»Was ist das?« murmelte Maran verwirrt.
Kara zuckte mit den Schultern und machte ein hastiges Zeichen, still zu sein.
Die Libellen kamen näher und kreisten über der Stadt. Zwei von ihnen verloren dabei ganz allmählich an Tiefe, während die beiden anderen über die Baumwipfel dahinglitten.
Silvy? Seht ihr sie?
Klar und deutlich. Was ist das? Sind das Tiere?
Kaum, antwortete Kara. Aber was immer es ist - ich will nicht, daß sie entkommen. Ihr laßt sie rein, aber nicht mehr raus, klar?
Worauf du dich verlassen kannst!
Kara blickte aufmerksam zu den beiden Libellen auf, die sich allmählich der Stadt näherten. Mittlerweile konnte sie die sonderbaren Flügel erkennen: über den klobigen Köpfen der Monstren schwirrte etwas in der Luft, das durch seine rasende Bewegung wie eine schimmernde Scheibe aus Glas aussah. Das Rauschen und Pfeifen wurde lauter, und Kara spürte den tosenden Windzug, den die Libellen verursachten.
Marans Hand glitt zum Schwert, aber Kara machte eine rasche, beruhigende Geste. »Warte«, flüsterte sie. »Ich glaube, sie wollen landen. Wir schnappen sie uns, sobald sie am Boden sind.« Sie sah über die Schulter zu Tess und Aires zurück. »Ihr bleibt hier bei den Kindern. Maran!«
Lautlos wie Schatten verließen sie das Haus und näherten sich geduckt dem großen Platz in der Mitte der Stadt, auf dem sie ...
Die Drachen!
Der Gedanke durchzuckte Kara im gleichen Moment, in dem einer der vier Drachen ein gewaltiges, zorniges Brüllen ausstieß und sich mit einem kraftvollen Satz auf einen der bizarren Libellenvögel warf.
Aber so schnell seine Bewegung war - das unglaubliche Vogelwesen war schneller. Kara beobachtete fassungslos, wie die Libelle mit einer schier unmöglichen Bewegung in der Luft zur Seite kippte, sich unter den zupackenden Klauen des Drachen hindurchschraubte und dann wieder in die Höhe schoß.
Aus dem Brausen und Pfeifen, das seinen Flug begleitete, wurde ein schrilles Heulen. Fast in der gleichen Sekunde kippte auch die zweite Libelle zur Seite, drehte einen Kreis und schoß mit einem wütenden Kreischen auf den Drachen zu. Ein dünner, durchbrochener Faden aus grünen Lichtperlen brach aus ihrem klobigen Schädel und explodierte in der Flanke des Drachen.
Flammen sprühten auf. Aus den Wutschreien des Drachen -
Kara betete, daß es nicht Markor war - wurde ein kreischendes Schmerzgebrüll.
Plötzlich begann der Boden unter ihnen zu zittern, und ein zweiter, dritter und vierter Schatten sprangen in die Höhe und stürzten sich auf die Libellen. Wie durch ein Wunder gelang es ihnen zwar, den Tieren auszuweichen, aber aus ihrem bislang eleganten Flug wurde ein hektisches Hin- und Herspringen. Das grüne Feuer zuckte ein zweites Mal auf, verfehlte aber sein Ziel.
Silvy! befahl Kara. Schnappt sie euch! Gleichzeitig rannte sie los und schrie aus Leibeskräften Markors Namen. Über dem immer schriller werdenden Heulen der Libellen konnte er ihre Stimme unmöglich vernehmen. Aber wie am Drachenfels hörte er sie dennoch und reagierte. Als Kara den Landeplatz erreichte, prallte er mit einer Erschütterung, die die ganze Stadt erheben ließ, auf den Boden. Kara kletterte auf seinen Rücken, und der Drache wartete nicht ab, bis sie sich richtig gesetzt hatte, sondern schwang sich sofort wieder in die Luft. Kara klammerte sich hastig am Sattel fest und hielt nach den Libellen Ausschau. Plötzlich sahen sie sich vier bizarr geformten Schatten gegenüber. Wieder schnitt das grüne Licht durch die Luft.
Diesmal traf der Strahl Markors Flügel und durchbohrte ihn, richtete aber nicht mehr Schaden an als ein faustgroßes, rauchendes Loch, das der Drache wahrscheinlich nicht einmal spürte. Dafür warf sich Markor mit einem zornigen Knurren herum, schwang sich mit einer einzigen kraftvollen Bewegung auf die gleiche Höhe wie die Libelle hinauf und schlug mit den Flügeln zu.
