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»Wir haben ein Problem«, sagte Zen nach einer Weile.

Kara sah ihn fragend an. »So?«

»Ohne die Rufer können wir uns nicht verständigen.« Er deutete in den Himmel hinauf: »Wir sollten vorher besprechen, in welche Richtung wir weiterfliegen.«

»Du hast recht«, sagte Kara nach einigem Nachdenken. »Wer weiß, wann wir das nächste Mal einen sicheren Landeplatz finden. Ruf die drei anderen.«

Während Zen sich entfernte, um Maran und die beiden Mädchen zu holen, sah sich Kara mit einem neuen Gefühl von Unsicherheit um. Die unmittelbare Bedrohung durch das Pflanzenwesen hatte sie für einen Augenblick fast die andere größere Gefahr vergessen lassen, in der sie schwebten. Sie befand sich vermutlich schon in dem Teil des Schlundes, von dem nicht sehr viel mehr bekannt war, als daß es ihn eben gab. Wie es schien, breiteten sich Gäas Sumpfwälder endlos weit aus; auf jeden Fall sehr viel weiter, als ein Drache zu fliegen imstande war.

Zen kam mit den beiden anderen herbei, und sie einigten sich darauf, in einer engen Formation weiter nach Norden zu fliegen. Kara schärfte ihnen noch einmal ein, auf gar keinen Fall auf eigene Faust zu handeln, sollten sie die Libellen wieder einholen oder auf andere Gegner stoßen.

Wenige Augenblicke später saß Kara wieder auf Markors Rücken, und der Flug in die unbekannten Tiefen des Schlundes ging weiter.

Eine Stunde. Eine zweite, der eine Rast von der gleichen Länge folgte, und dann wieder eine Stunde Flug. Die Sonne stieg höher, und bald begann es selbst auf den Rücken der Drachen unangenehm warm zu werden. Die Landschaft unter ihnen änderte sich nicht: grüne Hügel, zwischen denen gelegentlich gewaltige Löcher klafften.

Sie hatten eine zweite Rast eingelegt und glitten in dreißig oder vierzig Metern Höhe am Rand einer der gewaltigen Lichtungen entlang, als der Drache, der links von Kara flog, plötzlich eine scharfe Wendung machte und sich fast im rechten Winkel von Kara entfernte.

Kara fluchte ungehemmt, Tess! Wer sonst?

Sie sparte sich die Mühe, den Namen der jungen Kriegerin zu rufen, sondern zwang Markor mit einer abrupten Bewegung herum und flog hinter ihr her. Gleichzeitig signalisierte sie den drei anderen zu bleiben, wo sie waren und ihr und Tess den Rücken freizuhalten.

Tess schraubte ihren Drachen in einer immer enger werdenden, flachen Spirale in die Tiefe. Kara beobachtete das Flugmanöver nicht ohne Sorge. Drachen waren eher einfache Segler als Kunstflieger. Wenn das Tier mit den Bäumen kollidierte oder Tess es in eine zu enge Kurve zwang, dann würde es der Drache zwar überstehen; seine Reiterin aber nicht. Kara hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da vollführte Tess ein noch gewagteres Manöver - ihr Drache schoß plötzlich mit vorgestreckten Krallen auf einen Ast zu und versuchte, darauf Halt zu finden. Der Anblick erinnerte an einen Falken, der auf seine Beute hinabstieß; nur daß der Drache kein Falke war, sondern ein Gigant von achtzig oder auch hundert Tonnen Körpergewicht. Der Ast splitterte unter dem Aufprall und stürzte mit einem gewaltigen Krachen und Poltern in die Tiefe. Kara beobachtete mit angehaltenem Atem, wie der Drache taumelte und Tess sich im allerletzten Moment mit verzweifelter Kraft auf seinem Rücken festklammerte.

Sie lenkte Markor an das heftig mit den Flügeln schlagende Tier heran und versuchte, gestikulierend Tess' Aufmerksamkeit zu erwecken. »Bist du wahnsinnig geworden?« schrie sie. »Was hast du vor? Dich umzubringen?«

Es war zweifelhaft, ob Tess die Worte überhaupt verstand, aber sie winkte jedenfalls zurück. Dann bemerkte Kara, daß Tess auf etwas im Wald deutete: Unter ihnen, vielleicht vierzig oder fünfzig Meter tief, lag eine der Libellenmaschinen. Sie hing aufgespießt wie ein übergroßer Schmetterling an einem der vorstehenden Äste des Riesenbaumes.

Kara ließ Markor wieder höhersteigen, signalisierte Tess, ihr zu folgen, und hielt nach einem Landeplatz Ausschau. Tess' Idee, den Drachen möglichst nahe bei dem Wrack niedergehen zu lassen, wäre nicht einmal so dumm gewesen, hätte es einen ausreichend stabilen Ast gegeben, um den Drachen landen zu lassen. Leider aber gab es keinerlei Landemöglichkeit.

