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Kara hatte nicht gelogen, als sie behauptete, nicht schwimmen zu können. Aber mit Elders Hilfe war es nicht einmal sehr schwer, durch das Wasser zu tauchen und nur ab und zu den Kopf zu heben, um zu atmen.

Schwieriger war es schon, in das riesige Holzstück hineinzuklettern, denn das Holz war so morsch, daß es unter jeder Berührung einfach abbrach. Nur mit äußerster Anstrengung gelang es Elder und ihr, sich auf den schwankenden Boden hinaufzuziehen. Geduckt, unsicher und sehr vorsichtig bewegten sie sich weiter. Sie mußten aufpassen, wo sie hintraten, denn nur zu oft gab der morsche Boden unter ihnen nach. Einmal brach Elder bis an die Hüften ins Wasser ein, ehe Kara ihn festhalten und wieder in die Höhe ziehen konnte.

Ein Blick über den Rand ihres schwimmenden Verstecks hinweg zeigte ihr, daß der Riesenfisch noch näher gekommen war, seine Fahrt aber verlangsamt hatte. Außerdem hatte sich ihre hölzerne Scholle in Bewegung gesetzt und trieb langsam vom Ufer fort.

Sie beratschlagten einen Moment lang, dann machte Elder einen Vorschlag, der Kara den puren Angstschweiß auf die Stirn trieb, obwohl er sie nicht einmal überraschte. Genaugenommen hatte sie die Idee schon selbst gehabt, es aber nicht gewagt, sie laut auszusprechen.

Mit Elders Hilfe brach sie ein längeres Stück aus der Rinde, ließ es ins Wasser gleiten und legte sich flach darauf. Elder war dicht neben ihr, als sie sich von ihrem schwimmenden Versteck trennten und mit gleichmäßigen Hand- und Fußbewegungen einen Kurs auf den Eisenfisch einzuschlagen versuchten - was sich als recht schwierig gestaltete, denn rings um das riesige Schiff kochte und brodelte das Wasser heftiger als je zuvor.

Dreißig oder vierzig Meter vom Ufer entfernt und fast auf gleicher Höhe mit Elder und ihr kam das Schiff schließlich zur Ruhe. Der weiße Schaum versiegte, und Kara hörte ein dumpfes Knirschen, als der stählerne Rumpf den Meeresboden berührte. Endlich lag es vollkommen still. Kara hörte eine Reihe dumpf polternder Schläge, die tief aus seinem Rumpf herausdrangen.

Sie sah sich nach Elder um. Sein Kopf hüpfte wie ein Korken drei oder vier Meter neben ihr auf den Wellen, und obwohl das Wasser so kalt war, daß Kara fast erwartete, kleine Eisklümpchen auftauchen zu sehen, brachte er die Unverschämtheit auf, sie anzugrinsen. Kara selbst hatte das Gefühl, im nächsten Moment nicht nur erfrieren, sondern vor Angst sterben zu müssen. Das Brett, auf dem sie lag, trug sie zuverlässig, und wahrscheinlich war das Wasser an dieser Stelle nicht einmal tief genug, um zu ertrinken. Aber all ihre Instinkte schrien ihr zu, daß der sichere Tod nur noch die Stärke eines verfaulten Brettes von ihr entfernt war. Sie mußte mit aller Macht die Panik niederkämpfen, die sie zu überwältigen drohte. Es war absurd - sie hatte in den letzten zehn Jahren gelernt, einen Drachen zwei Meilen über der Erde durch die Luft zu steuern, sie wagte auf Markors Rücken Flugmanöver, die selbst erfahrenen Drachenreitern den Angstschweiß auf die Stirn trieben, aber dieses seichte Wasser trieb sie vor Angst fast in den Wahnsinn.

Zu ihrem Entsetzen wandte sich Elder plötzlich dem offenen Meer zu und gab mit einem Zeichen zu verstehen, ihm zu folgen. Kara war viel zu starr vor Angst, um auch nur zu protestieren, und so paddelte sie ungeschickt hinter ihm her, zuerst ein gutes Stück von dem gewaltigen Boot fort, dann in einem weiten Bogen wieder zu ihm zurück, so daß sie sich ihm von der dem Ufer abgewandten Seite näherten.

Auf dem Eisenfisch hatte sich mittlerweile eine Klappe geöffnet, und ein gutes Dutzend Männer waren ins Freie getreten. Sie trugen die gleiche Art blauschwarzer Uniform wie jene beiden, die Kara und Elder oben getroffen hatten, und sie verbargen ihre Gesichter ebenso hinter bizarren Masken aus getöntem Glas. Voller Unbehagen registrierte Kara, daß ein großer Teil von ihnen mit den gläsernen Gewehren ausgerüstet war.

