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»Ein Erdbeben«, flüsterte sie. Wie um ihr recht zu geben, erzitterte der Steg zum zweiten Mal.

Sie gingen schneller weiter. Nicht, daß sie rannten, aber sie bewegten sich doch so rasch, wie es Donay und Cord mit ihrer Last möglich war, und nicht nur Kara atmete hörbar auf, als sie den Saal hinter sich ließen. Der Boden unter ihren Füßen zitterte weiter. Es war ein Beben. Sie befanden sich nicht in seinem Zentrum, nicht einmal wirklich in seiner Nähe, aber sowohl Kara als auch die beiden anderen dachten daran, was ein eben solches Erdbeben dem Drachenhort angetan hatte, ehe eine andere, bösartigere Macht über ihnen hereingebrochen war.

Ohne auch nur noch einen Blick zurückzuwerfen, durchquerten sie den leeren Raum und betraten die kleine runde Kammer, in der Irata auf sie wartete.

Donay hielt an, setzte seine Last auf den Boden und blieb erschöpft stehen. Auch Cord verlagerte das Gewicht der Metallkiste, die er trug, ein paarmal ungeschickt auf den Armen und atmete tief durch. Kara wußte zwar, daß es ein unter Umständen gefährlicher Trugschluß sein mochte - doch selbst sie fühlte sich hier sicherer. Dabei gab es hier unten wahrscheinlich keinen Ort, an dem sie sicher waren. Ein Erdbeben in einer Stadt wie Schelfheim... Nein, sie konnte und wollte sich nicht vorstellen, was das bedeutete.

Sie gewährte sich und den beiden anderen eine Minute, um wieder zu Atem zu kommen, dann machte sie ein Zeichen weiterzugehen. Aber Donay schüttelte den Kopf. »Noch nicht«, sagte er. »Bitte, warte noch ein paar Augenblicke.«

»Wie lange?« fragte Kara gereizt. »Bis uns die ganze Stadt auf den Kopf fällt?«

Donay atmete tief ein und aus und versuchte, sich den Schmutz aus dem Gesicht zu wischen. »Nur eine Minute«, sagte er. »Oder zwei. Bitte.« Er wartete Karas Antwort nicht ab, sondern winkte Irata herbei. »Befehl!« sagte er mit einer Stimme, die hörbar schwankte. »Merke dir die Symbole auf der Tafel. Ich brauche später eine genaue Reproduktion.«

»Wozu soll das gut sein?« fauchte Cord.

Donay zuckte mit den Schultern. »Vielleicht gelingt es uns, es zu übersetzen.« sagte er. Dann schwieg er einen Moment, bevor er grimmig hinzufügte: »Schlimmstenfalls reicht es wahrscheinlich wenigstens aus, um eurem Freund Elder einen gehörigen Schrecken einzujagen.«

»Wie lange braucht er?« fragte Kara nervös.

»Nicht lange«, antwortete Donay. »Er vergißt nie etwas, das er einmal gesehen hat.«

»Du auch nicht, denke ich.«

»Das stimmt«, erwiderte Donay. »Aber sicher ist sicher.«

Der Erinnerer löste seinen Blick von der Tür mit der unangenehmen Inschrift und gurgelte ein Wort, das Kara nicht verstand, auf das Donay aber mit einem zufriedenen Nicken reagierte. Ächzend nahm er seine Last wieder auf. Wenige Augenblicke später verließen sie die runde Kammer und begannen den langen, kräftezehrenden Aufstieg hinauf nach Schelfheim.

45

Als sie Stunden später verdreckt und bis zum Umfallen erschöpft aus dem Korb stiegen, den ein Dutzend keuchender, verschwitzter Gardesoldaten mit Hilfe einer quietschenden Seilwinde nach oben kurbelten, da wartete die nächste Katastrophe bereits auf sie. Es war nicht das Erdbeben, das kaum heftig genug gewesen war, ein paar Teller und Krüge von ihren Regalen herunterzustürzen und zerbrechen zu lassen, und es waren auch nicht die Libellen, die zurückgekommen waren, aber in der Stadt herrschte ein hektisches Durcheinander, und die Luft war voller Drachen. Kara hörte ein entferntes, zorniges Brüllen, und sie sah orangeroten flackernden Feuerschein hinter den flachen Dächern im Norden.

Noch ehe der Korb vollends zum Stillstand gekommen war, sprang sie mit einem ungeduldigen Satz hinaus und griff sich den erstbesten Soldaten, den sie erreichen konnte. »Was ist passiert? Werdet ihr angegriffen?«

Der Mann versuchte, ihre Hand abzustreifen. Karas Griff war so fest, daß er kaum Luft bekam. »Ja... nein, ich... ich weiß nicht«, stammelte er.

