Die Männer hatten das Tor aufgeschweißt, und wie Kara geahnt hatte, stießen sie sofort auf heftigen Widerstand. Eine große Anzahl von Company-Soldaten hatte sich auf dem dahinterliegenden Gang verschanzt und nahm alles unter Feuer, was auch nur die Nase ins Freie streckte. Zwei von Thorns Soldaten wurden getroffen und brachen tot zusammen, ehe Kara Thorn die Sinnlosigkeit dieses Angriffes klarmachen konnte und er seine Soldaten zurückrief.
Wieder blickte sie zum Tor, aufmerksam geworden durch eine Bewegung, die sie aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte. Ein Drache näherte sich dem Schiff, korrigierte seinen Kurs im letzten Moment und schwebte dann mit reglos ausgebreiteten Schwingen das letzte Stück auf das Tor zu.
Er erreichte es nie.
Kara schloß entsetzt die Augen, als sie sah, wie ein blaßblauer Lichtstrahl Kopf und Hals des Drachen samt des Reiters berührte und in Flammen aufgehen ließ. Vom Schwung seiner eigenen Bewegung vorwärtsgetragen, segelte der Drache noch ein Stück weiter, und für eine unendlich kurze Zeitspanne sah es fast so aus, als würde er das Tor trotzdem noch erreichen.
Weniger als zehn Meter vom Rumpf des Schiffes entfernt kippte der Drache plötzlich zur Seite und schüttelte seine Reiter ab.
Als sie die Augen wieder öffnete, blickte sie in Thorns Gesicht. Seine Miene war kalt wie Stein. Von einer Art kalter, fast emotionsloser Wut gepackt, richtete sie sich auf, griff unter ihren Mantel und zog eines der mit weißem Staub gefüllten Gläser hervor. In Thorns Augen erschien zum ersten Mal etwas wie Schrecken, aber er versuchte nicht, sie aufzuhalten, sondern bedeutete seinen Soldaten im Gegenteil mit Gesten, ihr Deckung zu geben, als sie sich geduckt dem aufgebrochenen Tor näherte.
Wieder einmal hatte sie einfach Glück. Vier- oder fünfmal verfehlte sie ein Schuß nur um Haaresbreite, und zwei weitere Krieger bezahlten mit dem Leben dafür, die Angreifer mit einem wahren Gewitter von grünen Lichtblitzen in Deckung zurückzutreiben, bevor Kara nahe genug heran war, ihr Glas zu schleudern.
Sie warf es mit aller Kraft, ließ sich aus der gleichen Bewegung zur Seite fallen, kam mit einer Rolle wieder auf die Füße. Das Klirren von zerberstendem Glas drang an ihr Ohr, und auch jetzt vergingen Sekunden, bis das Feuer aus dem Gang allmählich nachließ.
Nur ein einzelnes Gewehr schoß gleichmäßig und so monoton wie eine Maschine weiter, aber die blauen Blitze waren nicht mehr gezielt, sondern schlugen alle an der gleichen Stelle irgendwo in der Wand ein, und als Kara sich vorsichtig hinter ihrer Deckung erhob und auf den Gang hinauslugte, da sah sie, daß der Mann, der das Gewehr hielt, sich aufgerichtet hatte und breitbeinig dastand; er lächelte wie ein schwachsinniges Kind. Thorn hob seine Waffe und erschoß den Mann.
Das Gefühl eisigen, beinahe lähmenden Entsetzens breitete sich in Kara aus, als sie den Gang überblickte. Die Wirkung ihrer Staubbombe war längst nicht groß genug gewesen, sämtliche Männer dort draußen zu erfassen, aber die, die davongekommen waren, schienen in hellem Entsetzen die Flucht ergriffen zu haben, als ihnen das Schicksal ihrer Kameraden klar wurde. Kara sah achtlos weggeworfene Waffen und Helme, liegengelassene Funkgerät und andere Dinge, die auf eine panische Flucht hindeuteten.
Ein zweiter Drache näherte sich dem Schiff und steuerte auf die aufgebrochene Luke zu. Und diesmal schaffte er es. Knapp und mit einem fast ängstlichen Grunzen, aber so präzise wie ein von einem Meisterschützen abgeschossener Pfeil glitt das riesige Tier in den Hangar und berührte den Boden. Auf seinem Rücken befanden sich gute zwei Dutzend Männer, die rasch über die noch immer ausgebreiteten Schwingen nach unten kletterten und zu ihnen eilten.