Kara sah ganz genau, was geschah.
Markors Schwinge war dreimal so groß wie sein Gegner, und er hätte die Libelle zerschmettern müssen wie eine Fliegenklatsche ihr Opfer. Aber obwohl die Libelle nicht mehr die geringste Chance hatte, dem Schlag auszuweichen, traf sie die Schwinge nicht. Etwas Unsichtbares schien plötzlich zwischen ihr und der Drachenschwinge zu sein. Die Libelle taumelte, wurde zur Seite gedrückt und begann zu trudeln, fing ihren Sturz aber im letzten Moment wieder ab.
Karas Verblüffung hätte sie fast das Leben gekostet.
Eine zweite Libelle jagte kreischend heran, und plötzlich hatte sie Augen: ein Paar großer, grausam hell leuchtender Scheinwerfer, die sich auf Kara richteten und sie blendeten.
Grünes Feuer schnitt eine Narbe in die Nacht und hinterließ eine rauchende Spur in den Panzerplatten auf Markors Hals; eine Handbreit von Karas linken Bein entfernt.
Der Drache brüllte vor Schmerz und begann zu taumeln.
Kara duckte sich tief über seinen Hals, während die Libelle heulend über sie hinwegschoß. Der Doppelstrahl ihrer Scheinwerfer erfaßte für eine Sekunde eine zweite Libelle, und zum ersten Mal sah Kara die unglaublichen Gebilde, so wie sie wirklich aussahen.
Es waren keine Tiere.
Es waren Maschinen.
Ihr Körper bestand im Grunde nur aus einer vielfach durchbrochenen Gitterkonstruktion. Der aufgedunsene Kopf war nichts als eine Kugel aus Glas, in der zwei sitzende Gestalten zu sehen waren. Über dieser Kugel drehte sich ein flimmernder Kreis, dessen Luftwirbel die bizarre Konstruktion in der Luft hielt.
Kara sah einen weiteren Strahl giftgrünen Lichts auflodern, und diesmal traf der Blitz mit tödlicher Präzision den Schädel eines der Drachen. Das Tier brüllte vor Schmerz, kippte plötzlich zur Seite und begann mit hilflos schlagenden Flügeln abzustürzen. Einen Augenblick später schlug es mit unvorstellbarer Wucht in der Stadt auf und durchbrach deren Boden. Zusammen mit einem halben Dutzend zerschmetterter Häuser verschwand es in der Tiefe.
Silvy! rief Kara verzweifelt. Wo bleibt ihr?
Wie zur Antwort erscholl über ihr ein wütendes Brüllen, und als sie den Kopf hob, sah sie die Umrisse von fast zwei Dutzend Drachen über der Stadt auftauchen. Die Tiere stürzten sich in den Kampf.
Und trotzdem war es nicht sicher, daß sie ihn gewinnen würden.
Der Himmel über der Stadt war so voller Drachen, daß sich die riesigen Tiere gegenseitig behinderten und mehr als einmal miteinander kollidierten. Trotz ihrer Überzahl gelang es ihnen einfach nicht, ihre Gegner zu fassen. Es war, als würden die Maschinen von einem unsichtbaren Zauber beschützt.
Dafür wütete das grüne Feuer um so furchtbarer unter den Tieren. Die Angreifer mußten kaum mehr zielen, um zu treffen, und immer mehr Drachen schrien gepeinigt auf, wenn in ihren Panzern rauchende Löcher entstanden. Schließlich sah Kara, wie das grüne Licht einen der Drachenreiter durchbohrte und ihn in eine lebende Fackel verwandelte, die brennend in die Tiefe stürzte.
Zurück! befahl Kara entsetzt. Zieht euch zurück. Wir müssen anders vorgehen!
Kara mußte ihren Befehl noch zweimal wiederholen, bis auch der letzte Reiter sein Tier zurückriß und wieder an Höhe gewann. Sie sah über die Schulter zurück und war nicht sonderlich überrascht, zu sehen, daß die Libellen die flüchtenden Drachen verfolgten. Vermutlich hätte sie nicht anders gehandelt, hätte sie sich unverwundbar gefühlt. Nun, dachte sie grimmig, sie würden sehen, was es mit ihrer Unverwundbarkeit auf sich hatte!
Verteilt euch! befahl sie. Versucht, sie in verschiedene Richtungen zu locken!