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Wortlos sah Kara weiter zu, wie der Erinnerer die Tafel anstarrte, während Donay dabeistand und vergeblich zu verheimlichen suchte, daß auch er immer nervöser wurde.

Kara hatte keine Möglichkeit, das genaue Verstreichen der Zeit festzustellen, aber sie schätzte, daß die fünf Minuten, die sie Donay zugebilligt hatte, allmählich vorüber sein mußten.

Und sie wollte ihn endgültig zum Aufbruch auffordern, als Irata plötzlich aus seiner Starre erwachte und einen Schritt tat.

Cord und sie waren gleichzeitig an der Seite des Erinnerers, aber es hätte Donays drohenden Blickes gar nicht bedurft, daß sie ihn nicht unterbrachen. Gegen ihren Willen fasziniert sah Kara zu, wie Iratas Finger, die für gewöhnlich kaum in der Lage waren, eine Schale Suppe zu löffeln, so geschickt und schnell wie die Hände eines Künstlers über die verschlungenen Symbole glitten, hier etwas ertasteten, dort drückten - und dann hörten sie alle ein dumpfes, metallenes Schnappen wie das Einrasten eines gewaltigen Riegels.

»Was war das?« fragte Cord alarmiert. Jeder Spott in seiner Stimme war verschwunden. Plötzlich hatte auch er Angst.

»Er hat es geschafft!« sagte Donay stolz. »Es ist eine Tür.«

»Sie bewegt sich nicht«, sagte Cord ruhig.

Donay schenkte ihm einen beinahe feindseligen Blick, dann hob auch er die Hände und legte die gespreizten Finger auf die Platte. Kara sah, wie sich seine Muskeln spannten, als er mit aller Kraft drückte und schob. Ebensogut hätte er allerdings auch versuchen können, die Wand daneben mit bloßen Händen niederzureißen.

»Helft mir!« sagte er gepreßt. »Sie muß irgendwie aufgehen.« Er rüttelte, schob und zerrte, aber aus den in die Platte hineingeätzten Linien löste sich nicht einmal ein Staubkorn. Schließlich trat er keuchend und mit schweißglänzendem Gesicht zurück und maß Kara und Cord mit einem düsteren Blick. »Es ginge wahrscheinlich leichter, wenn ihr mir helfen würdet«, sagte er.

»Ich... bin nicht sicher, daß ich wirklich wissen will, was dahinter liegt«, sagte Kara zögernd.

»Elder würde es interessieren«, antwortete Donay. »Willst du abwarten, bis er hier herunterkommt und nachsieht?«

Nein, das wollte sie ganz gewiß nicht. Aber sie wollte auch nicht hinter diese Tür schauen. Sie wünschte sich, niemals hierhergekommen zu sein. Etwas Furchtbares würde geschehen, wenn sie sie öffneten. Vielleicht war dies die Alte Welt, wie Donay behauptete, und vielleicht hatten sie hinter dieser Tür all die Schrecken eingesperrt, die zum Untergang ihrer Welt geführt hatten.

Donays Augen funkelten, als er begriff, daß weder sie noch Cord ihm helfen würden. »Was soll dieser Unsinn?« fragte er aufgebracht. »Was seid ihr? Kinder, die sich vor einem Springteufel fürchten?« Er schlug wütend mit der Faust gegen die Platte - und wäre beinahe mit wirbelnden Armen in den dahinterliegenden Raum gestürzt, als die Tür mit einem Knirschen, wie sie nur Jahrtausende alte Scharniere hervorzubringen vermochten, aufschwang. Im letzten Moment fand er am Türrahmen Halt und sprang mit einem Keuchen und schreckensbleich zurück.

Auch Kara erstarrte vor Entsetzen. Die Dunkelheit auf der anderen Seite der Tür schien sie zu überrollen wie eine Flutwelle.

Nichts geschah. Zehn Sekunden, zwanzig, dreißig, schließlich eine Minute lang standen sie alle drei wie gelähmt da und starrten die Schwärze jenseits der Tür an, und nichts kam heraus, um sie zu verschlingen. Alles, was sie fühlte, war ein leichter Luftzug - dem wenige Augenblicke später ein fauliger Geruch folgte, der einen heftigen Brechreiz in Kara auslöste. Es gelang ihr, die Übelkeit zu unterdrücken. Trotzdem kostete es sie enorme Überwindung, neben Donay zu treten und den Leuchtstab zu heben, so daß sein grünes Schimmern in den dahinterliegenden Raum fiel.

Was sie sah, das enttäuschte und erleichterte sie zugleich.

Das Licht ihrer leuchtenden Stäbe erhellte eine Dunkelheit, die Jahrtausende gewährt haben mußte. Der Raum hinter dieser Tür mußte gewaltig sein. Aber das Licht verlor sich schon nach wenigen Schritten, ohne ihnen mehr zu zeigen als staubige grüne Leere und zwei oder drei Schritte eines Fußbodens, der aus geriffeltem Metall bestand.

