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Auf dem Rückweg hatten sie mehrere eigentümliche Pflanzen entdeckt, und sie alle kannten die Zeichen einer strahlenverseuchten Region zu gut, um noch länger zu verweilen.

Der größte Teil der kontinentalen Landmasse war noch immer so verstrahlt, daß er gänzlich unbewohnbar war. Nur der Schlund war vom Allerschlimmsten verschont geblieben, weil er früher der Grund des Meeres gewesen war. Welchen Sinn sollte es schon gemacht haben, eine Atombombe ins Wasser zu werfen? Kara verdrängte diese Frage und strich die Landkarte sorgsam auf dem Boden glatt. Die Karte war viel größer, als es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte. Sie bestand aus einem dünnen, aber reißfesten Material; völlig auseinandergefaltet, maß sie gute achtzig Zentimeter im Quadrat.

Ihr oberer Rand war verkohlt; vermutlich war ein Stück von nicht mehr zu schätzender Größe beim Absturz verbrannt.

»Wo genau sind wir?« fragte Maran, während er sich über ihre Schulter beugte.

Nun, da die Karte in voller Größe ausgebreitet war, brauchte Kara einige Sekunden, bis sie ihren derzeitigen Standpunkt wiederfand. Sie deutete auf den winzig kleinen Felsen.

Maran blickte den Punkt, auf den sie gedeutet hatte, eine geraume Weile wortlos an. Es fiel Kara nicht sehr schwer, seine Gedanken zu erraten. Sie waren tiefer in den Schlund vorgedrungen als je ein Mensch vor ihnen, und in das aufregende Gefühl, ein phantastisches Abenteuer zu erleben, mischten sich Sorge und Angst vor den Libellenflugzeugen und ihren mysteriösen Erbauern. Außerdem ergab sich ein viel profaneres Problem: Sie hatten seit gestern abend weder etwas gegessen noch getrunken.

»Schade, daß man auf der Karte nicht mehr Einzelheiten erkennt«, sagte Maran. Stirnrunzelnd blickte er Zen an. »Was bringt dich zu der Überzeugung, daß das...« Er wies auf einen Punkt, der fast am Ende der Karte lag. »... ihr Hauptquartier ist?«

Zen verdrehte die Augen, seufzte tief und warf Maran einen vorwurfsvollen Blick zu, weil die Antwort auf diese Frage für ihn viel zu offensichtlich war. »Es ist ein strategisch idealer Punkt«, erklärte er. »Außerdem erkennt man, daß die Karte an dieser Stelle ganz besonders oft gefaltet worden ist. Und sie ist schmutzig.«

»Aha«, sagte Tess. »Was uns beweist, daß wir es mit einer Bande von Schmutzfinken zu tun haben.«

Zen schien ihre Worte nicht besonders amüsant zu finden.

»Was uns beweist«, sagte er in belehrendem Tonfall, »daß die Besitzer dieser Karte ganz besonders oft auf diese Stelle gedeutet haben.«

Plötzlich vernahm Kara vom Höhleneingang ein machtvolles Rauschen. Einer der Drachen war zurückgekommen. Die Tiere flogen abwechselnd aus, um irgendwo im Dschungel zu jagen.

Kara fragte sich, was sie in diesem beinahe leblosen Wald finden mochten, aber fast im selben Moment drang ein lautes Schlingen und Schmatzen an ihr Ohr; gefolgt von einem Rülpser, der die ganze Höhle zum Zittern zu bringen schien. Kara lächelte, während Silvy fast schmerzhaft das Gesicht verzog.

»Drache müßte man sein«, sagte sie. »Ich sterbe gleich vor Hunger.«

»Frag sie doch mal, ob sie dir etwas abgeben«, sagte Kara.

Die Worte waren eigentlich als Scherz gemeint, aber Silvy sah sie nur eine Sekunde kopfschüttelnd an, dann stand sie auf, zog ihr Messer aus dem Gürtel und verließ die Höhle. Kara sah ihr kopfschüttelnd nach. Silvy mußte wirklich sehr hungrig sein.

Sie wandte sich wieder der Karte zu. Je länger sie sie betrachtete, desto verwirrender kam sie ihr vor. An ihrem Rand befand sich eine Anzahl einfacher, aber unverständlicher Symbole.

Eigentlich ohne besonderen Grund streckte Kara die Hand aus und berührte eines davon.

Am Rand der Karte leuchtete plötzlich ein Rechteck aus orangeroten Linien auf.

