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»In Ordnung«, sagte sie, während sich Zen bereits wieder umwandte und an der Kanzel zu hantieren begann. »Aber ich werde versuchen, Silvy und Maran ein Zeichen zu geben, ehe sie anfangen, sich Sorgen zu machen. Wir sind schon eine ganze Weile weg.«

Es war eine Ausrede. Ob sich die beiden anderen Sorgen machten oder nicht, war Kara ziemlich gleichgültig. Aber sie fühlte sich noch immer unwohl in der Nähe dieser bizarren Maschine. Die linke Hand auf dem Rumpf, balancierte sie vorsichtig so weit über die Astgabel nach außen, bis sie wieder den Himmel sehen konnte. Über ihr kreiste ein mächtiger, dreieckiger Schatten. Sie konnte gegen das grelle Gegenlicht nicht erkennen, ob es Silvy oder Maran war, aber allein der Anblick wirkte beruhigend, gleichwohl wußte Kara, daß ihnen der Drache nicht im mindesten helfen konnte, wenn sie hier in Gefahr gerieten oder angegriffen wurden. Sie hob die freie Hand und winkte, und nach einigen Augenblicken hob die winzige Gestalt auf dem Rücken des Drachen ebenfalls den Arm und winkte zurück.

Kara blieb noch einige Augenblicke reglos stehen und genoß das Sonnenlicht, das warm auf ihr Gesicht fiel. Es war ein angenehmes Gefühl, das sie für Sekunden alles andere vergessen ließ. Nur der faulige Geruch war mehr als störend, der aus der Tiefe zu ihr emporstieg. Widerwillig öffnete sie die Augen - und blickte mit einem verblüfften Stirnrunzeln in die Tiefe.

Es war Mittag. Die Sonne stand im Zenit, und es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Sonne weiterwanderte und die Schatten den Grund des klaffenden Risses im Wald wieder verschlangen - aber in dieser Minute, vielleicht sogar der einzigen des Jahres, in der es überhaupt möglich war, brachen sich die Sonnenstrahlen glitzernd auf einer gewaltigen Wasserfläche, die dort war, wo der Waldboden sein sollte. Es war nicht einfach nur ein Bach oder ein Tümpel; Kara sah ganz deutlich die Wipfel kleinerer Bäume, die schon fast völlig im Wasser verschwunden waren, blattlos und tot wie die skelettierten Hände von Ertrunkenen. Hier und da trieb etwas auf dem Wasser, zu weit entfernt, um es genau zu erkennen, aber zu groß, um einfach ein Stück Baumrinde oder ein ausgerissener Busch zu sein. Vielleicht waren es die Kadaver von Tieren, die in diesem Wasser den Tod gefunden hatten.

Kara sah verwirrt auf, als sich die Schatten wieder über den Grund der Lichtung schoben. Erst jetzt bemerkte sie, daß sie nicht allein war: Fast lautlos war Tess neben sie getreten. Und auf ihrem Gesicht lag die gleiche, ungläubige Verblüffung, die auch Kara erfüllte.

Tess las die unausgesprochene Frage in ihrem Blick. »Nein, du bist nicht verrückt. Es sei denn, wir sind es beide. Und beide auf die gleiche Weise.«

»Aber das ist unmöglich«, murmelte Kara.

»Stimmt«, sagte Tess.

»Dort unten kann kein Wasser sein.«

»Nein, das kann es nicht«, pflichtete ihr Tess bei.

»Ich meine, Angella hat uns immer wieder erzählt, daß dort Sumpf ist!«

»Das hat sie«, bestätigte Tess.

»Gäa könnte im Wasser nicht leben.«

»Nein, bestimmt nicht«, versicherte Tess.

»Und außerdem... wachsen Bäume nicht aus dem Meer!«

»Niemals!« stimmte Tess zu.

»Also kann es dieses Wasser gar nicht geben.«

»Ganz sicher nicht«, sagte Tess.

Kara blickte sie eine Weile durchdringend an. »Aber es ist da«, murmelte sie schließlich und blickte noch einmal in die Tiefe. Aber schon hatte sich Finsternis über diese sonderbare Wasserfläche gelegt.

»Dieser Wald stirbt«, murmelte Tess plötzlich. »Und jetzt wird auch klar, wieso wir so leicht hierhergekommen sind.«

»Leicht?« Kara ächzte. Ihr schwindelte noch, wenn sie an die halsbrecherischen Kletterpartien dachte, die hinter ihnen lagen.

»Ich fand es alles andere als leicht.«

»Nach allem, was uns Angella über diesen Wald erzählt hat, dürften wir gar nicht mehr leben«, beharrte Tess.

