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Sie gingen zurück zu dem Verwundeten in der Kammer. Der Mann war bei Bewußtsein, reagierte aber nicht, als Kara neben ihm niederkniete. Seine Augen waren trüb. Er atmete schwer, und ein rasselndes Geräusch begleitete jedes Luftholen. Als Kara den Mantel anhob, den sie über sein verbranntes Bein gebreitet hatte, begriff sie auch, warum.

Weder sie noch Zen brachten es fertig, den Wehrlosen zu töten, und so bedienten sie sich des Gürtels des Toten, um ihn zu fesseln - eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme, denn Kara war sicher, daß der Mann die nächste halbe Stunde nicht überleben würde. Doch nach allem, was sie mit diesen unheimlichen Fremden bisher erlebt hatten, war sie einfach auf alles gefaßt.

Sie opferten zwei oder drei Minuten, um wieder zu Kräften zu kommen, dann setzten sie die Erkundung fort. Kara gab sich nicht der Illusion hin, daß sie nunmehr alle Gegner überwunden hätten. Die Libellen waren groß genug gewesen, um zehn Mann aufzunehmen. Sie gingen besser davon aus, daß sie es auch mit dieser Anzahl von Gegnern zu tun hatten. Und ihr einziger wirklicher Vorteil war die winzige Hoffnung, daß ihr Eindringen noch immer nicht entdeckt worden war. Der kurze Kampf hatte Kara sehr deutlich vor Augen geführt, wie lächerlich gering ihre Chancen waren.

Um so vorsichtiger bewegten sie sich weiter. Der Gang endete vor einer Tür. Zen öffnete sie, während Kara ihm mit der Waffe im Anschlag Deckung gab.

Das Dröhnen wurde noch lauter. Ein Schwall feuchtkalter Luft schlug ihnen entgegen.

Hinter der Tür erwartete sie eine in steilen Spiralen in die Tiefe führende Treppe, und auch sie war so neu wie alles, worauf sie bisher in dieser untersten Etage des Berges gestoßen waren. Jemand hatte sie aus der granitharten Lava wie mit einem Messer herausgeschnitten. Kara wechselte das Gewehr wieder gegen ihr Schwert aus, während sie vor Zen in die Tiefe herabstieg. In dem engen Treppenschacht war das Schwert zweifellos die bessere Waffe - und außerdem fühlte sie sich damit sonderbarerweise sicherer als mit dem gläsernen Gewehr.

Der Lärm nahm nicht weiter zu, schien aber irgendwie intensiver zu werden, und die Luft war jetzt so feucht, daß sich auf den Wänden kleine Wassertröpfchen bildeten. Kara war nicht sehr erstaunt darüber. Wenn ihre Schätzung richtig war, dann mußten sie sich jetzt unter dem neu entstandenen Ozean befinden. Was, dachte sie schaudernd, wenn der Berg vielleicht nicht ganz so massiv war, wie es von außen den Anschein gehabt hatte?

Die Treppe endete nach genau sechshundertachtzehn Stufen im Inneren einer riesigen Höhle, deren Decke sich vielleicht sechzig Meter über ihren Köpfen erhob. Die Wände waren so glatt, daß sie unmöglich auf natürlichem Wege entstanden sein konnten, und Kara schätzte ihren Durchmesser auf gute zwei oder drei Meilen. Sie mußten sich unter dem Meeresboden befinden.

Der Boden der Höhle, der so glattpoliert war, daß sich ihre und Zens Gestalt verzerrt wie auf schwarzem Glas darauf spiegelten, bestand nur aus einem zehn Meter breiten Sims, der einen kreisrunden See umgab, in dem das Wasser sprudelte und brodelte. Eine zwanzig Meter hohe Glocke aus Gischt erhob sich über dem See, und darunter glitzerten die nassen, silbernen Umrisse gewaltiger Maschinen.

Und ganz plötzlich begriff sie alles.

Das Pochen und Dröhnen machte hier unten jede Verständigung unmöglich, ein Laut, der den Boden vibrieren und das Wasser kochen ließ, der jede Faser ihres Körpers zum Erzittern brachte und ihre Zähne schmerzen ließ. Es war das Schlagen eines Herzens, eines großen, stählernen, durch und durch bösen Herzens, das tief in den steinernen Eingeweiden den Takt zum Untergang der Welt schlug.

Kara stand da wie gelähmt. Sie fühlte nicht einmal Schrecken, denn das Entsetzen, das die Erkenntnis um die Bedeutung dieser zyklopischen silbernen Maschinenkolosse begleitete, war einfach zu gewaltig. Die Möglichkeit des menschlichen Geistes, Entsetzen und Grauen zu empfinden, mochte gewaltig sein, aber sie war nicht grenzenlos. Die Bösartigkeit jedoch, die hinter diesen Maschinen steckte, kannte keine Grenzen.

