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»Aber das ist völlig unmöglich!« sagte Kara.

Aires lächelte bitter, stand auf und wandte sich dem nächstliegenden Haus zu. Mit klopfendem Herzen folgten ihr Kara und die anderen. Kurz bevor sie die Tür erreichten, zog Aires einen kleinen Leuchtstab aus der Jacke und entfernte die Seidenumhüllung. Es dauerte eine Weile, bis der Sauerstoff das Holz weit genug durchtränkt hatte, um den biochemischen Verbrennungsprozeß im Inneren der Bakterien in Gang zu setzen, dann breitete sich rings um Aires' Arm eine flackernde Kugel aus blaßgrünem Licht aus.

Kara stöhnte innerlich auf, als sie durch die Tür traten. Sie hatte geahnt, was sie finden würde: Alle Bewohner des Hauses waren tot. Es waren zwei junge Männer und eine sehr junge und eine sehr alte Frau. Sie lagen nebeneinander auf dem Boden, als hätten sie in den letzten Sekunden die Nähe des anderen gesucht, wie sterbende Tiere, die sich aneinanderdrängten. Und es war kein leichter Tod gewesen, der sie ereilt hatte. Ihre Gesichter waren verzerrt und blau angelaufen. Einer der jungen Männer hatte die Hände um die Kehle gekrampft, als wäre er erstickt; auf dem Gesicht des anderen bildete eingetrocknetes Blut, das aus Mund, Nase, Ohren und Augen gelaufen war, ein bizarres Muster.

Sie blieben nur einige Augenblicke, dann ging Aires wieder hinaus, und nicht nur Kara war froh, als das Licht erlosch und sich die Dunkelheit wieder gnädig über die furchtbare Szene senkte.

Sie betraten noch vier oder fünf weitere Häuser, in denen sich ihnen überall derselbe, furchtbare Anblick bot: Menschen, die in Gruppen oder einzeln zu Boden gestürzt waren, als hätte sie der Tod mit der Schnelligkeit eines Blitzes getroffen. Auch auf den Straßen lagen Leichen. Allerdings nicht sehr viele. So überraschend der Tod über die Bewohner der Stadt gekommen war, schien er doch den meisten Zeit genug gelassen zu haben, sich in ihre Häuser zurückzuziehen.

»Gäa?« fragte Maran, nachdem sie einige weitere Leichname untersucht hatten.

»Nein«, antwortete Aires ernst. Sie blickte auf den Leichnam hinunter, den sie sich zuletzt angeschaut hatte; ein Mann von vielleicht fünfzig Jahren, der auf den Stufen seines Hauses zusammengebrochen war. »Nach allem, was ich hier sehe, würde ich auf Gift tippen oder auf ein rasch wirkendes Gas.«

Sie richtete sich auf, drehte sich herum und blickte zu dem einzigen Licht hinüber, das in der Stadt brannte. Sie hatten sich ihm so weit genähert, daß Kara erkennen konnte, daß es aus einem schmalen Fenster aus einem der ausgehöhlten Stämme drang. Das Licht flackerte heftig und war von gelber Farbe. Ein sehr außergewöhnliches Phänomen. Neben dem sie umgebenden Wald mit all seinen gefräßigen Bewohnern war Feuer der natürliche Erzfeind dieser Stadt, die fast völlig aus Holz erbaut worden war. Es wunderte Kara fast ein bißchen, daß es hier überhaupt eine Öllampe gab, konnte doch ein einziger Funke zu einer Katastrophe führen.

Sie näherten sich dem Haus. Aires zog die Hülle wieder über ihren Leuchtstab und erstickte das grüne kalte Feuer; sie erhob auch keine Einwände, als Kara als erste durch die niedrige Tür trat. Ganz schwach hörten sie Geräusche aus dem Inneren des Hauses.

Trotzdem kam ihre Reaktion beinahe zu spät.

Kara sah das Messer von unten auf ihr Gesicht rasen, wich der Klinge im letzten Moment mit einer halben Drehung des Oberkörpers aus und fegte die Hand beiseite, die sie hielt.

Gleichzeitig schlug sie mit aller Gewalt zurück.

Sie erkannte ihren Irrtum einen Augenblick später. Es gelang ihr nicht mehr, den Schlag vollends zurückzuhalten, aber immerhin konnte sie ihm seine tödliche Wucht nehmen, so daß er das Gesicht des Jungen nicht zerschmetterte, sondern ihn nur von den Füßen riß und gegen die Wand prallen ließ.

Es war ein dunkelhaariger Junge von allerhöchstens zwölf Jahren. Außer ihm hielten sich zwei oder drei Dutzend weiterer Kinder in dem großen Raum auf, die meisten wesentlich jünger als er. Wie auf ein Kommando begannen die Säuglinge loszubrüllen.

