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An der Wand gleich neben der Tür, durch die sie hereingekommen waren, hing ein Bild. Kara ging hin und war im ersten Augenblick enttäuscht, denn die Farben waren natürlich längst verblaßt und verschwunden. Aber dann sah sie, daß der Staub die Umrisse auf der versteinerten Leinwand nachgebildet hatte, nicht so, daß sie das Bild wirklich erkennen konnte, aber doch so, daß sie zu ahnen glaubte, was es einmal gewesen war. Und was immer es war, es machte ihr angst und ließ sie schaudern.

»Unheimlich, nicht wahr?«

Kara fuhr herum und erkannte Cord, der lautlos hinter sie getreten war. Er war erschöpft und verdreckt; wahrscheinlich war er schon seit Stunden hier.

»Was?« fragte Kara.

Cord deutete auf das Bild. »Dieses Bild. Es ist irgendwie... seltsam.«

Kara schwieg, und Cord fuhr mit einem flüchtigen Lächeln fort: »Es hat auf uns alle dieselbe Wirkung. Wenn du es einen Moment lang betrachtest, macht es dich nervös. Aber je länger du hinsiehst, desto mehr Angst bekommst du. Ich bin nicht sicher, ob ich wirklich wissen will, wie es einmal ausgesehen hat.« Er wechselte übergangslos das Thema und grinste Kara breit an. »Das blaue Auge steht dir übrigens ausgezeichnet.«

Kara schenkte ihm einen bösen Blick und machte eine weite Geste, die den ganzen Raum umfaßte. »Sie müssen... sehr seltsam gewesen sein«, sagte sie. »Ganz anders als wir. Ob sie wohl Menschen waren?«

»Wer will das sagen?« antwortete Cord achselzuckend. »Und wen interessiert es? Ich glaube nicht, daß wir das jemals herausfinden werden.«

»Ist das die Stelle, an der sie verschüttet wurden?« fragte sie.

Cord blickte dahin, wo Jan, die Gräber und die anderen arbeiteten. Er nickte. »Es geschah ganz plötzlich. Es gab keine Warnung, kein Beben, nichts. Der Stollen ist einfach zusammengebrochen.«

»Vielleicht waren die Streben nicht fest genug?« fragte Kara, eigentlich nur, um überhaupt etwas zu sagen.

»Nein«, erwiderte Cord heftig. »Ich selbst habe die Arbeiten überwacht. Die Stützpfeiler hätten das zehnfache Gewicht getragen.«

Kara begriff, daß sie einen wunden Punkt berührt hatte.

Cord war ein sehr umsichtiger Mann; sie war sicher, daß er keinen Fehler bei seiner Arbeit gemacht hatte. Aber sie war auch ebenso sicher, daß er sich fragte, ob es nicht doch seine Schuld war. Daher kam auch seine Besessenheit, die drei toten Drachenkrieger zu finden. Er würde sich für den Rest seines Lebens Vorwürfe machen, wenn er nicht den eindeutigen Beweis erbrachte, daß ihn keine Schuld traf.

»Was sucht ihr überhaupt hier?« fragte Kara. »Ich kann mich täuschen, aber ich glaube, wir sind ein ganzes Stück vom Pfeiler entfernt.«

»Frag Angella«, antwortete Cord ausweichend. »Es war ihr Befehl, hier zu graben.«

Kara spürte, daß Cord genau wußte, was sie hier unten suchten, aber er wollte - oder durfte - es ihr nicht sagen. Vielleicht war Cords Rat sogar klüger, als er selbst ahnen mochte - sie würde zu Angella gehen und sie fragen, und diesmal würde sie Antworten verlangen.

Sie versuchte, sich durch das Gedränge im vorderen Teil des Tunnels zu Angella vorzuarbeiten, kam aber kaum von der Stelle, weil sich die Drachenkämpfer und Arbeiter in dem Bemühen, sich gegenseitig zu helfen, eigentlich nur nach Kräften behinderten. Plötzlich hörte sie einen Schrei. Der Gräber auf der rechten Seite hörte auf, sich in den Erdboden hineinzuwühlen, und für Augenblicke entstand ein heilloses Durcheinander.

»Liss!« schrie Angella. »Das ist Liss! Grabt sie aus! Aber seid vorsichtig!«

Rücksichtslos schob sich Kara vor und kniete neben Angella nieder. Schulter, Arm und die zerschmetterte Hand einer Drachenkämpferin ragten leblos aus den Trümmern. Die Insignien ihres Ärmels wiesen die Tote als Liss aus.