Kara verstand, was sie meinte - und sie gestand sich widerwillig ein, daß Tess recht hatte. So unheimlich dieser Teil des Waldes auch war, gab es doch kaum tierisches Leben. Ein paar Insekten, einige wenige Vögel, die schimpfend davongeflogen waren... Von all den gefräßigen, tödlichen, heimtückischen Monstern, von denen es in Gäas Reich nur so wimmeln sollte, hatten sie auf dem Weg hierher nicht eines gesehen.

»Vielleicht sind sie alle ertrunken«, murmelte Tess mit einem schiefen Lächeln. Ihre Worte hatten scherzhaft klingen sollen, aber sie schürten Karas Beunruhigung nur noch. Sie waren beide zu sehr im Einklang mit der Natur aufgewachsen, um nicht sofort und zweifelsfrei zu wissen, was hier geschehen war: Wenn es dort unten wirklich plötzlich ein Meer gab, dann war das ökologische Gleichgewicht des Waldes vielleicht schon jetzt unwiderruflich zerstört.

Ein lautstarkes Klirren ließ sie beide zum Wrack der Libelle herumfahren. Im ersten Moment war die Ursache des Lärms nicht auszumachen, aber dann erkannte Kara, daß Zens Füße aus einer schmalen Öffnung des Libellenkopfes herausragten.

Erschrocken liefen sie los, um Zen zu Hilfe zu eilen, doch noch bevor sie ihn erreichten, begann Zen sich rückwärts ins Freie zu schieben. Tess wollte ihm helfen, aber Kara hielt sie zurück. Sie wußten nicht, wie es hinter der Klappe aussah, durch die sich Zen gezwängt hatte. Es war möglich, daß sie ihn verletzten, wenn sie versuchten, ihm zu helfen.

Es dauerte noch eine geraume Weile, bis sich Zen keuchend und verschwitzt aus der Öffnung herausgearbeitet hatte. Er zitterte vor Anstrengung - aber das hinderte ihn nicht daran, über das ganze Gesicht zu grinsen.

»Was ist los mit dir?« fragte Tess stirnrunzelnd. »Hast du die Notration des Piloten gefunden?«

»Nein«, antwortete Zen atemlos. »Etwas viel Besseres.« Er beugte sich vor. Sein rechter Arm verschwand noch einmal bis zur Schulter in der Klappe. Als er die Hand wieder herauszog, hielt sie ein buntes, total zerknittertes Stück Papier, das an einer Ecke angesengt war.

»Was ist das?« fragte Kara.

»Das«, antwortete Zen triumphierend, während er das Blatt auseinanderfaltete, »ist eine Karte, Kara. Eine Karte des Schlundes.«

Seine Augen leuchteten vor Stolz auf, als er Karas Verblüffung registrierte. Dann stieß sein Zeigefinger so heftig auf das Papier herab, daß er fast ein Loch hineingestoßen hätte. »Und ich fresse Markors rechten Flügel«, fuhr er fort, »wenn das hier nicht der genaue Standort ihres Hauptquartiers ist.«

27

Als sich der Abend über den Schlund senkte, befanden sie sich über dreihundert Meilen weiter im Norden; und anders als am vorangegangenen Abend hatten sie einen Platz für die Nacht gefunden, an dem sie keine Angst haben mußten, unversehens in den Boden einzubrechen oder mit fremden Tieren unliebsame Bekanntschaften zu machen.

Mit Hilfe der Karte, die Zen im Wrack des Heliotopters gefunden hatte, hatten sie einen der steilen Lavafelsen ausfindig gemacht, die sich hier und da aus den Wipfeln des Waldes emporreckten; nicht annähernd so hoch wie der Drachenfels, aber hoch und vor allem unwegsam genug, um Sicherheit vor uneingeladenen Gästen zu bieten. Nahe des Gipfels entdeckten sie eine niedrige, aber sehr tiefe Höhle, wo sie die Nacht verbringen konnten. Sie waren allerdings nicht allein; als Kara einen vorsichtigen Blick in die Höhle warf, stellte sie fest, daß es bereits einen Mieter gab. Er war ziemlich groß, hatte zu viele Beine und entschieden zu große Zähne, aber Markor erledigte das Problem mit einem brüllenden Feuerstrahl. Was von dem Monstrum übrigblieb, eignete sich vorzüglich, ein Feuer für die Nacht zu entzünden.

Im Schein der übelriechenden Flammen studierten sie die Karte zum ersten Mal genauer. Kara war noch nicht überzeugt davon, daß Zen mit seiner Behauptung, das Hauptquartier der Fremden gefunden zu haben, wirklich recht hatte - obwohl einiges dafür sprach. Sie hatten dieses Thema am Mittag allerdings nicht diskutiert, sondern es vorgezogen, so schnell wie möglich von der sonderbar toten Lichtung zu verschwinden. Der See auf ihrem Boden war nicht der einzige Grund, aus dem es dort so wenig Leben gab.