Выбрать главу

Vielleicht war auch ihr unbändiger Zorn der Grund, warum ihr die Veränderung nicht sofort auffiel, die mit ihrer Umgebung vonstatten ging.

Am Anfang waren es nur Kleinigkeiten - ein brauner Fleck im Wipfelwald hier, ein blattloser Baum da, das umgestürzte Gerippe eines Riesenbaumes, manchmal ein Schimmern von Silber, das vom Grund des Waldes heraufdrang. Aber die Anzeichen wurden deutlicher, je weiter sie nach Norden kamen.

Der Wald starb.

Immer öfter flogen sie über sterbende Bäume dahin, und immer öfter sahen sie das Schimmern einer gewaltigen Wasserfläche, die sich am Grund des Waldes erstreckte; dort, wo eigentlich Gäas lebensspendender Sumpf sein sollte. Manchmal glitten sie über tote Baumgiganten dahin, die wie Pfähle eines irrsinnigen Riesenzaunes aus einer endlosen Wasserfläche emporragten, dann wieder tauchten grüne, lebende Inseln unter ihnen auf, die dem mörderischen Würgegriff des Wassers bisher getrotzt hatten. Aber wie lange noch?

Zwei Stunden vor Sonnenuntergang waren die Drachen mit ihrer Kraft am Ende. Aber sie hatten Glück, daß sie auf Anhieb einen Landeplatz fanden: einen Felsen, der dreißig Meter aus dem Wasser ragte. Kara ließ ihren Drachen zwei vorsichtige Runden über dem Berg drehen. Der Fels wirkte leblos, aber sie dachte an den Bewohner der Höhle, in der sie die Nacht verbracht hatten, und so ließ sie Markor und die beiden anderen Drachen einen Schwall Feuer über den Lavafelsen speien, ehe sie endgültig landeten.

Markor wäre fast gestürzt, als er auf dem Berg aufsetzte.

Seine ungeschickte Landung zeigte Kara deutlicher als alles andere, wie erschöpft die Tiere waren, und dieser Gedanke wiederum ließ ihre Sorge um Maran und Tess zu neuer Glut aufflammen. Die Drachen der beiden mußten ebenso erschöpft sein wie ihre Tiere. Wenn sie den Berg fanden und wenn es dort auch nur noch einen einzigen Verteidiger gab, dann hatten die beiden keine Chance.

Umständlich, mit steifen, schmerzenden Gliedern, kletterte Kara von Markors Rücken und entfernte sich ein paar Schritte von dem Drachen. Der Boden unter ihren Füßen war noch heiß. Grauer Rauch drang aus Felsspalten und Rissen im Fels, und der scharfe Geruch von heißem Stein lag in der Luft.

Schaudernd sah sich Kara um. Sie glaubte nicht, daß Markors Feuer mehr Schaden angerichtet hatte, als ein paar Algen und Schimmelpilze zu verbrennen. Der Felsblock war so tot, wie er nur sein konnte - genauso leblos wie die Umgebung, in der er lag.

Karas Blick tastete über die silbergraue Wasserwüste, aus der sich der Felsbuckel erhob. Aus der Luft war der Anblick schlimm gewesen; aus der Nähe war er entsetzlich. Der Wald hatte sich gelichtet. Viele Bäume waren einfach verschwunden.

Hier und da ragte noch ein fauliger Stumpf aus dem Wasser, an manchen Stellen waren große Schatten unter der Oberfläche sichtbar, und nicht weit von Kara entfernt hatte ein einzelner Baum seine grüne Krone behalten. Als sie aber genauer hinsah, erkannte sie, daß es nicht das Grün von Blattwerk war, sondern unzählige Parasitenpflanzen, die sich auf den kahl gewordenen Ästen niedergelassen hatten. Doch auch die Parasiten würden nicht mehr lange leben; zwischen dem Grün gewahrte Kara häßliche braune Flecke, die wie Rost aussahen.

»Entsetzlich, nicht wahr?«

Kara widerstand der Versuchung, sich herumzudrehen, als sie Zens Stimme hörte. Statt dessen nickte sie nur und blickte weiter nach Norden. Es sah beinahe so aus, als erstrecke sich das Meer bis ans Ende der Welt. Kara verstand einfach nicht, woher die unvorstellbaren Mengen von Wasser kamen. Jeder Versuch, seine Menge zu schätzen, mußte kläglich scheitern, zumal für Menschen, die auf einer Welt aufgewachsen waren, auf der jeder kleine See ein Wunder bedeutete.

