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Die Ärzte schafften es nicht, genug Augentropfen mit Antimon herzustellen. Wem die Eingeweide von Dämonen zerrissen wurden, der mußte Aufgüsse von Rosmarin, Raute und dem Saft aus Palmenwurzeln trinken.

An die zwanzig Lehrlinge wollten Meister Hiram sprechen. Anup knurrte. Kaleb antwortete ihnen, daß der Baumeister an den Plänen zu seinem Hauptwerk arbeite und sie später zusammenrufen würde. Doch der Anführer ließ nicht locker, so daß es Kaleb wagte, Hiram zu stören.

Dieser ließ von seiner Arbeit ab und ging zu seinen Lehrlingen. Beim Anblick seiner unwirschen Miene verstummten sie.

«Was soll dieser Vorstoß? Habt ihr unsere Hierarchie vergessen? Wißt ihr denn nicht, daß ihr euch mit Anfragen an euren Lehrmeister richten sollt?»

Der Anführer, ein junger Mann um die zwanzig mit schmalen Schultern, fiel vor dem Oberbaumeister auf die Knie und warf mehrere Silberstücke auf die Erde.

«Nur du kannst etwas tun. Männer vom Frondienst wollten uns kaufen, wir haben jedoch abgelehnt. Aber warum müssen wir in schmutzigen Unterkünften hausen? Sind wir denn kranke Tiere für dich?»

«Ist Jerobeam nicht für eure Unterbringung verantwortlich?»

«Der behauptet, er gehorcht deinen Befehlen. Wir hätten lieber Zelte. Er hat uns zum Umzug gezwungen und sich dabei auf deine Befehle berufen.»

Also konnte der Name Hirams selbst innerhalb der Bruderschaft zu bösen Zwecken mißbraucht werden. Die Bande der Bruderschaft, die er geknüpft hatte, erwiesen sich als recht schwach.

«Führt mich zu eurer Unterkunft, ich will sie sehen.»

Es war eine schmerzliche Lehre für Hiram. Die Lehrlinge waren in niedrigen Häusern ohne Luft und Licht, mit fleckigen Wänden und rötlich bröckelndem Putz eingesperrt, in denen es von Schaben wimmelte. Kranke wälzten sich auf schmutzigen Binsenmatten.

«Verlaßt auf der Stelle dieses Elendsquartier», befahl Hiram, «und kehrt in das Zeltlager zurück.»

Als der Oberbaumeister Jerusalem durch das Haupttor verlassen und sich unverzüglich zum Tempel begeben wollte, stieß er auf eine tobende Menge von Fronarbeitern. Mehrere Arbeiter waren außer Rand und Band und riefen zum Streik auf. Sie beschwerten sich über unzureichenden Lohn, verzögerte Auszahlung und ungesunde Kost.

Hiram drängte sich durch ihre Reihen und stellte sich mitten unter sie. Niemand wagte, Hand an ihn zu legen. Die Aufrührer beruhigten sich. Als die Schreihälse schwiegen, ergriff der Baumeister das Wort.

«Eure Forderungen sind gerecht», räumte er ein. «Wo ist euer Fronvogt?»

«Jerobeam bereist die Provinzen», antwortete ein alter Mann. «Du bist unser Vogt! Du bist für unser Unglück verantwortlich.»

Die Spannung stieg erneut. Verwünschungen wurden laut.

«Wer den Fronvogt verleumdet, ist der ihm anvertrauten Arbeit nicht würdig», sagte Hiram. «Ihr gehört nicht zur Bruderschaft, sondern zum Frondienst, und den hat Jerobeam zu organisieren. Ich wende mich nicht an euch, sondern an den König. Als Oberbaumeister bekomme ich, was euch zusteht. Wer unter euch an meinem Versprechen zweifelt, der werfe mir einen Stein ins Gesicht.»

Der Kreis der Arbeiter teilte sich.

Ein Schrei erhob sich: «Ruhm und Ehre Meister Hiram!», und dem folgten noch an die hundert weitere.

«Wenn ich den Thronrat einberufen habe», so erläuterte Salomo, «dann weil wir ein wichtiges Dokument prüfen müssen, das gerade eingetroffen ist.»

In ganz Jerusalem wurde nur noch über die Absetzung Jerobeams geredet, die Meister Hiram gefordert und bekommen hatte, der nun auch Fronvogt war. Damit hatte der Baumeister noch mehr Macht. Nachdem er die Forderungen der Arbeiter erfüllt hatte, war der Baumeister mindestens so beliebt wie Salomo. Die Mitglieder des Rates waren überzeugt, daß der König sie einberufen hatte, weil man diese gefährliche Lage prüfen wollte, doch darum ging es gar nicht.

