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»Ungefähr«, antwortete Kara ernst. »Vielleicht nicht ganz so breit, aber höher.«

Aires starrte sie konsterniert an, aber sie sagte nichts mehr.

»Die ganze Geschichte kommt mir immer unglaubhafter vor«, sagte Cord. »Wenn sie wirklich über eine solche Macht verfügen, warum sollten sie dann...«

»Du kannst Zen fragen«, unterbrach ihn Kara. »Er war dabei.«

Cord wirkte ein wenig betroffen, als begriffe er erst jetzt, was er gesagt hatte. Mit einer entschuldigenden Geste fuhr er fort: »Ich glaube dir jedes Wort. Es ist nur so, daß es alles keinen Sinn ergibt. Du warst damals nicht dabei, Kara. Aber ich weiß noch, wie verzweifelt sich Jandhis Drachentöchter gewehrt haben. Sie haben sich nicht aus taktischen Gründen zurückgezogen, glaube mir. Wir haben sie in den Schlund zurückgetrieben. Sie haben sich erbittert gewehrt. Viele tapfere Männer und Frauen sind damals gestorben. Wenn sie wirklich über diese Hilfsmittel verfügen, dann hätten sie uns in einer Woche schlagen können.«

»Vielleicht haben sie ihre Taktik einfach geändert«, vermutete Kara. »Diese Maschinen sahen neu aus.«

»Hast du Drachen gesehen?« fragte Aires.

Kara sah sie verwirrt an und schüttelte den Kopf.

»Vielleicht ist alles ganz anders«, fuhr die Magierin fort. »Ich meine: Wir gehen ganz selbstverständlich davon aus, daß es derselbe Feind ist, gegen den wir vor zehn Jahren gekämpft haben. Vielleicht ist das gar nicht so.«

»Elder könnte diese Frage beantworten«, sagte Kara.

»Dann bringt ihn her.«

»Das geht jetzt nicht.« Cord lächelte flüchtig und machte eine abwehrende Handbewegung. »Heute hätte das sowieso wenig Sinn. Wir sind alle zu Tode erschöpft. Verschieben wir es auf morgen früh.« Er warf Aires einen bezeichnenden Blick zu. »Ich denke, wir haben für heute noch genug zu tun.«

Aires schwieg, aber sie tat es auf eine ganz bestimmte Art, die Kara klarmachte, daß sie nicht die einzige war, die mit schlechten Neuigkeiten aufzuwarten hatte.

»Was gibt es Neues in Schelfheim?« fragte Kara aufs Geratewohl.

»Nicht viel«, antwortete Cord viel zu hastig. »Offiziell erfahren wir nichts. Anscheinend sind die neuen Führer der Stadt der Meinung, ganz gut ohne uns zurechtzukommen.«

»Aber ihr habt eure Quellen, um zu erfahren, was wirklich vorgeht«, vermutete Kara.

Cord lächelte flüchtig. »Sie haben eine bewaffnete Expedition in die Höhle unter der Stadt geschickt. Mehr als fünfhundert Mann, ausgerüstet mit allem, was sie hatten.«

»Und?« fragte Kara.

»Bis heute ist keiner von ihnen zurückgekehrt«, sagte Aires. »Aber das muß nichts bedeuten. Wenn diese Höhlen wirklich so groß sind, können sie jahrelang dort unten herumirren, ohne mehr als Steine und Wasser zu finden. Außerdem ist noch lange nicht gesagt, daß...«

Den Rest des Satzes hörte Kara nicht mehr. Aires' Trank verlor seine Wirkung, und die Drachenkriegerin schlief von einem Moment auf den anderen ein.

32

Das Sonnenlicht auf ihrem Gesicht weckte sie spät am nächsten Morgen. Sie ließ sich Zeit damit, völlig aus dem Schlaf in die Wirklichkeit hinüberzugleiten. Vorerst genoß sie nur das Gefühl, wirklich zu Hause zu sein und in einem richtigen Bett zu liegen, statt auf steinigem Boden oder in einem harten Sattel.

Als sie die Augen öffnete, sah sie Aires, die auf einem Stuhl neben ihrem Bett saß. Ihr Kopf und die Schultern waren nach vorn gesunken, die Hände im Schoß gefaltet; sie schien die ganze Nacht an Karas Lager verbracht zu haben.

Behutsam richtete Kara sich auf. Sie stellte fest, daß sie in Angellas Bett lag. Sie gab sich Mühe, so wenig Geräusche wie möglich zu machen, aber Aires wachte trotzdem auf. Sie blinzelte, sah Kara eine Sekunde lang fast verstört an, und war dann von einem Herzschlag auf den anderen hellwach. Kara hatte diese Fähigkeit, die auch Angella zu eigen gewesen war, stets mit Bewunderung erfüllt. Sie selbst brauchte mindestens eine halbe Stunde, um richtig wach zu werden.

