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»Ihr sagt es, Karoll - das Recht. Ihr macht eine Pflicht daraus. Ihr verachtet doch alle, die sich weigern, Eure... Spielzeuge zu benutzen.«

»Das Vermächtnis der Alten Welt, das Ihr als Spielzeug bezeichnet«, antwortete Karoll betont, »bringt viel Nutzen. Es war eine phantastische Zivilisation. Ihre Macht muß unvorstellbar gewesen sein.«

»Ja«, kommentierte Storm freundlich. »Deswegen ist sie auch untergegangen und hat die ganze Welt in Brand gesteckt.«

»Wir werden die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen«, entgegnete Karoll förmlich und wie auswendiggelernt.

»Das glaube ich sogar«, fügte Kara boshaft hinzu. »Ich bin sicher, Ihr werdet eigene machen.«

»Was meint Ihr damit?«

»Ihr seid doch nichts anderes als Lumpensammler«, sagte Kara. »Ihr wühlt in den Ruinen der Alten Welt und freut Euch wie Kinder, wenn Ihr wieder etwas findet - das ihr zumeist nicht einmal versteht. Was geschieht, wenn Ihr eines Tages nichts mehr findet?«

»Ich bitte Euch, Kara«, erwiderte Karoll ruhig. »Wir haben noch nicht einmal angefangen zu suchen. Wir wissen nicht, was auf den Kontinenten jenseits des Schlundes liegt.«

»Vielleicht andere Männer wie Ihr«, sagte Kara. »Männer, die gründlicher gesucht und mehr gefunden haben?«

»Und ganz abgesehen davon«, fuhr Karoll fort, ohne Karas Entgegnung zu beachten, »beginnen wir bereits, ihre Technik zu verstehen. Gebt uns noch hundert Jahre, und wir werden unsere eigenen Maschinen bauen.«

»Ihr habt keine hundert Jahre mehr«, sagte Kara ernst. »Nicht einmal mehr zehn, Karoll. Sie werden Euch diese Zeit nicht lassen.«

»Sie?«

»Die Männer, die ich mir eingebildet habe. Die Soldaten in dem Unterwasserschiff, das es gar nicht gibt. Die Gespenster, die Eure Leute niedergemetzelt haben.«

Karoll seufzte. »Selbst, wenn es sie gäbe, Kara«, sagte er. »Was sollten sie uns tun? Was nutzt ein einzelnes dieser Schiffe gegen -«

»Vier«, unterbrach ihn Kara. »Es gibt mindestens vier.«

»Von mir aus vierzig«, antwortete Karoll gereizt. »Schelfheim ist eine gewaltige Stadt. Selbst vierhundert dieser Schiffe könnten uns nicht ernsthaft schaden.«

Die Borniertheit, die aus diesen Worten sprach, machte Kara für einen Moment fassungslos. »Aber sie tun es doch bereits!« sagte sie. »Sie haben es schon getan, Karoll! Habt Ihr denn vergessen, was mit dem Hochweg geschehen ist - und noch geschieht?«

»Überhaupt nicht«, antwortete Karoll. »Aber glaubt Ihr denn, sie würden uns das Wasser stehlen, um uns zu bekämpfen? Was sollten sie denn überhaupt mit dem Wasser anstellen wollen? Es ist salziges Wasser, das man nicht trinken kann und in dem nichts lebt. Und wo sollten sie es hinschaffen?«

»Das weiß ich nicht«, sagte Kara erregt. »Und es interessiert mich auch nicht. Aber sie sind da! Und sie sind schon mitten unter uns! Ich habe den Mann, den ich am Strand traf, vorher in der Stadt gesehen!«

Karolls spöttischer Blick verriet, was er von ihren Worten hielt. Kara sah ein, wie sinnlos es war, weiterzureden.

»Wie auch immer«, fuhr Karoll nach einer Weile mit veränderter Stimme fort, »ich habe Euch folgendes auszurichten: Die Stadt Schelfheim dankt Euch für Eure Hilfe und das Angebot, ihr beizustehen. Aber im Moment besteht dazu keine Notwendigkeit. Der Probleme, die es wirklich gibt, werden wir aus eigener Kraft Herr.«

Kara stand mit einem Ruck auf. »Im Klartext heißt das, wir sollen uns zum Teufel scheren, wie!«

Karoll lächelte ein Lächeln, das es ihr schwermachte, es ihm nicht aus dem Gesicht zu prügeln. »Ich bitte Euch, Kara. Die ganze Welt ist dem Drachenhort zu Dank verpflichtet für das, was er für uns getan hat. Ohne Euch würde Jandhis Feuerdrachen noch heute dafür sorgen, daß wir leben wie die Tiere. Aber jetzt -«

