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Gegen diese Theorie sprach allerdings eine Tatsache: daß Zen und sie hier am Leben und all diese Männer und Frauen tot waren.

Kara vermutete, daß sie etwa ein Viertel des Berges erkundet hatten, als sie zum ersten Mal das Geräusch hörte. Eigentlich spürten sie das Geräusch eher, ein ganz sachtes, aber ungeheuer mächtiges Vibrieren und Zittern, das den Boden, die Wände und sogar die Luft schwingen ließ.

Zen und sie sahen sich nur an. Plötzlich hatten beide das Gefühl, daß dieses Zittern die Lebensäußerungen von etwas Ungeheuerlichem sein mußten, etwas, das unsichtbar und tödlich irgendwo lauerte und sie verschlingen würde, sobald sie auch nur ein verräterisches Geräusch machten.

Unendlich vorsichtig gingen sie weiter. Die Halle, durch die sie sich bewegten, war riesig und vollkommen leer. Das gewaltige Einflugloch an ihrem jenseitigen Ende bewies Kara, daß es sich um eine Drachenhöhle handelte. Mit einem Gefühl eisigen Entsetzens fragte sie sich, ob sie auch hier auf eine ebenso gigantische wie intelligente Ameisenkönigin treffen würden wie die, von der ihr Angella erzählt hatte.

Das Vibrieren und Pochen wurde stärker, je tiefer sie kamen, und nach einer Weile gesellte sich auch ein wirklich hörbares Geräusch dazu: ein dumpfes Dröhnen und Hämmern, das Kara an nichts so sehr erinnerte wie an das Schlagen eines riesigen, schwarzen Herzens. Ihre Angst explodierte förmlich.

Plötzlich hob Zen die Hand und machte ein Zeichen, still zu sein. Kara hörte ein Summen, das rasch näher kam und plötzlich abbrach, dann ein ganz leises, metallisches Gleiten. Plötzlich, von einem Moment auf den anderen, erlosch ihre Angst.

Plötzlich war sie nur noch das, wozu Angella und Cord sie zehn Jahre lang erzogen hatten: eine Kriegerin. Bevor Zen seine Handbewegung zu Ende geführt hatte, huschte Kara in eine Nische des Ganges, in dem sie sich befanden, und verschmolz mit dem Schatten. Auch Zen glitt in die nächste Deckung, die er fand.

Das schleifende Geräusch wurde lauter, und in der Wand Kara gegenüber erschien ein schmaler Spalt, der sich rasch zu den Hälften einer auseinandergleitenden Aufzugtür weitete.

Kara war verblüfft. Sie hatte Aufzüge im Drachenfels gesehen, aber keiner davon hatte noch funktioniert. Dieser Aufzug jedoch funktionierte ausgezeichnet.

Ein hochgewachsener, sehr breitschultriger Mann trat hervor.

Er hatte dunkles Haar und ein kräftiges, von tausend winzigen Narben entstelltes Gesicht - und er trug eine der verhaßten blauschwarzen Uniformen. Den passenden Helm hatte er lässig unter den linken Arm geklemmt, in der anderen Hand schwenkte er ein Gewehr mit gläsernem Lauf.

Kara wartete, bis er aus dem Lift gekommen war, dann trat sie aus ihrer Deckung hervor, richtete die Waffe auf ihn und sagte freundlich: »Hallo.«

Der Fremde erstarrte. Ein Ausdruck vollkommener Fassungslosigkeit erschien in seinen Augen und noch etwas, das Kara nur zu gut kannte.

»Tu es nicht«, sagte sie.

Aber er tat es doch. Plötzlich bewegte er sich so schnell, daß Kara seinen Bewegungen kaum noch folgen konnte: In einem einzigen, gleitenden Satz ließ er seinen Helm fallen, kippte zur Seite und riß gleichzeitig sein Gewehr in die Höhe.

Aus einer Nische im Gang hinter ihm stach eine Lanze aus grünem Licht hervor und durchbohrte sein Herz. Er war tot, noch ehe sein Körper den Boden berührte.

