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Ihre Gruppe war nicht die einzige, die aus dem Drachenhort aufgebrochen war, um nach Spuren der gesichtslosen Angreifer zu suchen, aber unbestritten die wehrhafteste. Die elf Drachen, die hinter Markor flogen, waren zweifellos die kräftigsten und erfahrensten Tiere, die der Hort aufzubieten hatte. Und auch ihre Reiter gehörten unbestritten zu den besten des Drachenhortes.

Für einen Moment jedoch dachte Kara nicht an Kämpfe und Gefahren. Sie genoß es einfach, sich von Markors gewaltigen Schwingen durch die Luft tragen zu lassen, während das wogende Blättermeer unter ihr dahinglitt. Manchmal glaubte sie eine Bewegung unter sich wahrzunehmen, aber sie war immer viel zu schnell vorüber, um sicher sein zu können. Sie fühlte sich frei und beinahe schwerelos. Die hohe Geschwindigkeit, der heftige Wind und der gewaltige Drachenkörper unter ihr erfüllten sie mit einem Gefühl der Macht, das wie eine berauschende Droge war. Sie lachte, laut und lang anhaltend, ohne es selbst zu merken.

Geh nicht so tief hinunter, warnte Aires sie. Dieser Dschungel hat ein paar ziemlich unangenehme Bewohner.

Ich weiß, antwortete Kara. Aber ich passe schon auf.

Aires schwieg darauf, und Kara ergab sich weiter dem berauschenden Gefühl, unverwundbar und schnell wie ein Pfeil über den Dschungel dahinzurasen.

Dann plötzlich teilte sich das dichte grüne Blätterdach unter Markor, und ein gewaltiger, peitschender Tentakel griff hervor.

Ein riesiges, stacheliges Ding, geschuppt und dicker als ein Mann und mit zahllosen schnappenden Mäulern, das sich in einer einzigen, unvorstellbar schnellen Bewegung um Markors Hals wickelte und ihn in die Tiefe zu zerren versuchte. In einer noch schnelleren Bewegung griffen die Vordertatzen des Drachen zu und zerfetzten den Strang. Grüngefärbtes, zähes Pflanzenblut spritzte in einer Fontäne an Kara vorbei, und der zerfetzte Stumpf des Tentakels zog sich mit einer hastigen Bewegung wieder in den Dschungel zurück. Einen Wimpernschlag, bevor sich das Blätterdach wieder schloß, erhaschte Kara einen Blick auf ein riesiges, buntes Etwas, das wie eine überdimensionale Spinne inmitten eines komplizierten Netzes aus Strängen und Wurzeln hing, abgrundtief häßlich und faszinierend schön zugleich. Sie konnte nicht erkennen, ob es eine Pflanze oder ein Tier gewesen war.

Verstehst du jetzt, was ich meine?

Kara verzichtete auf eine Antwort, die Aires ohnehin nicht erwartete. Außerdem war sie auch viel zu sehr damit beschäftigt, das Gefühl der Übelkeit zu unterdrücken, das aus ihrem Magen emporstieg, als sie sah, wie Markor das abgerissene Ende des Tentakels aufzufressen begann.

Eine Stunde lang flogen sie weiter nach Norden, ohne daß sich etwas Ungewöhnlicheres tat als das Auffliegen eines gigantischen Vogelschwarms, dessen einzelne Tiere kaum größer als Bienen waren, der aber nach Millionen zählte. Wenn es in diesem Dschungel größere fliegende Räuber gab, was Kara vermutete, dann schreckte sie wohl der Anblick der zwölf riesenhaften Drachen ab.

Zwei weitere Stunden vergingen, dann begannen die Flügelschläge der Drachen allmählich an Kraft und Eleganz zu verlieren. Die ungeheure Größe der Tiere führte dazu, daß sie nicht unbegrenzt leistungsfähig waren. Wer verfügte schon über unendliche Kräfte, wenn er das Gewicht eines Schlachtschiffes mit sich herumschleppen mußte? Andererseits legten die Drachen in den vier oder fünf Stunden, die sie in der Luft bleiben konnten, Entfernungen von tausend und mehr Meilen zurück.

Somit war der Drachenfels, das erste Etappenziel ihrer Expedition ins Nichts, ohne größere Gefahr zu erreichen.

Kara verspürte eine neue, heftige Erregung, als die schwarze Felsnadel endlich aus dem Dunst der Ferne vor ihnen auftauchte. Durch die große Entfernung wirkte der Fels beinahe zerbrechlich. Die winzigen Punkte in seiner Flanke waren in Wahrheit gewaltige Höhlen, groß genug, einen Drachen hineinfliegen zu lassen. Der kaum erkennbare, gezackte Kranz auf seiner Krone stellte die Mauern einer zyklopischen Festung dar, gegen die selbst der Drachenhort zu einem Nichts zusammenschrumpfte. Und sein Inneres...

