Die Zeit lief ihm davon, denn das Volk würde rasch kopflos werden und Salomo die Schuld an dieser Katastrophe geben. Der König würde sich vor Gott und seinen Untertanen verantworten müssen. Der Hohepriester würde ihm vorwerfen, daß er den Zorn des Allerhöchsten erregt hätte, weil er seine Autorität, die seine Vorgänger geachtet hatten, mit einem gottlosen Gebäude befleckt hätte.
Nagsara verneigte sich vor ihrem Gebieter. Sein Wunsch machte sie über alle Maßen glücklich. Die schwarzen Augen der Ägypterin funkelten jugendlich-feurig. Salomo zeigte sich zärtlich, verbarg jedoch nicht, daß er auch ihre Gaben als Zauberin brauchte.
Nagsara zog sich nicht aus. Sie befragte erneut die Flamme und überließ ihr mehrere Monate ihres Lebens. Aber gab es etwas Schöneres, als Salomo zufriedenzustellen?
Die Antwort des Unsichtbaren war klar. Salomo hielt Nagsara lange Zeit in den Armen. Seine Wärme gab dem erschöpften Leib seiner Gemahlin wieder Leben. Als sie eingeschlafen war, benutzte der König seinen Rubinring. Der Zauberstein erlaubte ihm, die Stimme der Elemente zu hören. Ein Element war noch mächtig genug, um gegen die Insekten zu kämpfen.
Die Felder von Judäa und Samaria lagen verlassen, auf den Dorfplätzen zeigte sich keine Menschenseele. Selbst in Jerusalem fielen Trauben von Wanderheuschrecken ein und fraßen die wenigen Gärten kahl. Salomo betete seit dem Vorabend. Erreichten seine Gebete den Himmel, durchdrangen sie den Schild aus Insekten, der die Sonne verdunkelte?
Als Wind aufkam und auf der Baustelle Staubwolken aufwirbelte, hoffte und bangte Hiram zugleich. Hatte der König von Israel ein Heilmittel gefunden, das den Teufel mit Beelzebub austrieb? War der heftige, heiße Wind wirklich der gefürchtete Chamsin?
Die Hitze war kaum noch zu ertragen, sie brannte beim Einatmen in den Lungen. Doch der Chamsin fegte die Heuschreckenschwärme nach Norden hinweg. Die Nacht, die ihrem Auszug folgte, war eiskalt. Viele Arbeiter wurden krank. Erschöpfung warf die nieder, die nicht unter Lungen- oder Mandelentzündung litten. Hiram gab ihnen Honig zu essen und verteilte Decken. Mit der Morgendämmerung kamen die Hundstage und stellten die Menschen auf eine harte Probe. Ein Lehrling, dem der Husten die Brust zerriß, schien an der Schwelle des Todes zu stehen. Auch der Oberbaumeister verspürte trotz seines robusten Körpers die ersten Erschöpfungserscheinungen. Er zwang sich, von Zelt zu Zelt zu gehen und die Arbeiter zu ermutigen. Furcht schlich sich in seine Gedanken ein. Kam das Gespenst einer Epidemie etwa aus der Gehenna?
Als sich Hiram mit einem Werkmeister unterhielt, weil er das Arbeitsprogramm der nächsten Wochen verringern wollte, drangen Freudenschreie an sein Ohr. Welches Ereignis, das so gar nicht zu diesen schlimmen Zeiten paßte, hatte sie ausgelöst? Hiram ging zum Lagereingang.
Gesund oder krank, die Arbeiter und Handlanger jubelten Salomo zu. Der Herrscher in seiner langen Purpurrobe mit den goldenen Fransen erweckte Ehrfurcht.
Der Oberbaumeister schuf sich Platz zwischen den Bewunderern des Königs und stand vor ihm.
«Der Wind hat Krankheit mitgebracht, Majestät. Es tut nicht gut, die Baustelle zu betreten.»
«Der Chamsin hat die Heuschrecken verjagt, die Äcker sind gerettet. Es gibt Nahrung für uns alle.»
«Falls wir noch genug Kraft zum Arbeiten haben. Wer diesen verheerenden Wind losgelassen hat, der wußte, was er tat.»
«Nur Gott herrscht über die Elemente», ermahnte ihn Salomo. «Zweifelst du daran?»
Hiram ging nicht auf die Ironie des Königs ein, obwohl er überzeugt war, daß dieser mit Zauberkräften eingegriffen hatte.
«Setze dich der Gefahr nicht weiter aus», riet der Baumeister.