»- haben wir unsere Schuldigkeit getan und können gehen, nicht wahr?« fiel ihm Kara ins Wort. »Mein Gott, Karoll - seid Ihr nur dumm, oder wollt Ihr nicht verstehen? Es ist gerade zehn Jahre her, daß wir sie das letzte Mal geschlagen haben. Was sind zehn Jahre für ein Volk, das jahrtausendelang über uns geherrscht hat, ohne daß wir es auch nur wußten?«

Mit einer wütenden Bewegung trat sie vom Tisch zurück und wollte den Raum verlassen, blieb aber unter der Tür noch einmal stehen. »Ihr habt es zwar nicht verdient, Karoll, aber richtet Euren Herren folgendes aus: Der Drachenhort steht zu seinem Wort. Wenn Ihr unsere Hilfe braucht, sind wir bereit, loszuschlagen.«

»Loszuschlagen?« wiederholte Karoll. »Aber gegen wen denn, Kara?«

20

Am Abend kam Cord noch einmal zu ihr. Kara war nicht nur aus dem Versammlungszimmer, sondern aus dem ganzen Hort geflohen und war stundenlang auf der Plattform des höchsten Turmes geblieben, bis Kälte und Müdigkeit sie zurück ins Innere getrieben hatten. Der Turm war eigentlich gar kein Turm, sondern ein bizarr, wie eine Nadel geformter Felsen, in den man mühsam Treppenstufen und eine Plattform gemeißelt hatte. Die Plattform lag so hoch, daß der Blick an einem klaren Tag gute hundertfünfzig Meilen weit über das Land reichte; und in der anderen Richtung eine nicht einmal mehr zu schätzende Strecke über die Leere des Schlundes. Kara kam gern und oft hier herauf, obwohl es ein sehr unwirtlicher Ort war. Der Wind, der an den Flanken der Berge und dem Turm entlangstrich, wehte selbst im Hochsommer eine kalte Brise herüber.

Die vorherrschende Farbe war das stumpfe, lichtschluckende Schwarz der Lava, aus der der Turm und fast der gesamte Hort herausgeschlagen worden waren.

Doch Kara liebte diesen öden abweisenden Ort, denn hier oben hatte ihr Angella - eingehüllt in wärmende Pelze und Felle - die Geschichte der Drachenkämpfer erzählt und ihr das Land gezeigt, über das sie nicht herrschten, das zu beschützen sie aber geschworen hatten. Es war ein altes Land, ein uraltes Land, dessen Geschichte so weit zurückreichte, daß niemand mehr wußte, wann und wo sie begonnen hatte. Was freilich kein Zufall war - mehr als einhunderttausend Jahre lang hatten Jandhis Feuerdrachen dafür gesorgt, daß die technische und kulturelle Entwicklung dieses Landes auf einem niedrigen Niveau blieb.

Erst Angella und Tally brachen den Terror der Töchter der Drachen. Angella, die Kara wie eine Tochter aufgezogen hatte, und Tally, die Kara niemals gesehen hatte, denn sie war lange vor ihrer Geburt schon gestorben. Doch so alt dieses Land war, so jung war die Geschichte derer, die es beschützten; keine fünfundzwanzig Jahre, seit Angella zusammen mit Hrhon und einer Bandvoll Getreuer diese Felsenburg erobert und zu ihrem eigenen Hauptquartier gemacht hatten. Keine zehn Jahre, seit sie den letzten Angriff feindlicher Drachen abgeschlagen hatten.

Glaubte dieser Narr Karoll wirklich, alles wäre vorbei? Lächerlich. Ein Feind, der hunderttausend Jahre lang über ein Land geherrscht hatte, war nicht besiegt, nur weil man zehn Jahre lang nichts von ihm gehört hatte!

Cord erwartete sie in ihrem Zimmer, als sie kurz vor Einbruch der Dunkelheit mit blauen Lippen und steifgefrorenen Fingern zurückkehrte. Er lag auf ihrem Bett, hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und das rechte Knie angezogen; eine Geste, die nur lässig wirkte, wie Kara wußte. Seit einem bösen Absturz vor fünf oder sechs Jahren bereitete ihm das Bein manchmal Schmerzen. Er sprach nie darüber, aber jedermann im Hort wußte es. Er döste vor sich hin, als Kara das Zimmer betrat, öffnete aber träge die Augen und schenkte ihr ein müdes Lächeln. Wahrscheinlich wartete er schon seit Stunden auf sie.

»Wie lange bist du schon hier?« fragte sie.

Cord zuckte mit den Schultern, ohne die Hände hinter dem Kopf hervorzunehmen. »Ich weiß nicht. Eine Stunde. Zwei.«

»Ich war auf dem Turm«, begann Kara, und Cord unterbrach sie: »Ich weiß. Ich wollte dich nicht stören.«