Resignierend steuerte sie Markor von der Lichtung fort und hielt nach einem Ast Ausschau, der das Gewicht des Tieres, zu tragen imstande war. Die Äste, die sie fand, lagen ein gutes Stück von der Lichtung entfernt. Trotzdem - es ging nicht anderes. Kara wäre auch zwanzig Meilen zu Fuß durch den Dschungel marschiert, um sich eine der Libellen aus der Nähe anzusehen. Dicht hintereinander landeten sie in einer Baumkrone, und stiegen ab.

»Was hattest du vor?« empfing Kara Tess verärgert. »Eine besondere Art Selbstmord?«

»Hast du sie nicht gesehen?« fragte Tess verblüfft.

»Doch«, erwiderte Kara. Sie mußte an sich halten, um Tess nicht vor Zorn anzuschreien. »Aber du hättest etwas sagen können.« Sie winkte ab. »Vergiß es. Ich will mir dieses Ding ansehen.« Sie deutete auf Zen. »Du kommst mit. Maran, Silvy - ihr steigt abwechselnd auf und haltet uns den Rücken frei.«

Ihr knapper, befehlender Ton verfehlte seine Wirkung nicht.

Keiner der anderen widersprach, obwohl sie Maran ansah, wie enttäuscht er war. Im Grunde hätte sie auch viel lieber ihn als Tess mitgenommen. Aber schließlich hatte Tess das Wrack entdeckt.

Vorsichtig machten sie sich auf den Weg zur Lichtung. Die Baumkronen waren hier nicht annähernd so dicht wie in den Gebieten, über die sie bisher geflogen waren, so daß sie langsamer als erwartet vorankamen und mehr als einmal Umwege oder halsbrecherische Klettereien in Kauf nehmen mußten, um sich ihrem Ziel zu nähern. Sie drangen immer weiter in den Wald ein, denn die obersten Äste waren nicht stark genug, um ihr Gewicht zu tragen. Als sie die Lichtung erreichten, erhob sich das gigantische Blätterdach gut zwanzig Meter über ihnen.

Kara gab den beiden anderen ein Zeichen zurückzubleiben, ließ sich auf Hände und Knie herab und kroch die letzten Meter bis zum Ende des mannsdicken Astes. Er endete an einem zersplitterten Stumpf, aus dem Harz gequollen und zu einer dicken braunen Kruste erstarrt war. Dahinter lag nichts als Leere, die sich in dunkler Tiefe verlor. Ein fauliger Geruch stieg empor.

Kara schauderte. Der flüchtige Gedanke, den sie vorhin gehabt hatte, war richtig gewesen. Diese Lichtung war nicht auf natürlichem Wege entstanden. Irgend etwas war vom Himmel gestürzt und hatte ein gewaltiges Loch in das Blätterdach gerissen.

Mit größter Konzentration überzeugte sie sich davon, daß sie mit Händen und Füßen sicheren Halt hatte, dann beugte sie sich vor und hielt nach der Libelle Ausschau. Sonderbar: Jetzt, wo sie praktisch festen Boden unter den Füßen hatte, ergriff sie ein heftiges Schwindelgefühl. Sie schloß für einen kurzen Moment die Augen, wartete, bis der Schwindel sich legte, und zwang sich dann, direkt in den Abgrund zu blicken.

Die Libelle lag kaum dreißig Meter tiefer. Kara erwog für einen Moment, einfach in die Tiefe zu klettern, was sie gekonnt hätte - es gab genug Äste, um sich festzuhalten. Aber irgend etwas warnte sie, nicht hinabzusteigen.

Sie kroch ein Stück rückwärts, richtete sich vorsichtig wieder auf und ging zu Tess und Zen zurück. »Wir sind fast da«, sagte sie. »Aber das letzte Stück wird schwierig.«

»Hast du jemanden gesehen?« fragte Zen. »Der Pilot könnte noch am Leben sein.«

Kara war keine Bewegung aufgefallen. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Seid aber vorsichtig.«

Für die letzten fünfzig Meter brauchten sie fast genauso lange wie für die knappe Meile hierher. Sie stießen entweder auf ein Gewirr aus Ästen, Zweigen und Dornenranken, das so gut wie undurchdringlich war, oder Löcher, die sie nur mit lebensgefährlichen Sprüngen überwinden konnten. Die abgestürzte Libelle war schon zu sehen, als sie beinahe zum Aufgeben gezwungen worden wären: Vor ihnen lagen noch vier oder fünf Meter, aber der Stamm des Riesenbaumes war an dieser Stelle so glatt, als hätte sich jemand die Mühe gemacht, ihn sorgfältig zu polieren. Sie überwanden den Abgrund nur, indem sie all ihren Mut zusammennahmen und einfach sprangen.