«Ich bin gekommen, weil ich heilen will. Wer, wenn nicht ich, kennt die Dämonen, die die Schläfen quälen, den Schädel zerreißen, die Augen entzünden, in den Ohren bohren, an den Eingeweiden nagen, die Herzen auslöschen, das Kreuz oder die Beine brechen? Könige lernen, Krämpfe, Abszesse, Schmerzen, Fieber und Lepra zu bekämpfen. Man bringe alle Kranken zu mir.»
Man wartete die Bestätigung durch den Oberbaumeister gar nicht erst ab, sondern gehorchte Salomos ausdrücklichem Befehl. Im Nu hatte sich eine Schlange von Patienten gebildet. Die Hinfälligsten wurden von ihren Gefährten herbeigetragen. Salomo legte sein Siegel auf jeden Hals.
Während er sie heilte, drangen aus der Erde Wehklagen und Gejammer, denn die vom König verjagten Dämonen schienen niedergedrückt von den Leiden, die sie verursacht hatten, im Erdinneren zu verschwinden. Salomo arbeitete, bis die Sterne am Himmel erschienen.
In den Zelten schlief alles friedlich.
Nur der Baumeister des Tempels stand noch vor dem Herrscher. Wie ein ägyptischer Pharao hatte sich Salomo als fähig erwiesen, Gebrechen zu lindern und die Kunst des Wunderheilens auszuüben.
«Ein schöner Sieg, Majestät, aber ein gefährliches Unterfangen.»
«Durchaus nicht, Meister Hiram. Warum sollte ich die von meinen Vätern ererbte Gabe nicht nutzen? Wem ich mein Siegel aufgelegt habe, der wird während des Baus von Jahwes Heiligtum weder kränkeln noch sterben. Die Gefahren sind abgewendet. Arbeite in Frieden.»
«Du hast meine Autorität untergraben. Es war meine Aufgabe, mich um diese Männer zu kümmern.»
«Du bist der Erbauer, nicht der Heiler. Es wäre eitel zu glauben, daß du das Werk bis zum Ende allein durchführen kannst. Dein uneingeschränktes Reich ist die Technik und die Kunst des Bauzeichnens. Du vergißt schon wieder den Menschen. Keiner ist fähig, es dir gleichzutun oder dir zumindest zu helfen. Dein Feuer brennt zu heiß. Man haßt dich, auch wenn man dich bewundert. Das ist dein Los, und du willst es auch gar nicht anders haben.»
«Diese Macht haben nur Könige.»
«Stimmt», bestätigte Salomo. «Habe ich dir nicht bewiesen, daß du meine Hilfe hast? Und wenn du willst, kannst du weitaus mehr Gebrauch davon machen.»
Nichts wünschte sich Hiram mehr, als eine unverzügliche Rückkehr nach Ägypten, in das Land seiner Vorfahren. Wenn es jemanden gab, der ihm dabei helfen konnte, dann Salomo.
«Majestät, ich verlange von dir nichts weiter als die Herrschaft über die Baustelle, für die ich verantwortlich bin. Der Rest geht mich nichts an.»
«Du bist nicht Gott. Krankheit und Leiden lauern dir auf. Du bist schwach geworden, der Tempel ist gefährdet. Warum läßt du dir nicht mein Siegel auflegen, damit du gegen die bösen Mächte gefeit bist?»
Die Sterne funkelten. Die Insekten waren in ferne Gegenden abgezogen, um dort Unheil anzurichten, der Himmel war wieder rein und klar. In der nächtlichen Stille sang ein jetzt wieder laues Lüftchen.
«Folge du deinem Weg, Majestät, ich folge meinem.»
«Vereinen die sich nicht?»
«Sie kreuzen sich während der Jahre, in denen es die Baustelle gibt. Danach trennen sie sich wieder.»
«In Ägypten schenkt der Pharao seinen Angehörigen Leben, Gesundheit und Kraft. Das gilt auch für mich. Warum lehnst du dieses Geschenk ab?»
«Weil ich nicht dein Untertan bin, sondern ein Nomade, der Wort halten wird. Wenn das Gebäude erbaut ist, bin ich frei und kann gehen. Ich möchte dir nichts schulden. Regiere du dein Land, und ich herrsche auf meiner Baustelle.»
Salomo beharrte nicht weiter. Er hatte den Baumeister zwar geschwächt, aber ihn nicht unterwerfen können.
«Majestät, vergiß den Menschen nicht. Die Lehrlinge, die Gesellen und die Werkmeister unterstehen nur einer einzigen Autorität, nämlich meiner. Ohne diese Hierarchie wird der Tempel nie das Licht des Tages erblicken.»
Kapitel 34