Kara sah, wie der Reiter des Tieres versuchte, seinen Drachen auf dem engen Raum herumzudrehen, um den Hangar wieder zu verlassen. Sie gestikulierte ihm, zu bleiben, rannte rasch zu ihm hinüber und bildete mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. »Was ist los?« schrie sie. Sie verzichtete absichtlich darauf, den Rufer zu benutzen. »Was ist mit den Konvertern? Wieso zerstört ihr sie nicht?«
Kara hatte sie gesehen, als das Schiff landete: zwei riesige, bläulich schimmernde Halbkugeln aus Kristall, die über dem Heck des Schiffes angebracht waren und seine stärkste Waffe, zugleich aber auch seine größte Schwäche darstellten. Thorn hatte versucht, es ihr zu erklären. Natürlich hatte sie es nicht wirklich verstanden, aber immerhin hatte sie begriffen, daß diese zerbrechlichen Gebilde aus Glas und Kristall so etwas wie das schlagende Herz dieses Schiffes waren. Zerstörten sie es, dann fiel der größte Teil seiner Energieversorgung aus.
»Wir versuchen es!« schrie der Drachenreiter zurück. »Aber wir kommen nicht heran! Wir haben schon viele Tiere verloren!«
Die Worte trafen Kara wie ein Hieb. Für eine Sekunde wollte sie einfach aufgeben. Ihre Waffe aus der Hand legen, zu Elder gehen und ihn bitten, mit ihr und Thorn zu machen, was er wollte, solange er nur die anderen am Leben ließ.
Aber sie wußte auch gleichzeitig wie absurd und naiv dieser Wunsch war. Er würde es nicht tun. Dies war kein Kampf, in dem es ein Unentschieden oder eine ehrenvolle Niederlage geben konnte.
»Versucht es weiter«, sagte sie. Sie sprach sehr leise, so leise, daß der Mann auf dem Rücken des Drachen ihre Worte unmöglich verstehen konnte. Aber er schien sie zu erraten, denn er nickte, wartete, bis Kara sich in sichere Entfernung zurückgezogen hatte, und fuhr dann fort, sein Tier in der engen, mit Trümmern und Leichen übersäten Halle herumzudrehen. Schließlich gelang es ihm. Mit einem kraftvollen Ruck stieß sich der Drache am Rand des Hangartores ab und schwang sich wieder in die Höhe. Und vermutlich in den Tod, dachte Kara bitter.
Hrhon hatte Elder herbeigebracht, als sie zu Thorn und seinen Männern zurückkehrte. Elders Gesicht war eine unbewegliche Maske, in der sich Zorn und Verbitterung mit einem Ausdruck von völligem Nichtverstehen mischten. Ein entsetzlicher Gedanke machte sich in Kara breit. Was würde geschehen, wenn sie sich geirrt hatte? Wenn Elder die Wahrheit gesprochen hatte und Thorn log? Wenn alles nur ein fein eingefädeltes Intrigenspiel war, das dem einzigen Zweck gedient hatte, sie tun zu lassen, was sie jetzt tat?
Der Gedanke war zu entsetzlich, um ihn weiter zu verfolgen.
Wieder erzitterte das Schiff unter einem dumpfen Schlag, und diesmal folgte ihm eine grollende Explosion. Die Erschütterung schien Elder aus seiner Erstarrung zu wecken, denn das Leben kehrte in sein Gesicht zurück. Er sah Thorn an, schien etwas sagen zu wollen, tat es dann aber nicht, sondern drehte den Kopf, um Kara anzublicken. Der Vorwurf in seinen Augen schmerzte sie tief.
Thorn hob seine Waffe und stieß Elder den Lauf grob in den Leib. Elders Lippen zuckten, aber er gab keinen Schmerzlaut von sich. Nur ganz flüchtig sah er Thorn an, dann blickte er wieder in den Gang hinaus. Es mußten zwanzig, wenn nicht dreißig seiner Leute sein, die dort saßen oder hockten, auf den Knien herumkrochen, sich schaukelten, einfach auf der Stelle standen und andere, sinnlose und manchmal schreckliche Dinge taten. Und wenn er wirklich begriffen hatte, was mit ihnen geschehen war, dann schien er sich zumindest für den Moment noch zu weigern, es zu glauben.
»Du wirst uns jetzt den Weg in die Zentrale dieses Schiffes zeigen«, sagte Thorn. »Und möglichst einen, auf dem wir nicht in einen Hinterhalt laufen.«
Elder würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. Thorn wollte seine Aufforderung wiederholen, und Kara sah, wie sich seine Hände fester um das Gewehr schlossen. Sie winkte rasch ab und zog mit der gleichen Bewegung Elders Aufmerksamkeit auf sich.
»Wir wollen nicht, daß deine Leute sinnlos sterben«, sagte sie. »Gib ihnen den Befehl, aufzugeben, und du hast mein Wort, daß keinem auch nur ein Haar gekrümmt wird.«
»Wie großzügig«, sagte Elder verächtlich. »Aber du glaubst doch nicht wirklich, daß ich das tue.«