächern auf die anstürmenden Schwarzpelze, doch schon hatte Marcian befohlen, eine neue Verteidigungslinie auf Höhe der alten Stadtmauer zu bilden. Der Vampir trug einen Mann über der Schulter, dem am Mittag der Arm amputiert worden war. Fluchend scheuchte er die anderen vorwärts. Zum dritten Mal machte die Kolonne von Trägern schon den Weg quer durch die Stadt. Die Barrikaden auf den Straßen verhinderten, daß man noch mit einem Karren bis zum Siechenhaus durchkam. Erst westlich des Platzes der Sonne waren die Wege wieder frei. Die Verletzten sollten in die Burg geschafft werden. Zerwas blickte zum Himmel. Noch immer standen finstere Wolkengebirge über der Stadt. Bald würde im Westen die Sonne untergehen. Dann konnte er Sartassa holen und beginnen. Es hatte lange gedauert, bis der Inquisitor ihn überredet hatte, doch würde er diesen verzweifelten Plan nicht ausführen, erschiene ihm die Stadt nicht schon jetzt verloren.

Beinahe wäre er gestolpert. Die Leiche eines kleinen braunhaarigen Mädchens lag quer in der Gasse. Die Hunde der Orks hatten ihr die Kehle herausgerissen. Ihr Körper war von Klauen und Zähnen gräßlich entstellt. Sein Entschluß stand fest. Er würde Marcian helfen!

»Wir werden ihnen nicht sagen, was sie wirklich sind«, flüsterte Zerwas Sartassa zu. »Sobald sie erwachen, behaupten wir, Lancorian hätte einen Heilzauber auf sie gesprochen, der sie vor dem Tode gerettet hat. Sie sollen glauben, daß sie beinahe unsterbliche Kämpfer sind, und das ist ja nicht einmal gelogen.« Wieder blickte er auf die zwölf Männer und Frauen, die auf Strohlagern am Boden des Kellergewölbes lagen. Verwundete, die tödliche Verletzungen empfangen hatten, aber nicht so verstümmelt waren, daß sie Gliedmaßen eingebüßt hätten. Dem einen ragte das abgebrochene Geschoß einer Speerschleuder aus der Hüfte. Zerwas hatte den Schaft untersucht. Es war Ulmenholz. Der Speer mußte nicht aus der Wunde entfernt werden. Daneben lag eine Frau, der herabstürzende Trümmer die Rippen zerschmettert hatten. Ein anderer war halb verbrannt, sein Kopf nur noch ein schrecklicher Klumpen roten Fleischs. Sie alle wären noch vor Morgengrauen in Borons Hallen gegangen, doch jetzt würden sie leben. Sie würden Gelegenheit bekommen, sich an den Schwarzpelzen zu rächen.

Neben der Tür stapelten sich Waffen und Rüstungen, das Beste, was in den Arsenalen der Burg noch aufzutreiben war. Sauber gefaltete, schwarze Umhänge lagen auf einem Stuhl. Jeder aus Zerwas' Elitetruppe sollte einen tragen, damit man sie von den anderen Kriegern unterscheiden konnte.

»Schau, der Verbrannte sieht schon viel besser aus«, sprach ihn Sartassa an. Am Hals des Mannes schimmerte frische rosige Haut. Die gräßliche Wunde begann sich langsam zu schließen. Der Mann stöhnte im Schlaf. »Was glaubst du, wie lange es noch dauern wird?« fragte die Elfe. Zerwas zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Ich hoffe, nicht zu lange. Das letzte, was ich aus der Stadt gehört habe, war beunruhigend. Die Orks sind schon bis zur alten Stadtmauer vorgedrungen, und es sieht so aus, als würde auch das Andergaster Tor bald fallen.«

»Vielleicht sollte ich schon einmal vorgehen.« Sartassa machte einige Schritte in Richtung Tür.

»Bleib hier!« herrschte Zerwas sie an. »Wir werden alle zusammen losschlagen.« Wütend bleckte die Elfe ihre Fangzähne, doch sie blieb.

Das war also das Ende, dachte Lancorian. Die Orks hatten das Andergaster Tor gestürmt und waren, fast ohne auf Widerstand zu stoßen, bis zum Platz der Sonne vorgedrungen. Mit einer Handvoll Männer stand er gemeinsam mit Marcian in der Gasse vor der ›Fuchshöhle‹ und verteidigte eine Barrikade. Für einen Augenblick war Ruhe. Eben erst hatte er die Illusion eines Dämons erschaffen, der wutschnaubend aus einem der brennenden Häuser hervorbrach. Die Schwarzpelze waren darauf laut schreiend davongelaufen. Doch dies bedeutete nur einen kurzen Aufschub.