»Das war knapp«, sagte Zen, während er vollends aus seinem Versteck heraustrat und sich dem Toten näherte. Vorsichtig stieß er ihn mit dem Fuß an und blickte in seine gebrochenen Augen, ehe er seine Waffe senkte. »Der Bursche war verdammt schnell.«

»Ja«, murmelte Kara. »Du hättest ihn nicht erschießen sollen.«

Zen starrte sie an, als zweifele er an ihrem Verstand. »Hätte ich vielleicht abwarten sollen, bis er dich erschießt?«

»Nein. Ich... hätte ihm nur gern ein paar Fragen gestellt.« Sie machte eine entschuldigende Geste. »Außerdem ist mindestens noch einer hier, mit dem wir uns unterhalten können.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf den Aufzug. »Was meinst du? Riskieren wir es?«

Zen würdigte sie nicht einmal einer Antwort, sondern trat an den Lift und musterte die Wand daneben. Es gab nur einen einzigen, sehr großen Schalter, den er nach kurzem Zögern betätigte. Die Aufzugtüren glitten auseinander und gaben den Blick auf eine kleine, rechteckige Kabine frei.

Kara ging mit einem raschen Schritt an Zen vorbei und betrat als erste die Kabine. Sie war nervös, gab sich aber alle Mühe, sich nichts davon anmerken zu lassen. Sie wartete kaum ab, bis Zen die Kabine betreten hatte, ehe sie die Hand ausstreckte und den untersten der zahlreichen Knöpfe berührte, die es an der Wand neben der Tür gab. Zen sah sie fragend an, aber sie ignorierte seinen Blick. Sie hatte das sichere Gefühl, daß sie die Antwort auf die allermeisten Fragen ganz unten in den Kellern des Berges finden würden.

Die Kabine setzte sich mit demselben Summen in Bewegung, das sie bei ihrer Ankunft gewarnt hatte. Die winzigen, mit fremdartigen Symbolen beschrifteten Knöpfe neben der Tür leuchteten der Reihe nach auf und erloschen, um die Etage anzuzeigen, auf der sie sich befanden. Kara staunte nicht schlecht, als sie die Tasten zählte: Der Berg mußte fast zur Gänze ausgehöhlt sein, denn er hatte weit über hundert Etagen.

Es war mehr als eine Festung, begriff sie plötzlich. Es war eine unterirdische Stadt, in der vielleicht ebenso viele Menschen Platz fanden wie in Schelfheim.

Das pochende Vibrieren wurde lauter und lauter, je weiter sie sich in die Tiefe bewegten. Kara hatte allmählich das Gefühl, daß ihr ganzer Körper im Rhythmus dieses hämmernden Taktes vibrierte. Die Kabine zitterte, glitt aber summend und gehorsam in die Tiefe. Schließlich leuchtete das unterste der kleinen Lämpchen auf. Die Kabine hielt an, und die Tür begann sich zu öffnen. Kara hob ihre Waffe und legte den Finger auf den Auslöser. Diesmal würde sie erst schießen und dann nachsehen, was sie getroffen hatte.

Aber der Gang hinter der Tür war leer. Gelbes Licht schlug ihnen entgegen, und der Boden vibrierte nicht mehr unter ihren Füßen, er zitterte.

Einen Moment lang blieben sie stehen und sahen sich um, dann deutete Kara nach rechts. Sie war nicht ganz sicher, aber das Geräusch schien von dort zu kommen. Der Stollen war sehr lang. Sie kamen an einer ganzen Reihe geschlossener Türen vorbei, die sie allesamt unbeachtet ließen, und gelangten schließlich in einen runden Raum, der mit technischen Geräten nur so vollgestopft war. Hier unten war nichts zerstört. Die meisten Geräte waren sogar eingeschaltet und erfüllten den Raum mit wisperndem, blinkendem Leben.

Kara hörte Stimmen und legte warnend den Zeigefinger über die Lippen. Zen deutete ein Nicken an. Lautlos huschten sie durch die Kammer und preßten sich rechts und links der Tür, hinter der die Stimmen zu hören waren, gegen die Wand.

Kara lauschte. Sie identifizierte die Stimmen zweier Männer, die sich lautstark unterhielten. Offenbar fühlten sie sich sehr sicher. Kara konnte nicht verstehen, worüber sie sprachen, denn sie redeten in einer ihr unverständlichen Sprache. Aber sie hörte ein Lachen. Und dann Schritte, die sich der Tür näherten.

Mit angehaltenem Atem preßte sie sich noch enger gegen die Wand. Die Schritte kamen näher, dann wurde die Tür geöffnet und zwei Männer traten dicht hintereinander hindurch.

Sie bemerkten Kara und Zen sofort. Beide Drachenkrieger standen im toten Winkel und verursachten nicht das mindeste Geräusch, aber die Fremden schienen über die empfindlichen Instinkte von Raubtieren zu verfügen - und deren blitzartige Reflexe.