«Hier ist der Brief, den ich erhalten habe», fuhr der Herrscher fort:

«An meinen Bruder Salomo, den mächtigen König Israels, von seiner Schwester, der Königin von Saba. Die Bäume, die in meinem Lande wachsen, wurden am dritten Schöpfungstag noch vor der Erschaffung der Menschheit gepflanzt; die Flüsse, die meine Ländereien bewässern, haben ihre Quelle im Paradies; die Sabäer verstehen sich weder auf Krieg noch darauf, das Schwert zu führen. Ich schreibe dir als Friedensbotin. Ich habe dir mein Gold geschickt, weil du einen Tempel bauen wolltest. Nun hätte ich ihn gern gesehen und erfahren, zu welchen Zwecken die Reichtümer Sabas verwendet worden sind. Schickt mir mein Bruder eine Einladung an seinen Hof?»

Zadok, Elihap und Banajas waren verblüfft. Salomo fiel wirklich alles in den Schoß. Die Königin von Saba hatte ihr Land nämlich noch nie verlassen. Und jetzt wollte sie Jerusalem mit ihrer Anwesenheit Glanz verleihen!

«Zunächst einmal muß sich dir diese Frau bäuchlings zu Füßen werfen», forderte General Banajas argwöhnisch. «Sie vergißt, daß alle Herrscher dieser Erde deiner Weisheit huldigen müssen. Wenn sie sich weigert, lasse ich mein Heer auf sie los!»

Salomo beschwichtigte den Krieger.

«Wir empfangen sie so friedlich, wie sie vorschlägt», sagte der König. «Ihre Reise ist eine Huldigung an Jahwe.»

«Hüte dich vor dieser Frau», riet Zadok. «Selbst wenn sich die Königin in den Paradiesflüssen reinigt, wenn sie sich von den Früchten der Bäume ernährt, die vor dem Sündenfall gewachsen sind, wenn sie noch reicher ist als du, so ist deine Weisheit ihrer immer noch überlegen, oder etwa nicht?»

«Dieses Risiko gehe ich ein», meinte Salomo. «Gibt es andere Einwände gegen das Kommen der Königin von Saba?»

Die drei Ratsmitglieder schwiegen.

«Dann muß nur noch ein Mensch dazu befragt werden. Elihap, halte dich bereit, meine Antwort zu schreiben.»

Salomo unterhielt sich mit Meister Hiram gerade vor dessen Aufbruch nach Ezjon-Geber. Die beiden Männer gingen nebeneinander die gepflasterte Straße entlang, die Jerusalem mit Samaria verband.

«Jahwe schenkt uns ein Wunder, denn der Besuch der Königin von Saba steht uns ins Haus. Der Thronrat hat seine Zustimmung gegeben. Was meinst du dazu, Meister Hiram?»

«Du regierst in Israel, Majestät.»

«Möchtest du, daß die Königin bei der Einweihung dabei ist?»

«Meiner Ansicht nach wäre das ein Fehler. Dieser Augenblick ist der Unterhaltung zwischen dem König und seinem Gott vorbehalten. Den darf kein fremdländischer Herrscher stören.»

«Eine weise Vorsichtsmaßnahme», meinte Salomo. «Auf wann setzt du die Ankunft der Königin fest?»

«Wenn der Tempel geweiht ist und Palast und Nebengebäude fertiggestellt sind. Israels König soll ein fertiges Werk zum Bewundern haben.»

«Wieviel Zeit brauchst du noch, Meister Hiram?»

«Ein Jahr, Majestät.»

Jerobeam ließ seinem Zorn freien Lauf. Er hatte seine Stellung als Fronvogt verloren und war jetzt schlichter Aufseher in Jerusalems Pferdeställen. Die Lehrlinge hatten Verrat vorgetäuscht, weil sie Hiram warnen wollten, daß man etwas gegen ihn anzettelte. Der versuchte Aufstand der Fronarbeiter war gescheitert; Hiram hatte das Vorkommnis zu seinen Gunsten genutzt.

Der Baumeister wirkte genauso unantastbar wie der König. Beide Männer schienen unter göttlichem Schutz zu stehen.

«Sei zufrieden mit deinem Los», meinte Elihap. «Hiram höchstpersönlich hat sich für dich bei Salomo eingesetzt. Statt deine Absetzung wegen Unfähigkeit zu fordern, hat er um Nachsicht gebeten.»

«In den Augen der Schafherde, die ich gestern noch befehligt habe, bin ich zum Gespött geworden!» tobte der rote Riese. «Mich, den zukünftigen König dieses Landes, mich hat man zum Diener erniedrigt, über den sich jeder lustig macht!»