Cord griff unter sein Hemd und zog einen weiteren Leuchtstab hervor. Kara bemerkte nicht ohne eine gewisse Sorge, daß sein Vorrat bereits bedenklich zusammengeschrumpft war.

Wenn sie weiter so verschwenderisch mit ihrem Licht umgingen, dann würden sie den Rückweg im Dunkeln zurücklegen müssen, dachte sie. Aber sie sprach ihre Besorgnis nicht aus, sondern sah schweigend zu, wie Cord die Hülle von dem Leuchtstab entfernte und ihn dann im hohen Bogen in den Raum hinter der Tür warf. Ihre Blicke folgten gebannt dem Weg, den die flackernde, grüne Leuchtkugel beschrieb, ehe sie irgendwo ein gutes Stück entfernt auf den Boden prallte und liegenblieb. Sie hatten nichts anderes feststellen können, als daß der Raum sehr groß und offensichtlich vollkommen leer war.

Widerwillig gestand sie sich ein, daß sie den Raum wohl oder übel betreten mußten, wollten sie mehr über ihn herausfinden.

Ihre Hand mit dem Leuchtstab hoch über dem Kopf erhoben und mit angehaltenem Atem, machte Kara ein paar Schritte vor. Die Luft roch noch immer zum Erbrechen, und ihre Hoffnung, daß sie sich daran gewöhnen würde, erfüllte sich nicht.

Der Raum war eine einzige Enttäuschung. Mit Ausnahme des Umstandes, daß der Fußboden aus Metall bestand, auf dem ihre Schritte unheimliche, lang widerhallende Echos hervorriefen, bot er keine Besonderheit. Sie näherten sich vorsichtig dem Leuchtstab, dessen grünes Licht wie ein Signalfeuer zwanzig Meter vor ihnen brannte, blieben ganz instinktiv einen Herzschlag lang im Schein dieses Lichtes stehen und erreichten nach weiteren zwanzig oder auch dreißig Schritten die gegenüberliegende Wand des Raumes. Kara registrierte, daß sie aus dem gleichen, sonderbar rauhen grauen Stein bestand wie die andere Kammer.

Es gab eine zweite Tür, die mit einer simplen Klinke versehen war, die Donay zu Karas Verärgerung kurzerhand herunterdrückte. Sein Versuch, die Tür einfach zu öffnen, scheiterte jedoch. Ärgerlich lehnte er sich mit der Schulter dagegen und drückte mit dem ganzen Gewicht seines Körpers. Die Tür bewegte sich mit einem furchtbaren Quietschen lediglich ein winziges Stück nach innen. Erst als sich Cord zu Donay gesellte und ihm half, gelang es ihnen, sie so weit aufzuschieben, daß sie sich hindurchquetschen konnten.

Die Luft wurde noch schlechter, als sie den dahinterliegenden Raum betraten. Kara fiel erst jetzt die Kälte auf und der feuchte, klebrige Hauch, der sich auf ihr Gesicht, ihre Hände und ihre Kleider gelegt hatte. Zu der ohnehin würgenden Übelkeit in ihrem Magen gesellte sich ein heftiges Ekelgefühl. Mit gesenktem Blick und krampfhaft schluckend trat sie neben Cord und stieß plötzlich gegen etwas Hartes. Im selben Augenblick ergriff Donay ihre linke Schulter und hielt sie zurück. Als Kara erschrocken aufblicke, verstand sie, warum er es getan hatte.

Auch der Boden dieses Raumes bestand aus jenem geriffelten, schmutzverkrusteten Metall, aber es war hier nur ein knapp eineinhalb Meter breiter Steg, der von einem hüfthohen Geländer begrenzt wurde. Darunter, in vier oder fünf Metern Tiefe, schwappte eine ölige, schwärzliche Flüssigkeit, die das Licht ihrer Leuchtstäbe nur schwach zurückwarf. Es dauerte einen Moment, bis Kara klarwurde, daß diese Brühe der Quell jenes furchtbaren Geruches war, der ihr allmählich das Gefühl gab, ersticken zu müssen.

»Was ist das?« fragte sie angewidert.

Sie bekam keine Antwort, aber Donay schwenkte seinen Stab, um den Metallsteg zu erhellen. Der Steg setzte sich entlang der Wand fort, aber es gab in wenigen Schritten Entfernung eine schmale Unterbrechung im Geländer, hinter der eine Metalleiter in die Tiefe führte. Wie weit sie reichte, konnte man nicht erkennen, denn sie verschwand nach zwei oder drei Dutzend Sprossen in dem schwarzen See unter ihnen. Karas Magen drehte sich schon bei der bloßen Vorstellung herum, daß irgend jemand in diesen Schlamm hinuntergestiegen sein sollte.