Kara zog erschrocken die Hand zurück, und Zen und Tess blickten verblüfft auf die Karte hinab. Maran beugte sich stirnrunzelnd vor. »Was war das?« fragte er.

Kara zögerte, dann streckte sie abermals die Hand aus und berührte das Symbol ein zweites Mal. Das Rechteck erlosch.

Und leuchtete wieder auf, als sie das Symbol zum dritten Mal berührte. Dann probierte sie auch die anderen Symbole aus, aber nichts geschah.

»Irgendeine Bedeutung muß es doch haben!« murmelte Zen.

Er sah Kara fragend an, erntete ein hilfloses Achselzucken als Antwort - und berührte das Rechteck mit dem Zeigefinger.

Es begann zu zittern. Zen zog die Finger erschrocken wieder zurück.

Aber Kara beugte sich neugierig vor. Sie hatte etwas entdeckt: Wenn man genau hinsah, erkannte man, daß sich das Rechteck um wenige Millimeter verschoben hatte. Zögernd streckte sie die Hand aus und berührte es auf die gleiche Weise wie Zen zuvor. Aber sie zog die Finger nicht wieder zurück, sondern ließ sie langsam über das Papier gleiten. Das Rechteck folgte der Bewegung.

Zen sperrte Mund und Augen auf, während Kara das Rechteck langsam weiter über die Karte verschob, bis es über der Region angekommen war, in der sie sich befanden. Sie zog die Hand zurück und rechnete fast damit, daß das Gittersegment einfach an seinen angestammten Platz zurückkehren würde, aber es blieb, wo es war.

»Beeindruckend«, sagte Tess. »Und jetzt?«

Kara zuckte mit den Schultern. Sie hatte erwartet, daß irgend etwas geschah, aber nichts war passiert.

Zen fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen, streckte einen zitternden Finger aus und berührte das zweite Symbol auf dem Rand der Karte. Die orangeroten Linien leuchteten auf - und plötzlich begann das Rechteck zu wachsen, bis es fast die gesamte Karte bedeckte.

Und mit ihm wuchs sein Inhalt. Statt einer recht kleinen Darstellung des gesamten Schlundes blickten sie plötzlich auf eine in großem Maßstab gehaltene, farbige und dreidimensionale Darstellung des Berges herab, in dessen Innerem sie sich befanden. Und als wäre dies allein noch nicht erstaunlich genug, bewegte sich das Bild! Sie konnte sehen, wie der Wind mit den Blättern spielte. Die Schatten großer Vögel glitten über die Wipfel dahin, ohne daß die Tiere selbst zu erkennen gewesen wären, und durch eine Lücke in den Bäumen konnte sie Wasser am Grunde des Waldes glitzern sehen. Bald bemerkte man aber, daß sich immer dieselbe Bewegung abspielte, eine Sequenz von nicht ganz zehn Sekunden, die sich ununterbrochen wiederholte.

»Das ist... unglaublich!« flüsterte Zen.

Kara sah flüchtig auf, als Silvy zurückkehrte. Sie brachte nichts von der Beute des Drachen mit, war aber ziemlich bleich geworden.

»Schaut euch das an«, murmelte Tess. »Man... man kann sogar die einzelnen Blätter erkennen.«

Das war zwar übertrieben - aber auch Kara hatte nie zuvor eine Karte (Karte?) von solcher Detailgenauigkeit gesehen.

Über zehn Minuten saßen sie über die Karte gebeugt da und staunten über dieses Wunderwerk aus einer alten, längst untergegangenen Welt, dann machten sie sich daran, die Funktion der Karte genauer zu ergründen. Kara und Zen experimentierten eine Weile herum, bis sie herausfanden, wie der zu vergrößernde Ausschnitt genau festgelegt oder auch aufgeteilt werden konnte, so daß man zwei, vier oder auch acht unterschiedliche Bereiche der Karte gleichzeitig betrachten konnte. Die Karte war ein kleines Wunderwerk, das allein ihre Expedition in den Schlund gelohnt hatte.

»So«, sagte Maran in fast fröhlichem Ton und wandte sich an Zen. »Dann wollen wir uns dein Hauptquartier ein wenig genauer ansehen.« Mit übertriebenen Bewegungen verschob er das orangerote Rechteck dorthin, wo Zen die Zentrale der Fremden vermutete, dann berührte er das Symbol auf dem Kartenrand, und...