Die Welt begann sich um Kara zu drehen. Das dumpfe Dröhnen und Hämmern der Maschinen zwang allmählich selbst ihren Herzschlag in seinen Takt, löschte jeden anderen Gedanken, jede Empfindung aus. Das Universum schien rings um sie herum zu verblassen, wurde zu einem Meer von Schwärze, in dessen Zentrum nur noch die silbernen Kolosse Bestand hatten.

»Warum tun sie das, Zen?« flüsterte sie. »Warum tun sie uns das an?!«

Den letzten Satz hatte sie geschrien, aber Zen hätte vermutlich nicht einmal dann geantwortet, wenn er ihre Worte verstanden hätte. Er stand so starr und gelähmt wie sie da, und das Entsetzen in seinen Zügen machte aus seinem Gesicht eine Maske des Grauens.

So fremdartig und monströs die Maschinen waren, an ihrer Funktion bestand kein Zweifel.

Es waren Pumpen. Gigantische Pumpen, in deren schimmernden Rohren Milliarden und Abermilliarden Liter Wasser an die Oberfläche der Welt über ihren Köpfen pulsierten, die Menge eines Sees an einem Tag, ein Meer in einem Monat, ein Ozean in einem Jahr. Der kreisförmige See, aus dem sie sich erhoben, war die Quelle, ein Meilen durchmessender und ebenso tiefer Schacht, der zu einem unvorstellbaren Wasserreservoir tief im Leib der Erde führen mußte. Die alten Legenden waren wahr, dachte Kara matt. Das Meer, das einst den Schlund bis zum Kontinentalschelf hinauf gefüllt hatte, gab es noch. Die Höllennacht des Zehnten Krieges hatte es nicht verdampft, wie man sie gelehrt hatte, sondern den Boden der Meere selbst aufgerissen, bis das Wasser in tiefer gelegene, unvorstellbar große Höhlensysteme abgeflossen war.

Und sie pumpten es wieder zurück.

Im ersten Moment erschien Kara der Gedanke einfach lächerlich. Keine Pumpe konnte ein Becken von der Größe des Schlundes füllen, auch wenn sie eine Million Jahre arbeitete.

Und gleichzeitig spürte Kara, daß sie es schaffen würden, irgendwie. Sie waren ihre Feinde. Sie waren vielleicht durch und durch böse, aber sie waren nicht dumm. Selbst für sie mußte es eine ungeheure Aufgabe gewesen sein, diese gewaltigen Maschinen hierherzuschaffen und aufzustellen. Sie hätten es nicht getan, wenn es sinnlos wäre.

Kara wußte nicht, wie lange sie so dastanden und die silbernen Monster anstarrten, deren mechanisches Dröhnen die Todesmelodie ihrer Welt sang, bis Zen schließlich müde seine Waffe hob, auf die Maschinen anlegte und abdrückte. Der grüne Lichtstrahl traf die spiegelnde Flanke des Kolosses und prallte davon ab wie Wasser von einer Mauer. Kara empfand nicht einmal Enttäuschung. Sie hatte gewußt, daß diese Kolosse unzerstörbar waren. Sie legte die Hand auf Zens Arm und schüttelte den Kopf. Eine Sekunde lang stand er einfach nur reglos da, jeder Muskel in seinem Körper bis zum Zerreißen angespannt. Dann schien alle Kraft aus ihm zu weichen. Er taumelte und war kaum noch in der Lage, das Gewehr zu halten.

Mit müden, schleppenden Bewegungen wandte er sich um und folgte Kara zurück zum Eingang.

Es dauerte fast eine halbe Stunde, die sechshundert Stufen wieder hinaufzugehen, und kostete sie das letzte bißchen Kraft.

Doch es war nicht nur die körperliche Anstrengung, die Kara erschöpft gegen die Wand neben dem Treppenschacht sinken ließ. Sie hatten einen Blick in die Hölle getan, und sie würden beide nie wieder dieselben sein, die sie vorher gewesen waren.

»Was... tun wir jetzt, Kara?« flüsterte Zen. Seine Stimme war nur ein Hauch, und als Kara den Kopf hob und in sein Gesicht blickte, sah sie, daß das Entsetzen in seinen Zügen um keinen Deut schwächer geworden war. »Was sollen wir tun?«

Kara antwortete nicht, weil sie keine Antwort wußte.

»Wir... wir müssen sie... zerstören!« stammelte er. »Wir müssen sie anhalten, Kara. Sie zerstören, irgendwie.«