Kara, die damit begonnen hatte, ihre vor Kälte klammen Finger über dem Kaminfeuer aneinanderzureiben, hielt mitten in der Bewegung inne und sah stirnrunzelnd zu ihm auf. »Verbringst du deine Zeit jetzt nur noch damit, mir dabei zuzusehen, wie ich... glücklich aussehe?«
Cord überging die Frage. Ächzend setzte er sich auf. »Du warst nicht besonders freundlich zu unserem Gast.«
»Hat er es anders verdient?« Kara war unaufmerksam und verbrannte sich an den züngelnden Flammen die Finger. Mit einem Fluch richtete sie sich auf und stieß sich prompt am Kaminsims den Kopf. Cord lachte.
»Im Moment jedenfalls siehst du nicht besonders glücklich aus.«
Kara funkelte ihn an, rieb sich mit ihrer verbrannten Hand den schmerzenden Hinterkopf und setzte sich auf einen Stuhl.
»Du versuchst nicht zufällig, mir irgend etwas beizubringen - auf möglichst schonende Art?«
Cord machte ein ertapptes Gesicht. »Das hat noch ein paar Tage Zeit«, sagte er.
»Was?«
»Wir haben drei Wochen gewartet, da können wir auch noch ein paar Tage länger warten«, antwortete Cord unbestimmt.
»Womit?« fragte Kara voller Ungeduld. Als Cord noch immer nicht antwortete, fügte sie hinzu: »Wenn man bedenkt, wieviel Zeit es noch hat, finde ich es schon erstaunlich, daß du schon seit Tagen um mich herumschleichst wie die Katze um den heißen Brei.«
Cord druckste noch einen Moment herum, aber schließlich rückte er doch mit der Sprache heraus: »Es geht um die Frage, was mit dir geschieht, Kara.«
»Mit mir?«
»Angella ist tot«, antwortete Cord. »Wir sind ohne Führer.«
»Vergiß es«, sagte Kara impulsiv. »Ich bin zu jung.«
»Humbug«, antwortete Cord. »Tally war auch nicht viel älter, als sie die Drachentöchter schlug.«
»Ich bin nicht Tally«, sagte Kara. Sie versuchte, soviel Ernst wie möglich in ihre Worte zu legen, ohne theatralisch zu klingen. »Ich... kann es nicht.«
»Du willst nicht«, stellte Cord fest.
»Und? Macht das einen Unterschied? Ich wäre keine gute Führerin des Hortes. Es gibt so viel, das ich noch nicht verstehe -«
»Wir alle werden dir helfen.«
»- und sie nehmen mich nicht ernst«, fuhr Kara fort. »Du hast diesen Karoll erlebt!«
»Männer wie er sind unwichtig«, antwortete Cord und machte eine wegwerfende Geste. »Der Drachenhort braucht einen neuen Führer. Angella hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß du eines Tages ihre Nachfolge antreten sollst. Wir sind es ihr schuldig, diesen Wunsch zu respektieren.«
»Und aus diesem Grund wollt ihr mich zu eurer Herrin machen? Nur weil ihr glaubt, es Angella schuldig zu sein?«
»Nein, auch ich wüßte keinen besseren. Du mußt noch eine Menge lernen, und vor allem mußt du lernen, dein Temperament zu zügeln und dich nach gewissen Konventionen zu richten. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Du bist die Richtige.«
»Bin ich das?« fragte Kara. Plötzlich lächelte sie. »Wenn du mit aller Gewalt darauf bestehst, mir die Krone aufzusetzen, dann nehme ich sie an. Und ich werde dir gleich meinen ersten Befehl erteilen: Bis die neue Herrin des Drachenhortes dazu bereit ist, wirst du kommissarisch die Führung der Drachenreiter übernehmen.«
Cord lächelte flüchtig. »Abgelehnt.«
»Aber du -«
»Wir haben Wichtigeres zu tun«, unterbrach sie Cord. »Denk darüber nach. Wir werden deine Entscheidung akzeptieren, wie immer sie auch ausfällt. Aber nicht, wenn du sie leichtfertig triffst oder aus einer Laune heraus. Bedenke, was auf dem Spiel steht.«
»Vielleicht nichts«, murmelte Kara. »Weißt du, manchmal frage ich mich, ob Männer wie Karoll oder Gendik nicht recht haben. Vielleicht ist unsere Zeit vorbei, Cord. Vielleicht war alles nur ein Zufall, so unwahrscheinlich es scheint.«
»Und die Männer, die du unter der Stadt gesehen hast?«
»Also glaubst du mir wenigstens«, sagte Kara.
