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»Ja, ganz bestimmt«, knurrte Kara. Sie trat ihm abermals in den Weg, und diesmal ließ sie sich nicht einfach beiseite schieben, sondern ergriff seine Schultern und schüttelte ihn heftig.

Donay blinzelte. Sein Blick löste sich von der furchtbaren Inschrift, tastete für einen Moment hilflos über Karas Gesicht und kehrte dann zu der Tafel hinter ihr zurück. »Das ist... unglaublich«, murmelte er.

»Das ist gräßlich!« sagte Kara. »Sieh nicht hin, Donay.«

Er schüttelte den Kopf. »Das ist es«, sagte er. »Und ich glaube, ganz genau das soll es sein.«

»Wie bitte?« Kara runzelte die Stirn.

»Schau es dir an!« Donay hob erregt die Hand und deutete auf die mannshohe Tafel hinter ihr. »Wer immer das gemacht hat, muß...« Er verriet Kara nie, wofür er den Schöpfer dieser gedankenverdrehenden Symbole hielt, aber sein Blick sprach Bände.

»Wir sollten gehen«, sagte Kara.

»Gehen?« Donays Augen lösten sich widerwillig von der Wand, um Kara auf eine Art zu mustern, als zweifle er an ihrem Verstand. »Wir sind extra hierher gekommen, um uns das da anzusehen.«

»Ja«, antwortete Kara ungeduldig. »Und nun haben wir es gesehen und können wieder gehen.«

»Verstehst du denn nicht?« Donay starrte wieder die Inschrift an und schob sie zum zweiten Mal aus dem Weg, um näher an die Wand zu treten. »Sieh es dir an, Kara. Begreifst du nicht, was das ist!«

»Nein«, antwortete Kara. »Und ich glaube, ich will es nicht begreifen.«

»Es ist nicht so schlimm, wie es im ersten Moment aussieht«, fuhr Donay erregt fort. »Bitte, versuch es, Kara. Es ist nur im ersten Moment schlimm.«

Kara zögerte. Sie verspürte kein großes Bedürfnis, sich das schreckenerregende Bild an der Wand noch einmal anzusehen.

Dann begegnete ihr Blick dem Cords, und was sie auf seinem Gesicht las, war eine tiefe, fassungslose Verwunderung.

Schließlich überwand Kara ihren Widerwillen und drehte sich mit einem Ruck herum.

Im allerersten Moment war es so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Die Zeichen schienen sie anzuspringen und ihre Seele zu vergewaltigen. Dann wurde es noch schlimmer - sie hatte einfach nur noch Angst, ohne zu wissen wovor. Doch plötzlich geschah genau das, was Donay behauptet hatte: Ihre Furcht erlosch beinahe ebenso rasch, wie sie gekommen war. Sie verging nicht ganz, sondern rumorte lediglich als bohrendes Unwohlsein weiter in ihr. Es kostete Kara noch immer spürbare Überwindung, neben Donay zu treten und sich die mannshohe Tafel genauer anzusehen.

Ihre Hoffnung, einen Sinn in den uralten Runen zu entdecken, erfüllte sich nicht. Es blieben fremdartige, düstere Zeichen, von denen sie jetzt zwar annahm, daß es Symbole einer untergegangenen Schrift waren, die ihr aber rein gar nichts sagten. Es waren Buchstaben von unterschiedlicher Größe und Form, die so tief in die Oberfläche der Platte hineingemeißelt oder gebrannt worden waren, daß nicht einmal zweihundert Jahrtausende sie völlig hatten auslöschen können. Hier und da sah die Schrift ein wenig verwischt aus. Im unteren Teil der Platte hatte jemand offensichtlich versucht, die Schrift auszulöschen: Das Metall war dort zerkratzt und von Schrammen übersät, und die Runen mit feuchtem Lehm oder Erdreich gefüllt, um die Schrift auf diese Weise unkenntlich zu machen, was allerdings erfolglos geblieben war.

»Weißt du, was das ist?« fragte Donay. In seiner Stimme lag keine Furcht mehr, sondern nur noch fasziniertes Erstaunen.

»Etwas, das mir nicht gefällt«, antwortete Kara, nachdem sie ihm einen raschen, prüfenden Blick zugeworfen hatte.

»Eine Warnung«, sagte Donay leise.

»Eine Warnung?« Kara warf wieder einen Blick auf die Platte.

»Wie kommst du darauf?«

»Sieh es dir doch an!« Donay deutete erregt mit der Hand. »Ich habe keine Ahnung, was diese Zeichen sagen - falls sie überhaupt irgend etwas sagen. Wer immer sie geschaffen hat, hat es nur aus dem Grund getan, zu warnen.«

»Ja«, grollte Kara. »Um harmlose Höhlenforscher zu erschrecken.« Die Worte klangen selbst in ihren eigenen Ohren schal. Ihr Versuch, dem Unheimlichen seinen Schrecken zu nehmen, indem sie es ins Lächerliche zog, scheiterte kläglich.