»Libellen?« mischte sich Cord ein.

»Nein. Sie erzählen etwas von... von irgendwelchen Ungeheuern, die aus dem Schlund gekommen sein sollen«, antwortete der Soldat.

»Ungeheuer?« Donay, der taumelnd unter seiner Last aus dem Aufzugkorb kam, zog die Augenbrauen hoch. »Was ist das für ein Unsinn.«

»Ich weiß es doch nicht!« beteuerte der Gardist. »Ich war die ganze Zeit hier. Ich habe nur gehört, was sie sich zugerufen haben, und -«

Ein mächtiges Rauschen und Brausen in der Luft unterbrach ihn und ließ Kara aufblicken. Sie zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern, aber lief im gleichen Moment auch schon los. Als Markors Krallen sich knirschend in die Ruinen eines Hauses auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes gruben, hatte sie den Krater bereits umkreist.

Ein zweiter Schatten verdunkelte die Sonne. Kara sah auf und beantwortete das Winken des Drachenreiters mit einer hastigen Geste, dann hatte sie Markor erreicht und kletterte hastig in den Sattel in seinem Nacken. Der Drache wartete nicht einmal, bis sie sich festgebunden hatte, sondern stieß sich mit einem gewaltigen Satz ab und segelte dicht über den Dächern der Stadt nach Norden.

Kara entdeckte den Feuerschein. Einige der Häuser am nördlichen Stadtrand standen in Flammen, und je weiter sie sich dem Schlund näherten, desto größer wurde die Anzahl der Menschen, die ihnen entgegeneilten, manche mit Taschen, Säcken oder anderen Gepäckstücken beladen. Trotzdem dauerte es noch einige Augenblicke, bis Kara begriff, daß diese Menschen vor irgend etwas flohen. Etwas, das aus dem Norden kam und von dort aus in die Stadt eingedrungen war. Was hatte der Mann gesagt? Ungeheuer aus dem Schlund?

Wieder loderte das grellorange Feuer eines Drachen vor ihr auf. Kara sah, wie der Flammenstrahl einen Häuserblock eine halbe Meile vor dem Schlund traf und in Brand setzte - aber sie konnte beim besten Willen nicht erkennen, worauf der Drache gezielt hatte.

Sie ließ Markor langsamer fliegen und ging weiter hinunter.

Die gleichmäßig schlagenden Schwingen des Drachen berührten jetzt beinahe die Häuser. Hier und da schien der Anblick des Drachen den Menschen neuen Mut zu geben, denn sie blieben stehen und winkten ihr zu, manche machten gar kehrt und rannten ein Stück im Schatten des riesigen Tieres in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, aber bei den meisten schien Markors Auftauchen die Angst nur noch zu verstärken.

Kara beugte sich weit im Sattel vor und hielt nach dem Grund der Massenflucht Ausschau.

Sie brauchte nicht lange zu suchen.

Sie war noch mehr als eine Meile vom Rande der Stadt und damit dem Schlund entfernt, als sie ein gewaltiges, häßliches Etwas erblickte, das auf zu vielen mißgestalteten, kurzen Beinen hinter der Menschenmenge herlief. Im allerersten Moment kam ihr die Gestalt so grotesk vor, daß sie ein Lachen unterdrücken mußte und sich verblüfft fragte, wieso all diese Menschen dort unten vor ihr davonliefen. Aber dann sah sie die schnappenden Kiefer und die blind herumtastenden, mit Stacheln versehenen Greifarme der Kreatur und machte sich klar, daß der Anblick allerhöchstens von der sicheren Höhe des Drachenrückens aus komisch wirkte.

Kara zog Markor herum, steuerte in einer eleganten Schleife auf das Monster zu und verbrannte es mit einem kurzen, gezielten Feuerstoß. Gleichzeitig wurde ihr allerdings bewußt, wie nutzlos dieses Unterfangen war. Während des kurzen Rundfluges hatte sie gesehen, daß die Straßen unter ihr von allen möglichen und unmöglichen Monstern nur so wimmelten. Eine halbe Meile vor dem Schlund hatte sich eine mindestens fünf Meter große Spinnenkreatur eingenistet und bereits damit begonnen, in aller Seelenruhe ein gewaltiges Netz zwischen den Häusern zu spinnen. Sie würde nicht allzu weit damit kommen, denn gleichzeitig hatte etwas, das wie der Urgroßvater sämtlicher Käfer auf diesem Planeten aussah, damit begonnen, eines der Häuser aufzufressen, an denen sie ihre Fäden befestigt hatte.