Kara, Angella und Cord gingen so behutsam vor, als hätten sie ein verletztes Kind vor sich, während sie Liss' Körper mit bloßen Händen weiter ausgruben. Ein Gräber kam klickend und rasselnd herbei und wollte helfen, aber Angella scheuchte ihn davon. Den Hornkopf Liss' Leichnam auch nur berühren zu lassen, wäre einem Sakrileg gleichgekommen. So zerrten und gruben sie mit bloßen Händen weiter. Karas Hände waren schon nach Augenblicken rot von ihrem eigenen Blut. Sie registrierte den Schmerz nicht einmal.

Es dauerte lange, die tote Drachenkämpferin auszugraben, denn die lockeren Steinmassen rutschten immer wieder nach, aber schließlich konnten sie den leblosen Körper der Drachenkämpferin herausziehen. Instinktiv hielt Kara den Atem an, als sie den Leichnam herumdrehten und ihr Blick in Liss' Gesicht fiel, aber das Antlitz der Drachenkämpferin war nicht entstellt, es lag auf ihrem Gesicht ein fast friedlicher Ausdruck. Sie sah eher wie eine Schlafende denn wie eine Tote aus. Allerdings zog sich eine dünne, blutige Wunde von ihrer linken Hüfte bis zur rechten Schulter.

Kara starrte die tödliche Verletzung an und versuchte verzweifelt, das Gefühl nackten Entsetzens niederzuringen, das sich in ihr breitmachte. Liss war tot, aber es waren nicht die herunterstürzenden Erdmassen gewesen, die sie umgebracht hatten. Sie war auch nicht erstickt. Was sie umgebracht hatte, war ein Schuß aus einer Laserwaffe gewesen.

9

»Was wollt Ihr damit sagen?« Ein erstarrtes Lächeln lag auf Gendiks Zügen, das so falsch und schmierig wirkte wie der betont freundliche Klang seiner Stimme, Kara hatte spontan beschlossen, ihn nicht zu mögen.

Auch Angella brachte ihm offenbar nicht die größten Sympathien entgegen, Ihre Stimme klang so glatt und hart wie das Glas. »Ich will überhaupt nichts sagen, Exzellenz«, antwortete sie kühl. »Aber drei meiner Leute sind mit einem Laser oder einer ähnlichen Waffe erschossen worden. Und der Stützbalken eines Tunnels wurde offensichtlich mit der gleichen Waffe zerschnitten, um den Tunnel zum Einsturz zu bringen. Und das in einer Stadt, in der Schußwaffen bei Todesstrafe verboten sind. Außer für die Angehörigen Ihrer persönlichen Garde.«

»Schelfheim ist eine große Stadt«, antwortete Gendik mit einem ausdruckslosen Lächeln.

»Zählt der Tod von drei Menschen in einer großen Stadt weniger als in einer kleinen?« fragte Angella.

Gendik zeigte sich unbeeindruckt. »Ich will damit sagen, verehrte Angella, daß Schelfheim eine wirklich große Stadt ist. Die Stadtgarde umfaßt allein dreißigtausend Mann. Und jedes Jahr werden hundert oder hundertfünfzig davon getötet. Zwanzig oder dreißig von ihnen verschwinden einfach. Und mit ihnen ihre Waffen. In zehn Jahren macht das allein zwei- oder dreihundert; von den Diebstählen, Überfallen und Waffen, die auf dem schwarzen Markt angeboten werden, ganz zu schweigen. Und...« Er hob die Stimme in jener eingeübten, fast immer wirkungsvollen Art, zu der nur Politiker fähig sind.

»Eure Krieger genießen einen gewissen Ruf.« Gendik deutete mit einer gepflegten, aber sehr kräftigen Hand auf Kara. »Gestern erst hat dieses Mädchen, das aussieht wie ein Kind, das keiner Fliege etwas zuleide tun kann, vier meiner Männer niedergeschlagen und einen halben Krieg begonnen.«

»Ich bitte Sie, Exzellenz, das ist doch...«

»Es ist wichtig, Angella«, unterbrach sie Gendik. »Denn es beweist, daß ich recht habe. Man fürchtet Euch, Angella. Ihr genießt den Ruf, unbesiegbar zu sein. Stärke kann sich auch gegen den Starken selbst richten. Es wundert mich nicht, daß die Mörder Eurer Brüder und Schwester sich einer solchen Waffe bedienten. Würdet Ihr einen Drachenkämpfer mit dem Schwert in der Hand angreifen - vorausgesetzt, Ihr gehört nicht selbst zu ihnen?«

»Kaum«, gestand Angella. »Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, Gendik, daß man sie getötet hat. Ihr habt es selbst gesagt. Wir genießen einen gewissen Ruf. Niemand tötet einen Drachenkämpfer ohne einen sehr triftigen Grund.«