Aus allen Richtungen waren Kampflärm und das Schreien Sterbender zu hören. Greifenfurt war am Ende und er auch. Der Zauberer hatte mehr als vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen. Seit dem gescheiterten Ausfall im Morgengrauen stand er fast ununterbrochen im Kampf. Er hatte kaum noch die Kraft, auf den Beinen zu bleiben. Neben ihm lag Marcian an die Barrikade gelehnt.

»Deine Ruhe möchte ich haben.« Lancorian schaute seinen Freund verständnislos an. Dessen Rüstung war von den Hieben der Orks gezeichnet, und sein roter Umhang hing ihm zerfetzt von den Schultern. »Rund um dich herrscht ein unbeschreibliches Inferno, und du sitzt da und grinst.«

»Ja«, antwortete der Inquisitor schlicht. »Ich habe alles getan, was ich tun konnte. Ich habe sogar die Inquisition verraten. Jetzt trage ich keine Verantwortung mehr. Wenn die Stadt vernichtet wird, so hatten die Götter es eben so beschlossen. Ich glaube, daß ich mich jetzt nicht einmal mehr wehren würde, wenn die Orks noch einmal angreifen. Ich bin so müde, daß mir die Aussicht auf ewige Ruhe sehr angenehm erscheint.« »Sprich leiser«, zischte der Magier. »Was sollen die Männer von dir denken? Du bist ihr Vorbild. Reiß dich gefälligst zusammen!«

»Nein, Lancorian. Jetzt nicht mehr. Beug dich zu mir herunter. Ich möchte dir etwas geben.«

Dumpf schlugen Pfeile ringsum in die Barrikade ein. Die Illusion, die Lancorian erschaffen hatte, war verblaßt, und die Orks kamen vorsichtig zurückgeschlichen.

»Nimm das!« Marcian nahm sich einen Lederriemen mit einer bunten Feder vom Hals und reichte ihn seinem Freund. »Das wird dich vor der Macht des Bösen schützen. Spare deine Kräfte! Wenn noch nicht alles verloren ist, werden wir dich noch brauchen.« Der Kommandant schloß die Augen.

»Was ist los mit dir?« Lancorian rüttelte ihn an der Schulter.»Was soll schon sein? Ich werde ein wenig schlafen. Wenn die Orks angreifen, werde ich schon wieder auf den Beinen sein.«

Vorsichtig spähte der Magier über einen umgestürzten Leiterwagen. Die Gelassenheit, mit der Marcian auf seinen Tod wartete, war ihm unverständlich. Vom Platz der Sonne erklang lauter Kampflärm. Die Orks schienen in ein schweres Gefecht verwickelt zu sein. Noch leisteten die Greifenfurter Widerstand! Vielleicht würden sie sogar zum Gegenschlag ausholen. Immerhin waren es kaum mehr als fünfzig Schritt bis dorthin.

Wieder schlug ein Pfeil in das Holz der Barrikade. Der Zauberer versuchte, im flackernden Licht der Flammen den Schützen auszumachen. Vergebens. Er wollte auch nicht riskieren, sich zu weit vorzustrecken. Dann würde er ein gutes Ziel bieten. Ein streunender Kampfhund zerrte an einer Leiche, die in der Gasse lag. Widerliche Biester, dachte Lancorian. Schade, daß sie alle Pfeile verschossen hatten. Hinter den Rauchschwaden bewegte sich etwas. Er schluckte. Ein Trupp Orks schlich näher. Es mußten mehr als zehn sein. Vorsichtig kamen sie die Gasse herunter. Lancorian kroch hinter die Barrikade zurück und rüttelte Marcian an der Schulter. »Sie kommen!« Mühsam rappelte sich der Inquisitor auf. Auch die anderen Männer und Frauen griffen müde nach ihren Waffen. Ein erbärmlicher Haufen. Dies würde wohl das letzte Gefecht sein. Der Zauberer zog einen Dolch, den er bislang unter seinem Gewand verborgen hatte. Mindestens einem der Kerle würde er noch das Lebenslicht ausblasen.

Dann ging alles rasend schnell. Das letzte Stück zur Barrikade rannten die Orks. Schon begannen sie, über den umgestürzten Wagen zu klettern. Neben Lancorian wurde eine Kriegerin von einem Wurfspeer umgerissen. Marcian rammte dem ersten, der über den Wagen sprang, sein Schwert in den Bauch. Doch immer mehr Orks drangen aus der Gasse. Schon waren vier oder fünf über die Hindernisse hinweg. Marcian wurde eingekreist und langsam gegen eine Hauswand gedrängt. Müde parierte er die Schläge seiner Angreifer, während Lancorian einen der Schwarzpelze mit einem Blendzauber ausgeschaltet hatte.