»Ja«, sagte Donay ernst. »Verstehst du denn nicht?« Plötzlich drehte er sich zu ihr herum und begann erregt zu gestikulieren. »Hier hat sich jemand sehr große Mühe gemacht, um etwas zu schaffen, das durch seinen bloßen Anblick schon erschreckend wirkt.« Er deutete aufgeregt auf Cord. »Erinnere dich, was er erzählt hat! Selbst den Hund hat es nervös gemacht.«

»Mich macht es auch nervös«, sagte Cord.

Kara sah ihn an und fragte sich, ob er vielleicht in Wahrheit ebenso erschrocken und entsetzt gewesen war wie sie und Donay und vielleicht einfach nur mit seiner Furcht besser fertig wurde.

»Aber welchen Sinn sollte so etwas haben?« fragte sie verstört. »Selbst wenn es möglich wäre.«

»Es ist möglich«, korrigierte sie Donay. »Sieh hin, und du hast den Beweis.«

»Und welchen Sinn!«

Er zuckte mit den Schultern. »Um uns vor irgend etwas zu warnen. Um jeden zu warnen, der hier herunter kommt.«

»Ach ja?« machte Kara nervös. »Und wovor?«

Donay antwortete nicht gleich, sondern musterte wieder die Platte. Ihre seitlichen Ränder waren fast fugenlos mit der Wand verbunden, aber ihre obere Kante bildete einen sichtbaren Absatz.

»Vielleicht vor etwas, was dahinter liegt«, murmelte Donay.

»Auf diese Idee bin ich auch schon gekommen«, sagte Cord.

Nach ihrer eigenen Furcht und der überschwenglichen Begeisterung Donays empfand sie Cords Nüchternheit als wohltuend.

»Worauf?« fragte Donay.

Cord deutete auf die Platte. »Daß es eine sehr massive Tür ist.« Er ballte die Hand zur Faust und schlug gegen den Stein neben der Platte. Kara hatte plötzlich die absurde Vorstellung, daß die Zeichen aus ihrer Jahrhunderttausend währenden Ruhe erwachen und sich auf die Hand stürzen mußten, die es gewagt hatte, sie zu schlagen.

»Hörst du? Das klingt nicht sehr hohl.«

»Was bedeutet das schon«, sagte Donay mit einer wegwerfenden Handbewegung.

»Das bedeutet, daß es für uns gleich sein kann, ob es nun nur eine Platte oder eine Tür ist«, antwortete Cord ruhig. »Wir haben nichts dabei, um sie aufzubrechen.«

Donay schüttelte ärgerlich den Kopf, trat dichter an die Wand heran und tastete mit spitzen Fingern über die verschlungenen, unangenehmen Linien der Runenschrift. »Du bist ein Krieger, Cord«, sagte er spöttisch. »Vielleicht ist es ja für dich der einfachste Weg, eine Tür kurzerhand einzuschlagen, die dir im Weg ist. Aber es gibt noch andere Möglichkeiten.« Er winkte den Erinnerer heran. »Frage«, sagte er mit dieser übertrieben modulierten Stimme, mit der er stets mit Irata zu sprechen pflegte. »Erkennst du in diesen Symbolen eine dir bekannte Schrift oder Zeichensprache wieder?«

Iratas trübe Augen richteten sich zum ersten Mal bewußt auf die Platte, und so etwas wie Leben blitzte in ihnen auf. Kara verstand sehr gut, warum so viele Menschen instinktiv Angst vor den Erinnerern hatten und fast alle Abscheu vor ihnen empfanden. Vielleicht war nicht alles gut, was Männer wie Donay mit der Natur anstellten.

»Antwort«, blubberte der Erinnerer. »Nein.«

Donay wirkte keineswegs enttäuscht. Er überlegte nur einen Moment, dann stellte er die nächste Frage. »Frage: Erkennst du eine mathematische oder sonstwie geartete Regelmäßigkeit in diesen Zeichen!«

Diesmal dauerte es länger, bis Irata seine Antwort hervorwürgte. »Antwort: Ja.«

Donay frohlockte, und der Erinnerer fuhr nach einem keuchenden Atemzug fort: »Aber die Informationen reichen nicht für eine wörtliche oder auch sinngemäße Übersetzung aus.«

Donay seufzte enttäuscht. »Wenn du lange genug mit ihm herumgespielt hast, dann können wir vielleicht endlich gehen«, sagte Kara ungeduldig. Sie machte eine Kopfbewegung zur Decke. »Wir haben noch ungefähr vierundachtzigtausend Stufen vor uns, falls du das vergessen haben solltest.«