In Karas Erregung mischte sich eine Spur jenes absurden Gefühls von Enttäuschung, das in Erfüllung gehende Träume manchmal begleitet. Seit zehn Jahren träumte sie, hierherzukommen. Sie kannte diesen Ort aus Angellas und Cords Erzählungen so gut, als hätte sie Monate dort verbracht. Aber plötzlich war sie gar nicht mehr sicher, ob sie ihn wirklich sehen wollte, denn es war der Ort, der nicht nur mit Geschichten von Abenteuern verbunden war, sondern auch mit furchtbaren Schreckensberichten, war er doch hunderttausend Jahre lang der Quell des Terrors gewesen.

Eine Bewegung neben der Spitze des Felsens weckte Karas Aufmerksamkeit. Obwohl sie wußte, wie groß der Fels war, fuhr sie doch überrascht zusammen, als ihr klar wurde, daß die beiden winzigen Punkte neben der Felsnadel Drachen waren, größer als ihre eigenen Tiere.

Aires?

Ich sehe sie.

Glaubst du, daß es wilde Drachen sind? Der Name Drachenfels kam nicht von ungefähr. Nach dem Ende von Jandhis Drachentöchtern waren die wilden Drachen in ihren angestammten Hort zurückgekehrt. Zwar wußte Kara, daß wilde Drachen niemals Menschen angriffen, aber es war schon vorgekommen, daß sie gezähmte Drachen attackierten, was unweigerlich zum Tod seines Reiters führen mußte.

Das sind Tess und Silvy, drang Aires' Botschaft in ihre Gedanken. Alles in Ordnung. Zieht die Krallen wieder ein.

Kara atmete insgeheim auf; zumal einige der Tiere - Markor eingeschlossen - tatsächlich deutliche Spuren von Nervosität zeigten. Die Feindschaft zwischen zahmen und wilden Drachen war allgemein bekannt. Kara fragte sich, woher sie kam. Haßten die wilden Drachen ihre gezähmten Brüder, weil sie sich von Menschen reiten und befehlen ließen? Oder verachteten sie sie sogar? Oder gab es vielleicht zwei Arten von Drachen - solche, die sich zähmen ließen, und solche, die immer wild blieben?

Die beiden winzigen Punkte wuchsen zu den vertrauten Umrissen geflügelter Drachen heran. Und Augenblicke später konnte Kara die beiden Gestalten hinter den mächtigen Schädeln erkennen. Es waren tatsächlich Tess und Silvy, zwei junge Drachenkämpferinnen, die das letzte Jahr ihrer Ausbildung zusammen mit Kara absolviert hatten. Flüchtig bewunderte Kara Aires' Augen. Selbst jetzt erkannte sie Tess nur an ihrem auffälligen, strohblonden Haar.

Silvy hob die Hand zum Gruß, und Kara und einige der anderen erwiderten die Geste. Augenblicke später stieß Markor ein markerschütterndes Begrüßungsgebrüll aus. Kara erwartete schon, daß die dreizehn übrigen Tiere in das Gebrüll einstimmen würden, aber die Drachen waren erschöpft und wollten nur in eine warme, trockene Höhle.

Auch Kara spürte die Strapazen des Fluges. Auf dem letzten Stück des Weges schenkte sie der Landschaft unter sich kaum noch Beachtung, obwohl sie sich völlig verändert hatte: Statt des grün wuchernden Dschungels umgab den Drachenfels steiniger, unfruchtbarer Boden, auf dem nichts lebte. Nicht einmal Gäa, die unvorstellbare Lebensform des Schlundes, hatte hier Fuß gefaßt.

Markors Schwingen peitschten ein letztes Mal die Luft, um Höhe zu gewinnen, dann glitt der Drache mit weit ausgebreiteten Flügeln wie eine übergroße Schwalbe in eine der Höhlen in der Flanke des Drachenfels. Dunkelheit schlug wie eine Woge über Kara zusammen, als Markor pfeilschnell durch die Höhlenöffnung schoß.

Kara fiel mehr aus dem Sattel, als sie abstieg. Sie war es gewohnt, Stunde um Stunde auf dem Rücken des Drachen zu verbringen, aber die Tiere waren mit äußerster Kraft geflogen und hatten dabei nicht viel Rücksicht auf ihre Reiter nehmen können. Die Schläge der gewaltigen Rückenmuskeln hatten Kara und die anderen durchgeschüttelt wie ein stundenlanger Ritt über Steine und Geröll.