Kara fand kaum noch Zeit zu begreifen, daß sie die Gefährlichkeit ihrer Gegner zum zweiten Mal unterschätzt hatte, da wirbelten die beiden Männer in einer fast synchronen Bewegung herum und stürzten sich auf Zen und sie. Es gelang Zen, seine Waffe abzufeuern, aber der Lichtblitz fuhr harmlos in die Decke und richtete nicht mehr Schaden an, als ein paar Kabel zu durchtrennen und einen Funkenschauer hervorzurufen.
Kara fand nicht einmal Zeit, ihre Waffe hochzureißen. Eine Hand packte ihren Arm und drückte ihn mit stählernem Griff herunter, eine andere packte ihr Gesicht und preßte ihren Kopf mit furchtbarer Gewalt gegen die Wand.
Kara bäumte sich auf, ließ das nutzlose Gewehr fallen und versuchte, dem Angreifer das Knie in den Unterleib zu rammen, aber er schien die Bewegung vorausgeahnt zu haben, denn er drehte sich blitzschnell zur Seite, so daß sie nur seinen Oberschenkel traf.
Sie hatte mit aller Kraft zugestoßen. Ihr Gegner jedoch zuckte nicht einmal zusammen. Dafür preßte er sie mit seinem ganzen Körper gegen die Wand. Ihr Kopf wurde mit grausamer Kraft gegen den Stein gedrückt. Kara hatte das Gefühl, als ob ihr Schädel platzte. Und sie bekam kaum noch Luft. Sein Handballen schob ihr Kinn zurück, und seine ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger versuchten ihre Nasenflügel zusammenzudrücken.
Kara schlug verzweifelt um sich.
Doch ihre Kräfte ließen allmählich nach. Seine Finger hatten ihr Ziel erreicht, so daß sie nun wirklich keine Luft mehr bekam, und der Schmerz in ihrem Hinterkopf trieb sie fast in den Wahnsinn. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, den gleichen Trick noch einmal zu versuchen, der ihr schon einmal zum Sieg verholfen hatte, und sich zum Schein zu ergeben oder die Bewußtlose zu spielen, verwarf ihn aber sofort wieder. Der Mann war nicht einfach nur stark. Er war ein Krieger wie sie, er würde nicht auf solche Mätzchen hereinfallen.
Ihre Sinne begannen zu schwinden. Das Gesicht vor ihr verschwamm, und plötzlich war ein dumpfes, dröhnendes Rauschen in ihren Ohren. Ihre Knie wurden weich. Sie konnte spüren, wie die Kraft aus ihr herauszufließen begann, als hätten sich in ihrem Inneren unsichtbare Schleusentore geöffnet. Ihre freie Hand sank kraftlos an seiner Brust herunter, berührte seinen Gürtel - und die Pistole, die in seinem Halfter steckte.
Karas Finger handelten vollkommen mechanisch. Sie tastete über den kalten Stahl der Waffe, fanden den Abzug und drückten ab.
Ein peitschender Laut erklang, gefolgt von einem häßlichen Zischen und dem Gestank von brennendem Leder und verschmortem Fleisch. Eine Welle furchtbarer Hitze peinigte Kara, dann verschwand die Hand, die sie zu ersticken drohte, von ihrem Gesicht, und ein schriller Schmerzensschrei gellte in Karas Ohren.
Sie sah Feuerschein, stieß den Mann von sich und versetzte ihm einen Tritt, der ihn vollends zu Boden taumeln ließ. Sein rechtes Bein brannte. Er krümmte sich, schlug verzweifelt mit beiden Händen nach den Flammen, die aus seiner Hose züngelten, und schrie wie von Sinnen.
Kara war mit einem Satz bei ihm, zerrte ihren Umhang von den Schultern und erstickte die Flammen. Zum Dank packte der Bursche in ihre Haare und versuchte, ihr den Kopf in den Nacken zu reißen. Kara gab dem Druck nach, rollte sich rückwärts über die Schulter ab und versetzte ihm einen Handkantenschlag gegen den Hals. Und dann verlor der Kerl endlich das Bewußtsein.
Kara sprang hastig auf und fuhr herum. Auch Zen rang noch mit seinem Gegner - und er steckte ziemlich in Schwierigkeiten. Er hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und versuchte verzweifelt, sein Gesicht und seinen Leib vor den schlimmsten Hieben zu schützen. Kara sprang den Burschen von hinten an. Sie wollte ihn niederreißen, aber wieder war es, als hätte er ihre Bewegung vorausgeahnt; er machte blitzschnell einen halben Schritt zur Seite, so daß Kara ins Stolpern geriet. Aber ihr Angriff hatte Zen die nötige Luft verschafft, die er brauchte.
