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»Wann war das?« mischte sich Maran ein.

»Gestern«, antwortete der Junge. »Eine Stunde, bevor die Sonne untergegangen ist.«

»Eine Stunde?« Maran trat näher und sah den Jungen durchdringend an. »Bist du ganz sicher? Nicht eine halbe oder zwei?«

»Eine Stunde«, beharrte der Junge.

»Was ist daran so wichtig?« fragte Kara.

»Weil es dieselben waren, die wir gesehen haben«, antwortete Maran. Sein Gesicht verhärtete sich. »Ihr versteht nicht, wie? Wir haben sie gesehen, eine Stunde vor Sonnenuntergang. Hier!«

»Ihr hättet nichts tun können«, sagte Kara. Ihre Worte klangen selbst für sie leer und bedeutungslos.

»Wir haben sie gesehen«, wiederholte Maran. »Wir hätten es verhindern können, begreift ihr nicht? Wenn Zen und ich nur einen Moment weitergeflogen wären, dann... dann hätten wir es vielleicht verhindern können! All diese Menschen wären vielleicht noch am Leben.«

»Oder ihr beiden wärt genauso tot wie sie«, unterbrach ihn Aires. »Denk lieber darüber nach, Maran, was wir mit diesen Kindern machen. Wir müssen sie hier wegbringen.«

»Das ist das kleinste Problem«, sagte Kara. »Wir haben genug Platz auf den Drachen, um sie alle mitzunehmen.« Sie schenkte Aires das herzlichste Lächeln, das sie zustandebrachte. »Wie gut, daß du dich entschieden hast, doch nicht allein hierherzugehen.«

In Aires' Augen blitzte es ärgerlich auf, aber sie enthielt sich jeden Kommentars.

»Erzähl mir von den Libellen«, sagte Kara, wieder an den Jungen gewandt. »Wie haben sie ausgesehen? Was haben sie getan?«

»Sie waren groß«, wiederholte der Junge stur. »Und sie hatten Flügel. Und große leuchtende Augen. Sie waren sehr hoch. Sie sind über der Stadt gekreist, und ihre Flügel haben sich gedreht. Ganz schnell.«

»Gedreht?« Tess runzelte die Stirn. »Der Junge redet wirres Zeug«, sagte sie.

»Vielleicht«, sagte Kara. »Vielleicht auch nicht. Und steck endlich das Schwert ein. Du brauchst es hier nicht.«

Tess blickte einen Moment lang stirnrunzelnd auf die Waffe, die sie noch immer in der rechten Hand hielt, dann steckte sie sie mit einer beinahe hastigen Bewegung weg. »Also?« fragte sie. »Was tun wir?«

»Zuerst kümmern wir uns um die Kinder hier«, entschied Kara. Sie sah sich einen Moment lang um. »Ich denke, daß fünf oder sechs Drachen ausreichen müßten, sie zurückzubringen. Die kleineren Kinder könnten ein Problem darstellen. Vielleicht müssen wir eine Art Traggestell bauen, um...« Kara? Aires?

Die vier Drachenkämpfer fuhren im gleichen Moment erschrocken zusammen.

Ja? signalisierte Kara.

Silvy, antwortete das schmerzhafte Zucken in ihrem Nacken. Irgend etwas kommt auf uns zu. Ich kann nicht erkennen, was es ist. Aber die Drachen werden unruhig.

Zieht euch zurück, befahl Aires, noch ehe Kara Gelegenheit fand zu antworten. Schnell. Ehe sie euch bemerken.

»Zwei Dutzend Drachen, die sie nicht bemerken sollen?« sagte Maran in zweifelndem Tonfall.

»Es ist Nacht«, antwortete Aires. »Wenn sie über dem Wald kreisen...« Sie zuckte mit den Schultern, dann schloß sie die Augen, um sich wieder auf ihren Rufer zu konzentrieren. Haltet uns auf dem laufenden. Aber ihr tut nichts, solange wir nicht angegriffen werden oder euch rufen. Verstanden?

Verstanden.

Aires öffnete wieder die Augen. Sie sah sehr müde aus und sehr alt. Aber nur für einen ganz kurzen Moment. Dann kehrte ihre gewohnte Tatkraft wieder zurück. »In Ordnung«, sagte sie.

»Die Lampe aus. Und seid so still wie möglich, Kinder.«

Tatsächlich verstummten die meisten der Kinder innerhalb weniger Augenblicke. Aber keines machte auch nur Anstalten, die Öllampe zu löschen. Kara verstand das sehr gut. Selbst ihr war nicht wohl bei der Vorstellung, in völliger Dunkelheit dazusitzen und darauf zu warten, daß irgend etwas Furchtbares geschah.