»Ach, du lieber Himmel«, murmelte Tess, die hinter Kara hereingekommen war. Kara war plötzlich froh, daß sie die erste gewesen war, denn Tess hatte das Schwert gezogen. Wäre sie an Karas Stelle gewesen, dann wäre der Junge jetzt vielleicht tot.

»Das hat uns gerade noch gefehlt!«

Aires warf Tess einen zornigen Blick zu, und auch Kara runzelte ärgerlich die Stirn, obwohl sie Tess im stillen recht geben mußte. Wortlos wandte sie sich um und ging zu dem Knaben hinüber, den sie niedergeschlagen hatte. Er hatte das Bewußtsein nicht verloren, sondern lag mit an den Leib gezogenen Knien auf der Seite und wimmerte leise. Sein Gesicht begann bereits anzuschwellen.

»Was ist hier geschehen?« fragte Aires laut, aber keines der Kinder antwortete ihr. Die Magierin seufzte, deutete auf eines der älteren Mädchen und wiederholte die Frage.

»Sie sind alle tot«, antwortete das Mädchen. »Sie... sie haben sie umgebracht. Sie sind alle tot.«

»Wer hat sie getötet, Kind?« frage Aires sanft.

Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen. Es begann zu weinen, erzählte aber unter heftigem Schluchzen und Keuchen weiter. »Sie sind am Abend gekommen. Direkt... direkt aus der Sonne heraus. Man konnte sie gar nicht sehen.«

»Wer?« fragte Aires.

»Es ging ganz schnell«, fuhr das Mädchen schluchzend fort. »Sie waren plötzlich da und... und haben grauen Rauch gespuckt. Und dann sind alle krank geworden und gestorben. Sie haben so furchtbar geschrien. Ich... ich wollte helfen, aber ich konnte nichts tun. Meine Eltern und... und mein älterer Bruder. Sie sind einfach gestorben.«

»Wer hat sie umgebracht?« fragte Aires ungeduldig. Sie trat auf das Mädchen zu, ergriff es an beiden Schultern und schüttelte es. »Versuch dich zu beruhigen, Kind! Es ist wichtig!« Sie schüttelte das Mädchen immer heftiger, erreichte damit aber nur, daß es noch stärker zu weinen begann.

Kara trat neben sie und löste mit sanfter Gewalt ihre Hände von den Schultern des Mädchens. Aires runzelte leicht verärgert die Stirn, war aber auch ein wenig erleichtert, während Kara sich ein bißchen verwirrt fühlte. Sie hatte angenommen, daß die Magierin mehr von Kindern verstand.

»Hör mir zu, Kleines«, sagte sie, während sie sich vor dem Kind in die Hocke sinken ließ. »Ich verstehe, daß du Angst hast, und daß du... daß du dich... ganz schrecklich fühlen mußt. Aber versuche dich trotzdem zu beruhigen, ja? Wir müssen wissen, was hier passiert ist. Du kannst uns vertrauen. Wir sind hier, um euch zu helfen. Niemand wird euch etwas tun, das verspreche ich. Aber du mußt dafür auch etwas für uns tun. Du mußt uns sagen, wer deine Eltern und all diese Leute getötet hat.«

»Die Libellen.«

Es war nicht das Mädchen, das antwortete, sondern ein Knabe von vielleicht sieben Jahren. Sein Gesicht war bleich, und seine Augen waren dunkel vor Angst. Aber seine Stimme klang fest und bestimmt. »Es waren die Libellen.«

Kara und die drei anderen wandten sich dem Jungen zu. Kara schwieg, weil sie annahm, daß Aires den Jungen weiter befragen wollte, aber die Magierin winkte ab. »Libellen?« wiederholte Kara.

»Vier Stück«, antwortete der Junge. »Sie waren sehr groß. Und laut.«

»Laut!« vergewisserte sich Aires.

Der Junge nickte. Sein Blick blieb starr auf Kara gerichtet.

»Sie haben gebrummt«, sagte er. »Alle sind hinausgelaufen, um sie anzusehen. Und dann kam der graue Staub, und alle wurden krank und sind gestorben. Bis auf uns hier.«

»Blauer Regen«, murmelte Kara.

Aires sah sie fragend an.

»Erinnere dich daran, was Cord uns erzählt hat«, sagte Kara. »Blauer Regen - und am nächsten Morgen war jeder der Erwachsenen tot.« Sie wandte sich wieder dem Jungen zu. »Und du bist sicher, daß es die Libellen waren?«

»Es waren die Libellen«, beharrte der Junge. »Sie waren groß. Nicht so groß wie eure Drachen, aber groß und laut.«