Cord runzelte die Stirn. »Willst du mich beleidigen?«
»Karoll hat vielleicht recht, weißt du?« fuhr Kara fort. »Wir wissen bis heute nicht, was in den Ländern jenseits des Schlundes liegt. Vielleicht kommen sie von dort. Wir selbst schicken regelmäßig junge Drachenkämpfer auf die Reise über den Drachenfels hinaus, um diese Länder zu erforschen.«
»Ja«, grollte Cord. »Und keiner ist bisher zurückgekehrt.«
»Das kann tausend Gründe haben«, sagte Kara. »Vielleicht kommen diese Männer von dort. Vielleicht sind sie nur neugierig.«
»Warum zeigen sie sich uns dann nicht offen?«
»Woher soll ich das wissen? Vielleicht haben sie Angst vor uns, was weiß ich?« Natürlich redete sie Unsinn; das wußte sie so gut wie Cord. Die Fremden hatten den ersten Schuß in diesem Krieg abgegeben. Sie hatten Liss und die beiden anderen im Stollen getötet, und es war einer von ihnen gewesen, der die Banditen angeführt hatte, die sie überfallen hatten. »Ich sage ja nur, daß wir noch nicht endgültig wissen, ob wir uns wirklich im Krieg befinden«, schloß sie lahm.
»Dann sollten wir vielleicht damit anfangen, genau das herauszufinden«, sagte Cord.
Aber genau das war ja ihr Problem, begriff er das denn nicht? Angella hatte ihr viel erzählt, aber noch sehr viel mehr hatte sie ihr nicht erzählt.
»Bleibt es dabei, daß du mir helfen wirst?« fragte sie.
Cord nickte.
»Gut«, sagte Kara. »Dann beruf eine Versammlung für heute abend ein. Ich will alles wissen.«
21
»Libellen?« Kara blickte abwechselnd Cord, Storm und die Magierin an, dann fragte sie noch einmaclass="underline" »Sagtest du tatsächlich: Libellen?«
Cord nickte. Er sah verstört aus, beinahe ein wenig unglücklich, fand Kara. In einer hilflosen Geste breitete er die Hände aus. »Das haben die Bauern jedenfalls gesagt: Zwanzig Meter große Libellen, die etwas auf ihre Felder gesprüht haben. Kurze Zeit darauf begann die Ernte an den Halmen zu verfaulen.«
»Zwanzig Meter, so«, murmelte Kara. »Nicht fünfzig oder zweihundert?«
»Es sind einfache Bauern«, wandte Storm ein. »Sie waren zu Tode erschrocken, und solche Menschen neigen erfahrungsgemäß zu Übertreibungen. Aber selbst wenn man die Hälfte wegstreicht, bleibt es erstaunlich genug.«
»Es gibt auch keine zehn Meter großen Libellen«, sagte Kara.
»Du meinst, wir kennen keine«, verbesserte sie Cord. »Denk an die Termite, die euch in Schelfheim angegriffen hat.«
Kara machte eine ärgerliche Geste. »Das war etwas anderes. Ein Mutant. Sie sind selten, und sie leben nicht lange. Und vor allem greifen sie nicht die Felder harmloser Bauern an und sorgen dafür, daß ihre Ernte verdirbt.« Sie überlegte einen kurzen Moment. »Vielleicht haben sie einen Fehler gemacht. Ich meine, vielleicht haben sie die Ernte durch eigene Schuld verdorben und sich diese verrückte Geschichte nur ausgedacht?«
»Wozu?« fragte Storm. »Sie sind selbständige Bauern, keine Lehnsmänner oder Arbeiter. Niemand ersetzt ihnen ihren Schaden. Und sie haben keine Strafe zu befürchten, sieht man von einem langen und hungrigen Winter ab. Nein - sie haben etwas gesehen. Wir müssen nur herausfinden, was es wirklich war.«
Kara überlegte. Ihr Kopf schwirrte von den zahllosen Berichten, die sie gehört hatte und von denen die lächerliche Geschichte der zwanzig Meter großen Libellen nur der letzte gewesen war. Nein - Angella hatte ihr wirklich nicht alles gesagt. Es war schlimmer, viel viel schlimmer, als sie befürchtet hatte, und es war sehr viel mehr passiert, als Angella in jenem kurzen Gespräch mit Gendik erzählt hatte. Aber nichts davon ergab Sinn. Kara hatte das Gefühl, vor den Teilen eines gewaltigen Puzzles zu sitzen.