»Es ist absurd«, murmelte Zen hinter ihr. Er wartete einen Moment, und als sie immer noch keine Anstalten machte, irgendwie auf seine Worte zu reagieren, trat er mit einem Schritt neben sie und blickte sie von der Seite her an. »Wäre es nicht so entsetzlich, dann würde ich lachen, weißt du? Ich habe immer gedacht, ohne Wasser gäbe es kein Leben. Das hat man uns doch beigebracht, oder? Daß das Wasser der Ursprung allen Lebens ist.«

Kara sah ihn an und schwieg. Zen wollte keine Antworten. Er wollte nur reden.

»Aber das Wasser tötet das Leben«, fuhr er fort. »Dieser Wald ist mehr als hunderttausend Jahre alt. Und jetzt stirbt er innerhalb weniger Jahrzehnte!«

Falsch, dachte Kara. Innerhalb weniger Jahre. Auf der Karte war dieser Teil des Dschungels noch als lebend und unversehrt eingezeichnet gewesen. Von einem See - geschweige denn von einem Meer! - hatte sie keine Spur entdecken können.

»Vielleicht ist das der Grund, aus dem sie gekommen sind«, murmelte Zen.

»Die Fremden!«

Zen nickte. »Ja. Vielleicht... ich meine, vielleicht wurde ihre Heimat zerstört. Ich habe darüber nachgedacht, weißt du? Es kann kein Zufall sein, daß sie gerade jetzt aufgetaucht sind. Vielleicht leben sie in einem Teil des Schlundes, der untergegangen ist, und suchen neuen Lebensraum.«

Kara dachte einen Moment über diese Idee nach. Plausibel - aber aus irgendeinem Grund vermochte der Gedanke sie nicht zu überzeugen. Andererseits hatte sie keinen wirklichen Anlaß, Zen zu widersprechen, da sie so gut wie nichts über die Welt jenseits des Drachenfelsen wußten.

»Die Höhle, von der du erzählt hast«, fuhr Zen nach einer Weile fort. Kara blinzelte irritiert, bis ihr klar wurde, daß Zen übergangslos das Thema gewechselt hatte. »Glaubst du, daß es das hier ist?«

Sie blinzelte abermals, ein wenig überrascht über die Frage. Sie hatte geglaubt, als einzige auf diese verrückte Idee gekommen zu sein. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nein. Ich habe selbst schon mit dem Gedanken gespielt, aber das ist unmöglich. Die Höhle ist groß, aber nicht so groß -«

»Woher willst du das wissen?« unterbrach sie Zen. »Du hast selbst gesagt, daß du nicht weißt, wie groß das unterirdische Meer ist.«

»So groß jedenfalls nicht«, beharrte Kara. »Außerdem liegt ihr Wasserspiegel fast eine Meile unter dem Schlund. Und Wasser fließt in den allerwenigsten Fällen nach oben - glaube ich.«

Sie lächelte, aber Zen blieb ernst.

»Der Wasserspiegel fällt«, beharrte er. »Und hier erscheint plötzlich ein Meer, das es vorher nicht gegeben hat.«

»Ich könnte mir ein Dutzend Erklärungen einfallen lassen, die einleuchtender und logischer sind.« Kara war selbst ein wenig überrascht, als ihr die Schärfe in ihrer Stimme auffiel. Erst jetzt spürte sie, wie sehr Zens Worte sie erschreckt hatten. »Vielleicht hat es irgendwo ein Erdbeben gegeben, das den Lauf einiger Flüsse verändert hat. Oder ein Damm ist gebrochen.«

Sie spürte, wie unbefriedigend diese Erklärung war. Zen machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. Mit einem resignierenden Seufzen ging er an ihr vorbei und schritt vorsichtig über den Felsen, bis er das Wasser erreicht hatte. Er beugte sich vor und blieb reglos und sehr aufmerksam stehen, um auf eine Stelle unweit des Ufers zu blicken. Als Kara in die gleiche Richtung sah, erkannte sie, daß etwas im Wasser schwamm. Sie konnte nicht genau erkennen, was es war, aber es war groß und dunkel und bewegte sich leicht auf den Felsen zu. Zen beugte sich vor und streckte die Hand aus.

»Faß es nicht an!« sagte Kara erschrocken.

Zen erstarrte mitten in der Bewegung, und Kara warf einen raschen Blick in den Himmel hinauf, ehe sie losrannte. Silvys Drache kreiste noch immer über der Insel. Aus irgendeinem Grund wagte sie es nicht, zu landen. Aber vielleicht hatte sie etwas entdeckt, das sie weiter aus der Luft beobachten wollte.

Sie blieb neben Zen stehen und legte ihm die Hand auf die Schulter, obwohl er den Arm längst wieder zurückgezogen hatte. »Rühr nichts an«, sagte sie noch einmal. Gleichzeitig beugte sie sich weiter vor, um erkennen zu können, was vor ihnen im Wasser schwamm. Es war ein mehr als mannsgroßes Büschel aus fauligem Wurzelwerk oder Tang, das wie nasses Haar im Wasser wehte.