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Tess landete ihr Drachenweibchen dicht neben Markor. Der Drache knurrte unwillig, und Kara zog instinktiv den Kopf zwischen die Schultern, als der Sturmwind der Drachenschwingen sie von den Füßen zu reißen drohte. Während die übrigen Mitglieder ihrer Formation rings um sie herum niedergingen, blickte sie ärgerlich zu Tess auf, die mit geradezu unverschämter Leichtigkeit vom Rücken ihres Tieres kletterte und auf sie zueilte. Wie ein Schatten folgte ihr Silvy.

»Kara«, rief Tess erfreut. »Wie schön, daß du doch noch gekommen bist. Aber wieso seid ihr so viele? Ist irgend etwas geschehen?«

Kara war im ersten Moment verwirrt. Dann erinnerte sie sich daran, daß Tess und das halbe Dutzend anderer den Drachenhort ja verlassen hatten, während sie und Angella nach Schelfheim gereist waren.

»Ist irgend etwas... passiert?« Tess hielt im Schritt inne und sah Kara erschrocken an, als sie den Ausdruck auf ihrem Gesicht gewahrte. »Wieso ist Angella nicht mitgekommen?«

»Angella ist tot«, antwortete Kara leise. »Und du hast recht - es ist etwas passiert. Aber das erzähle ich euch später.«

»Tot!« wiederholte Tess fassungslos. »Angella ist... tot. Aber wieso denn? Ich meine... was ist passiert?«

»Später«, sagte Kara noch einmal. »Ihr werdet alles erfahren, aber jetzt habe ich erst einmal ein paar Fragen. Was ist mit den anderen? Sind alle noch hier, oder sind sie schon aufgebrochen?«

»Wir sind alle noch da«, antwortete Tess verwirrt. »Zen und Maran sind auf einem Übungsflug, aber sie wollten vor Sonnenuntergang wieder hier sein. Die anderen -«

»Gut«, unterbrach sie Kara. »Dann tu mir bitte einen Gefallen und ruf sie alle zu einer Versammlung zusammen. In einer halben Stunde.«

»Aber was ist denn nur -«

»Tu einfach, was ich sage«, unterbrach sie Kara. »Jetzt gleich.«

Etwas in Tess' Blick änderte sich. Zu dem Schrecken und der Verwirrung, mit dem sie das von Kara Gehörte erfüllt hatte, gesellte sich eine neue Verwirrung, die irgend etwas in Karas Stimme oder Blick galt. Begann es schon? dachte Kara erschrocken. Merkte man es ihr schon an? War sie vielleicht schon nicht mehr die Freundin, sondern vielmehr die Herrin für dieses Mädchen?

Tess wandte sich wortlos um und ging.

Als Kara sich herumdrehte, stand sie Aires gegenüber.

»Du lernst schnell«, sagte die Magierin. Es war Kara nicht möglich zu sagen, ob diese Worte Lob oder Tadel enthielten.

»Ich... wollte nur keine Zeit verlieren«, sagte sie. Es klang wie eine Entschuldigung. Nein - es war eine Entschuldigung.

Aires seufzte. »Allerdings ist deine Eile übertrieben. Ruf die Versammlung ein, wenn Maran und Zen zurück sind. Oder hast du Lust, alles zweimal zu erzählen?«

»Dann verlieren wir unter Umständen einen ganzen Tag.«

»Das tun wir ohnehin«, erklärte Aires. »Ich habe nicht vor, heute noch weiterzureiten. Und selbst wenn ich es wollte - die Drachen brauchen ebenso dringend eine Pause wie wir.« Sie machte eine Kopfbewegung über die Schulter zurück. Kara widerstand der Versuchung, in dieselbe Richtung zu blicken. Sie wußte, wie erschöpft die Tiere waren. Aires hatte natürlich recht, einen halben Tag und eine ganze Nacht zu verlieren, gefiel Kara nicht.

»Zeit, die man nutzt, um zu Kräften zu kommen und sich vorzubereiten, ist keine verlorene Zeit, Kara«, belehrte sie Aires, während sie nebeneinander die Höhle verließen und die Treppe hinaufgingen, um zu den Bereichen der Festung zu gelangen, den die Drachenkämpfer für sich beanspruchten. Es war nur ein winziger Teil des steinernen Labyrinths, das der Drachenfels in Wirklichkeit war, aber sie brauchten nicht viel.

Die Besatzung der Burg überstieg niemals zehn Köpfe. Selbst mit Kara und ihren Begleitern waren sie so wenige, daß die Gefahr, sich in den endlosen Tunnels und Gängen zu verirren, nicht von der Hand zu weisen war.