Zum Glück konzentrierte sich ihre Aufmerksamkeit völlig auf das vor ihnen liegende Ufer. Keiner warf auch nur einen Blick auf das Meer hinaus. Allerdings hätten sie Kara und Elder kaum entdeckt. Auf der fast schwarzen Wasseroberfläche waren sie so gut wie unsichtbar. Langsam trieben sie näher.

Das Schiff spie immer noch Männer aus, und aus einer zweiten, größeren Luke wurde eine Anzahl der runden Flugscheiben entladen. Kara vermutete, daß ihre Zahl begrenzt war, denn sie brachten jeweils zwei der glasbehelmten Krieger ans Ufer und flogen dann leer zurück, um weitere zu holen.

Als sie sich dem Schiff näherten, geriet das Deck außer Sicht.

Kara hörte noch immer das hohe Singen der Kristallscheiben.

Sie hoffte, daß alle Männer vom Deck des Schiffes verschwunden waren, wenn sie es erreichten. Gleichzeitig fragte sie sich zum ersten Mal, was sie dort eigentlich wollten.

Auf ihre Frage hin zuckte Elder mit den Schultern. »Wäre doch nett, wenn wir es erobern könnten, oder?«

»Wir beide?« Kara blickte schaudernd an der gewaltigen Flanke des stählernen Fisches hoch, die wie ein Berg aus Eisen vor ihnen aufragte. Einen winzigen Moment lang peinigte sie die Vorstellung, daß das Schiff sich plötzlich bewegen und sie unter seinem gewaltigen Leib zerquetschen könnte. Eine gräßliche Vorstellung. Sie schüttelte sie ab. »Du bist verrückt!«

»Wahrscheinlich. Aber es wäre wirklich phantastisch, dieses Ding in die Hände zu bekommen. Und sei es nur, um zu erfahren, wer diese Kerle eigentlich sind.«

Und schlimmstenfalls, dachte Kara, konnten sie sich immer noch verstecken und warten, bis der Gigant wieder abfuhr. Falls er irgendwann einmal wieder abfuhr und falls sie bis dahin nicht erfroren waren. Ihre Glieder waren schon gefährlich blau angelaufen. Kara sah ein, daß sie auf das Boot klettern mußten, ob sie wollten oder nicht. Wenn Flucht unmöglich war, was außer Angriff blieb ihnen dann schon noch?

An den Seiten des Schiffes waren in regelmäßigen Abständen eiserne Leitersprossen angebracht worden, aber Karas Finger waren so steifgefroren, daß sie drei Versuche brauchte, ehe sie sich auch nur auf die erste der drei Dutzend Sprossen emporziehen konnte. Der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. Mit zusammengebissenen Zähnen kletterte sie weiter, hielt aber immer wieder inne, um neue Kraft zu schöpfen. Das Leben kehrte schmerzhaft in ihre Finger und Zehen zurück, aber ihre Muskeln waren immer noch so verkrampft, daß sie nicht einmal sicher war, ob sie ihr Schwert würde halten können.

Sie hielt ein letztes Mal inne, als das Deck eine Handbreit über ihr lag, und warf einen Blick unter sich. Elder folgte ihr in dichtem Abstand. Er sah erschöpft und müde aus wie sie.

Sein Gesicht war grau, und er zitterte am ganzen Leib und hatte sichtliche Mühe, sich überhaupt noch auf der Leiter zu halten.

Und sie wollten dieses Monstrum von Schiff erobern? Sie mußten völlig verrückt sein!

Vorsichtig kletterte Kara weiter und warf einen Blick über das Deck. Es war verlassen, wie sie gehofft hatte. Nur ein einzelner Posten war zurückgeblieben. Er stand breitbeinig nur wenige Schritte von Kara entfernt, blickte zum Ufer und wandte ihr den Rücken zu.

Kara ließ sich wieder ein Stück zurücksinken und sah zu Elder hinab. »Ein Wächter«, flüsterte sie.

»Aha«, sagte Elder müde.

»Du oder ich?«

»Alter vor Schönheit«, murmelte Elder. »Ich schenke ihn Dir.«

»Danke«, knurrte Kara - obwohl sie gleichzeitig einsah, saß ihre Frage ziemlich überflüssig gewesen war. Sie war nun einmal die erste auf der Leiter. Vorsichtig zog sie sich weiter empor, bis sie zuerst das rechte, dann das linke Knie auf das Deck schieben konnte. Langsam richtete sie sich ganz auf und beobachtete den Posten mit angehaltenem Atem. Nichts. Er hatte sie nicht bemerkt. Seine Konzentration galt voll und ganz dem, was sich am Ufer abspielte.

Bis zu dem Moment, in dem Kara den ersten Schritt machte.

Das Wasser in ihren Stiefeln verursachte ein deutlich hörbares, quietschendes Geräusch, und der Posten fuhr erschrocken herum. Sein Unterkiefer klappte herunter, als er das dunkelhaarige, bis auf die Haut durchnäßte Mädchen hinter sich erblickte.