Sie nickte Aires zu. »Hast du die ganze Nacht hier gesessen?« fragte sie.

Aires nickte. »Du warst in keiner guten Verfassung. Und ich bin die einzige Heilerin.« Ihr Blick verdüsterte sich. »Was du deinem Körper zugemutet hast, ist unverantwortlich. Wenn ich es könnte, würde ich dich dafür zur Verantwortung ziehen.«

»Ich dachte immer, er gehört mir«, sagte Kara, während sie die Decke beiseite schlug und sich nach ihren Kleidern bückte.

»Nein, das tut er nicht«, antwortete Aires scharf. »Er gehört dem Hort. Wir haben ihn zu dem gemacht, was er ist. Du gehörst längst nicht mehr dir selbst. Du gehörst dir seit dem Moment nicht mehr, in dem Angella dich aufgelesen und hierher gebracht hat. Du warst ein kleines Balg, als sie dich gefunden hat, und das wärst du auch geblieben, wenn du überhaupt überlebt hättest. Alles was du bist, bist du durch uns, Kara. Es wird Zeit, daß du das endlich begreifst!«

Die scheinbar völlig grundlose Heftigkeit ihres Ausbruchs überraschte Kara. Als Aires das Zimmer verlassen wollte, rief Kara sie zurück. »Ich glaube, wir sollten uns unterhalten«, sagte sie.

Aires maß sie mit einem verächtlichen Blick. »Das wäre nicht sehr anständig von mir. Du bist im Moment kein sehr guter Gegner.«

»Für dich wird es reichen«, antwortete Kara spitz; ein billiger Triumph, der ihr im gleichen Moment schon wieder leid tat.

»Also?«

»Seit Angellas Tod stimmt etwas nicht mit dir«, antwortete Kara. »Was ist los? Hast du das Gefühl, mich erziehen zu müssen? Oder ist das irgendeine törichte Probe?«

»Wenn es so wäre, wärst du durchgefallen«, sagte Aires kalt.

»Warum bist du so feindselig, Aires? Wir waren niemals Freunde, aber seit... seit Angella nicht mehr da ist, bekämpfst du mich regelrecht. Warum?«

Sie hatte eine abfällige Bemerkung erwartet, oder eine ausweichende Antwort. Aber zu ihrer Überraschung sah Aires sie einige Sekunden lang sehr ernst an und antwortete dann: »Weil du mir alles weggenommen hast, Kara.«

»Weil ich...« Kara rang einen Moment vergeblich nach Worten. »Du meinst den Hort?« flüsterte sie dann. »Du meinst die Macht über die Drachenkämpfer? Du meinst...«

»Ich meine alles«, unterbrach sie Aires leise, aber sehr verbittert. »Du glaubst, Angella hätte das alles hier allein geschaffen? Du meinst, sie allein hätte den Hort gegründet, die Drachenkämpfer ausgebildet und den Krieg gegen Jandhi gewonnen? Das hat sie nicht. Ich war es. Sie ist zu mir gekommen, wenn sie ratlos war und Hilfe brauchte. Ich habe ihr gesagt, was sie zu tun hatte!«

»Und jetzt mußt du zusehen, wie ich es dir wegnehme, nicht wahr?« fragte Kara. »Ist es das? Du kannst alles haben. Ich schenke dir den Hort, die Drachen, die Macht... alles. Ich will es nicht.«

»Wie sich die Zeiten doch ändern«, sagte Aires abfällig. »Noch vor drei Tagen hast du mich zu einer Kraftprobe herausgefordert, und jetzt willst du mir den Hort schenken? Vielleicht will ich nichts geschenkt haben?«

»Das ist es auch nicht«, erwiderte Kara. Sie wußte, daß sie bereits verloren hatte, noch ehe der Kampf begonnen hatte. Es gab keine gemeinsame Basis zwischen ihnen. »Du hast recht, Aires. Angellas Platz gebührt hundertmal mehr dir als mir. Ich will ihn nicht.«

»Aber du hast ihn«, versetzte Aires. »Und du wirst ihn ausfüllen, ob es dir paßt oder nicht. Glaubst du, ich will Herrscherin von deinen Gnaden sein? Wie lange? Bis es dir nicht mehr paßt? Oder bis irgendein anderer Kindskopf einen Aufstand anzettelt?«

»Niemand würde es wagen, sich zu widersetzen, wenn ich dich offiziell zu meiner Nachfolgerin erkläre und zurücktrete«, sagte Kara.

»Sie würden mich nicht akzeptieren«, antwortete Aires. »Nicht wirklich.«