Kara sah sich mit einer Mischung aus Neugier und Unbehagen um, während sie Aires durch einen langen Korridor folgte, der vor einer weiteren, steil in die Höhe führenden Treppe endete. Für einen Moment glaubte Kara, sie hörte noch einmal Angellas Stimme, die ihr mit eindringlichen Worten erzählte, was hier vor fünfundzwanzig Jahren geschehen war, als füllten die lautlosen Worte den Berg um sie herum mit Geräuschen und Bewegung, einem Echo des düsteren, insektoiden Lebens, das einst über die schwarze Festung am Rande der Welt geherrscht hatte.

Kara verscheuchte den Gedanken, aber ihre Empfindungen hatten sich offenbar auf ihrem Gesicht widergespiegelt, denn Aires lächelte plötzlich und sagte: »Es ist unheimlich, nicht?«

»Woher...« Kara suchte einen Moment hilflos nach Worten. »Ich meine, wie... wie kommst du darauf?«

»Weil es jedem so geht, der zum ersten Mal hier ist«, antwortete Aires. »Manche halten es nicht aus. Aber die meisten gewöhnen sich rasch daran.«

»Aber was... was ist das?« murmelte Kara verstört.

»Das weiß niemand wirklich«, antwortete Aires. Sie zuckte mit den Schultern. Kara sah sie scharf von der Seite her an, und erst jetzt fiel ihr auf, daß auch Aires sich nicht besonders wohl fühlte.

»Ich glaube, es ist einfach dieser Ort«, fuhr sie nach einer Weile fort. Sie nickte bekräftigend, obwohl Kara gar nicht widersprochen hatte. »Weißt du, wir nehmen immer wie selbstverständlich an, daß nur Menschen und Tiere sich erinnern können. Aber wer sagt uns, daß das stimmt? Vielleicht haben auch Plätze ein Gedächtnis oder Häuser und Steine. Sie haben unendlich lange über diesen Ort geherrscht. Vielleicht ist es die Erinnerung an sie, die wir spüren. Oder Gäas Nähe«, fügte sie überraschend hinzu. Sie nickte, als sie Karas Verblüffung bemerkte. »Wußtest du nicht, daß wir ihr hier ganz nahe sind?«

Kara schüttelte wortlos den Kopf, und Aires machte eine Bewegung auf den steinernen Boden, über den sie schritten.

»Sie hat die Höhle der Ameisenkönigin nie wieder freigegeben«, sagte sie. »Aus Gründen, die nur Angella wußte, erlaubte sie uns und den Drachen, in der Spitze des Berges zu leben. Aber alles, was unterhalb der großen Höhle liegt, gehört ihr. Du hast davon nichts gewußt?«

»Nein«, sagte Kara. »Angella hat mir nie etwas davon erzählt.« Nach einer Pause fügte sie leise hinzu: »Sie hat mir überhaupt eine Menge nicht erzählt.«

Kara rechnete mit energischem Widerspruch, aber Aires sah sie nur stumm an und nickte. »Ich weiß. Ich habe mehrmals versucht, mit ihr darüber zu reden, aber es war sinnlos. Sie glaubte, noch ein wenig Zeit zu haben. Sie sagte, sie wollte dich nicht mit all diesen Dingen belasten, solange es nicht sein muß. Ich habe sie gewarnt, aber sie wollte nicht hören. Sie war wohl schon ein bißchen wunderlich.« Die Magierin lachte hell auf, als sie den strafenden Blick registrierte, mit dem Kara diese Bemerkung quittierte. »Ich darf das sagen. Ich war ihre beste Freundin.«

»Ich weiß. Du... du verkraftest ihren Tod ganz gut, nicht wahr?«

Aires schaute sie auf eine sonderbare Weise an, fast als suche sie nach einem Vorwurf in diesen Worten. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Angella hätte jedenfalls nicht gewollt, daß ich mir das Haar rasiere und mich kasteie, um sie zu betrauern. Trauer ist eine leise, sehr heimliche Angelegenheit, weißt du? Man muß sie nicht vor sich hertragen, damit sie echt wird.«

»Verzeihung«, murmelte Kara. »So... so habe ich das nicht gemeint.«

»Ich weiß.« Aires lächelte milde. »Aber ich habe schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, dir das zu sagen.«

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, dann - nur um überhaupt etwas zu sagen - bat Kara: »Erzähl mir mehr von Gäa, Aires.«

»Was könnte ich erzählen, was du noch nicht weißt?« fragte die Magierin.