Sein Gesicht war blutüberströmt, aber das hinderte ihn nicht daran, den Mann nun seinerseits zu attackieren. Doch selbst zu zweit hätten sie es beinahe nicht geschafft. In einer perfekt aufeinander abgestimmten Folge von Bewegungen deckten sie den Krieger mit einem Hagel von Hieben und Tritten ein, die jeden anderen Gegner binnen Sekunden zu Boden geschleudert hätten. Aber der Bursche schien plötzlich acht Arme und Beine zu haben. Es gelang ihnen kaum, einen Treffer anzubringen; dafür wurden Zen und sie um so öfter von seinen blitzartigen Gegenattacken getroffen. Und seine Hiebe waren so hart, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis er einen von ihnen ernsthaft verwundet oder getötet hätte.
Schließlich brachte Zen mehr durch Zufall einen Schlag an, der den Soldaten ein Stück zurücktaumeln ließ. Einen Atemzug lang war er benommen, und Kara nutzte die Chance, mit einem Tritt gegen die Brust seine Deckung zu durchbrechen. Zen setzte sofort nach, nahm einen Hieb mit der flachen Hand gegen den Hals in Kauf und rammte den rechten Ellbogen in die Rippen seines Gegenübers, dann versetzte ihm Kara einen Handkantenschlag, der ihm eigentlich das Nasenbein hätte brechen müssen.
Die Schläge zeigten Wirkung. Der Mann taumelte, und das leise, aber sehr hochmütige Lächeln, das bisher auf seinen Zügen gelegen hatte, machte einem Ausdruck von Überraschung und Schrecken Platz.
Kara bewegte sich mit einem Ausfallschritt an ihm vorbei und versuchte, mit einem Ellbogenstoß seinen Körper zu treffen; aber obwohl er angeschlagen war, gelang es ihm nicht nur, dem Stoß auszuweichen, sondern auch gleichzeitig ihren Ellbogen abzufangen und sie mit der gleichen Bewegung aus dem Gleichgewicht zu hebeln. Sie stürzte und sah, wie sich auch Zen unter einem Fußtritt in den Leib krümmte und auf die Knie fiel.
Hätte er sie in diesem Moment angegriffen, wäre das ganze Spiel zu Ende gewesen. Aber statt die Gelegenheit zu nutzen, setzte er mit einem Sprung über Kara hinweg und raste zur Tür.
Zen warf sich zur Seite und griff mit weit ausgestreckten Armen nach seinem Gewehr, und Kara begriff ganz plötzlich, in welcher Gefahr er sich befand. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloß, und Zen wälzte sich mit einem knurrenden Laut auf den Rücken und drückte ab. Der grüne Lichtblitz verfehlte Kara um eine knappe Handbreite, brannte ein Loch in das Metall der Tür und erwischte wohl auch den Mann, denn Kara hörte einen erstickten Schrei, dem ein dumpfer Aufprall folgte.
Sie war als erste auf den Füßen. Sie öffnete die Tür mit einem Tritt und sprang kampfbereit hindurch. Der Mann lag mit ausgebreiteten Armen drei Meter hinter der Tür. Er war tot.
Kara machte einen Schritt zur Seite, als Zen hinter ihr auf den Gang herausgestürmt kam. Er hob sein Gewehr und legte auf den Toten an. Kara drückte den Lauf der Waffe herunter. »Laß das«, sagte sie. »Wir haben schon zuviel Aufhebens gemacht. Wenn sie uns bis jetzt nicht gehört haben, müssen sie taub sein.«
Zen blickte den Toten mit einer Mischung aus brodelndem Zorn und tiefster Verstörtheit an. Nur ganz langsam senkte er das Gewehr, dann hob er die Hand und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Sein Gesicht begann bereits anzuschwellen. Er sah aus, als hätte er mit einem Drachen gekämpft.
»Großer Gott?« murmelte er erschöpft. »Was sind das für Typen, Kara?«
»Ich... weiß es nicht«, antwortete Kara zögernd. »Ich... ich habe schon einmal mit einem dieser Männer gekämpft - in Schelfheim. Er war genauso zäh. Ich... ich dachte, es wäre einer ihrer besten Krieger. Ihr Anführer vielleicht. Aber sie scheinen alle so gut zu sein.«
Sie war auf eine Art und Weise verstört, die sie beinahe völlig lähmte. Plötzlich verstand sie, wieso Elders Männer so chancenlos gegen die Krieger aus dem Unterwasserboot gewesen waren. Sie machte sich nichts vor: Dieser eine Krieger allein hätte sie beide töten können, hätte er nicht den Fehler begangen, sein Heil in der Flucht zu suchen. Die Vorstellung, gegen eine ganze Armee dieser Männer kämpfen zu müssen, erfüllte sie mit Entsetzen.