Aires' Gedanken schienen in die gleiche Richtung zu gehen, denn sie zog plötzlich den Leuchtstab aus der Jacke und entfernte die Hülle. »Keine Angst«, sagte sie, während sie das leuchtende Holz in die Höhe hielt. »Es wird nicht völlig dunkel. Hier - seht ihr?«

Ihre Worte wirkten Wunder. Bis auf die ganz kleinen Kinder und Säuglinge beruhigten sich alle endgültig. Niemand begann mehr zu weinen, als Aires Tess ein Zeichen gab, die Öllampe zu löschen. Der Raum wurde plötzlich nur noch vom unheimlichen grünen Schein des Leuchtstabes erhellt, doch so blaß dieses Licht auch sein mochte, Kara war sich schmerzhaft des Umstandes bewußt, daß es draußen sehr deutlich zu sehen war.

»Tess - sieh zu, daß du irgend etwas findest, um die Fenster zu verhängen. Maran - du hältst an der Tür Wache!«

Die beiden gehorchten wortlos, und Kara tauschte einen raschen, besorgten Blick mit Aires, ehe sie sich wieder an die Kinder wandte. »Hört zu«, sagte sie. »Es ist wichtig, daß ihr jetzt ganz still seid. Euer und unser Leben kann davon abhängen. Habt ihr das verstanden?«

Die meisten Kinder starrten sie einfach nur an, aber einige nickten auch zaghaft. »Gut«, fuhr Kara fort. »Und versucht bitte, auch die kleinen Kinder irgendwie zu beruhigen.« Sie zögerte einen Moment. »Ich weiß, daß ihr Angst habt. Wir haben auch Angst. Das macht nichts. Wenn wir alle zusammenhalten, dann kann uns gar nichts passieren.«

Kara. Sie kommen näher.

»Wer kommt näher?« fragte Kara. Ganz unwillkürlich stellte sie die Frage laut und wiederholte sie dann auf der telepathischen Frequenz des Rufers.

Ob du es glaubst oder nicht - aber es sind Marans Libellen. Es gibt sie wirklich.

Haben sie euch gesehen?

Bis jetzt nicht. Aber die Drachen werden unruhig. Ich weiß nicht, wie lange wir sie noch halten können.

Versucht es, erwiderte Kara nervös. Sie dürfen euch auf keinen Fall sehen. Wie viele sind es?

Drei. Nein - vier.

Und was tun wir, wenn sie wieder ihren grauen Staub abladen?

Kara war im ersten Moment verwirrt. Dann begegnete sie Marans Blick und begriff, daß er es gewesen war, der die Botschaft geschickt hatte. Im allerersten Moment verstand sie nicht, warum er seine Frage nicht offen ausgesprochen hatte.

Dann begriff sie, daß er nicht wollte, daß die Kinder seine Frage hörten. Sie schenkte ihm einen dankbaren Blick und schüttelte gleichzeitig den Kopf.

Was für ein grauer Staub? erkundigte sich Silvy.

Das erkläre ich dir später. Ruhe jetzt. Mit einem Blick auf Maran: Das glaube ich nicht. Wahrscheinlich wollen sie einfach nachsehen, ob hier noch jemand lebt.

Sie kommen, signalisierte Silvy. Seid vorsichtig!

Tess hatte in der Zwischenzeit einige Decken und Kleidungsstücke aufgetrieben, mit deren Hilfe sie die unregelmäßigen Fensteröffnungen verstopfte. Einige der größeren Kinder halfen ihr dabei, so daß nur wenige Augenblicke vergingen, bis kein Lichtschimmer mehr ins Freie drang. Trotzdem war Kara nicht davon überzeugt, daß sie wirklich unentdeckt bleiben würden.

Mit klopfendem Herzen trat sie neben Maran an die Tür. Die Stadt lag wie eine bizarre Riesenskulptur aus Schatten und Schwärze vor ihnen, und im allerersten Moment hörte sie nichts außer dem Rauschen des Blutes in ihren eigenen Ohren. Dann begriff sie ihren Irrtum.

Das Rauschen wurde lauter, steigerte sich zu einem von einem hohen, pfeifenden Laut begleiteten Grollen, und dann erschienen sie am Nachthimmel über der Stadt. Im bleichen Sternenlicht sahen sie tatsächlich wie Libellen aus - vier schlanke Schatten mit riesigen schimmernden Köpfen, auf deren polierter Oberfläche sich das Sternenlicht brach. Keines von ihnen hatte leuchtende Augen, wie der Junge behauptet hatte, und sie sah auch keine Flügel. Kara schätzte ihre Größe auf gute zehn bis zwölf Meter.