Plötzlich haßte ihn Kara, allein für die Art, wie er über die Vernichtung eines ganzen Volkes sprach. Sie fragte sich, ob er wirklich ein Mensch war.
»Es wäre gut, wenn ihr begreifen würdet, daß es längst nicht mehr nur um Geld geht«, fuhr Elder mit fast beschwörender Stimme fort. »Sie sind zu weit gegangen. Wenn bekannt wird, was hier geschieht, dann bedeutet dies das Ende für PACK. Sie kämpfen nicht mehr um Profite, sondern ums nackte Überleben.«
»Aber es... es ist doch nur eine Firma«, murmelte Aires. »Nur ein Geschäft.«
»Es ist eine sehr große Firma«, sagte Elder sanft. »Sie ist Zehntausende von Jahren alt. Und unvorstellbar groß und mächtig. Vielleicht stellst du dir etwas anderes unter diesem Wort vor, aber was ist ein Staat im Grunde, wenn nicht eine große funktionierende Firma? Es sind Gebilde wie PACK und die anderen, die unser Reich ausmachen. Irgendwie leben sie, weißt du? Und sie wehren sich wie ein lebendes Wesen, wenn es um ihre Existenz geht.«
»Das heißt, sie haben gar keine andere Wahl mehr, als uns alle umzubringen«, sagte Aires.
»Ich fürchte«, bestätigte Elder. »Wenn es mir nicht gelingt, sie aufzuhalten, seid ihr alle verloren.«
»Du?« Zum ersten Mal glomm so etwas wie Hoffnung in Aires' Augen auf. »Welche Rolle spielst du in diesem Spiel? Wo liegt dein Profit, Elder?«
Er zögerte. Dann lächelte er flüchtig und schenkte Aires ein anerkennendes Nicken. »Ich glaube, es hat wenig Sinn, dir etwas vormachen zu wollen«, sagte er. »Ich werde dir die Wahrheit sagen - auch wenn ich nicht sicher bin, ob es richtig ist.«
Er warf einen nervösen Blick in Karas Richtung und einen zweiten auf Storm, ehe er fortfuhr: »PACK ist nicht die einzige Firma, die sich mit der Erschließung neuer Welten beschäftigt. Es gibt andere Firmen, die dasselbe tun. Ich gehöre zu einer von ihnen.«
»Du bist...«
»Von der Konkurrenz, wenn du so willst«, bestätigte Elder. »Ja.«
Aires' Augen wurden schmal. »Wenn das die Wahrheit ist, Elder, dann war es wirklich nicht sehr klug, sie zu erzählen. Du... du sagst, du gehörst zu den gleichen Ungeheuern, die uns unsere Welt stehlen wollen, und glaubst, wir würden dir auch noch helfen? Was versprichst du uns, wenn wir es tun? Einen angenehmen Tod? Einen Grabstein, so groß wie diese Welt?«
Elder blieb ganz ruhig, obwohl die Spannung im Raum immer heftiger wurde und sich bald entladen mußte. »Ich kann mich nicht erinnern, euch um irgendeine Hilfe gebeten zu haben«, sagte er. »Aber ich bitte dich, denke in Ruhe über das nach, was ich dir erzählt habe. PACK ist erledigt, wenn herauskommt, was sie hier treiben. Aber das bedeutet auch gleichzeitig, daß überall bekannt wird, daß diese Welt bewohnt ist. Ich gebe es zu - das Hauptinteresse der Leute, die mich hierher geschickt haben, liegt darin, PACK zu ruinieren. Aber sag selbst: Was kann euch besseres passieren? Meine Auftraggeber würden alles tun, um den entstandenen Schaden wiedergutzumachen. Ihr würdet mehr als entschädigt für das, was man euch angetan hat. Wir würden diesen Planeten in ein Paradies verwandeln. Es sind keine leeren Versprechungen, Aires. Wir können euch eure Welt so umgestalten, wie ihr es wollt.«
»Warum solltet ihr das tun?« fragte Storm verächtlich. »So etwas ist teuer. Und wir können nicht viel bezahlen.« Seine Stimme troff vor Hohn.
»Das kann ich dir sagen«, erklärte Elder ruhig. »Weil es ein Geschäft ist, von dem wir beide profitieren. Ihr bekommt eine Welt, auf der nicht jeder Tag ein neuer Kampf ums nackte Überleben ist. Und für uns bedeutet eine so großmütige Hilfe einen Imagegewinn, der mit Geld gar nicht aufzuwiegen ist. Wir können beide nur gewinnen, Storm. Die Zeche dafür zahlt PACK. Aber ich glaube nicht, daß euch das allzu leid tut.«
»Genug«, flüsterte Kara. »Hör... auf. Hör sofort auf, Elder.« Ihre Stimme bebte. Sie zitterte am ganzen Leib. In ihrem Inneren tobte ein Sturm von Gefühlen, der sie fast um den Verstand brachte. »Ich kann es nicht mehr hören. Ich... ich lasse nicht zu, daß du um unsere Leben schacherst wie ein Krämer um ein Faß Wein.«
Aires hob besänftigend die Hand. »Beruhige dich, Kara. Ich verstehe dich, aber Elders Vorschlag klingt vernünftig genug, um zumindest darüber nachzudenken. Was nicht bedeutet«, fügte sie an Elder gewandt und mit veränderter Stimme hinzu, »daß wir ihn annehmen oder dir alles glauben.«
»Das habe ich auch nicht erwartet«, sagte Elder. »Nicht sofort.« Er warf Kara einen dunklen Blick zu. »Ich bin ja schon froh, daß ihr mir nicht gleich den Kopf abgeschlagen habt.«
»Gesetzt den Fall, wir glauben dir«, sagte Aires. »Was müßten wir tun?«
»Nichts«, antwortete Elder. »Ihr könnt nichts tun, glaubt mir. Es ist eine Sache zwischen ihnen und mir. Ich kann sie aufhalten, aber das kann ich nur allein. Wenn ihr euch einmischt, werdet ihr zermalmt wie Jandhis Volk.«
»Was könntest du allein tun, was wir nicht können?« fragte Tera.
»Etwas sehr Einfaches und zugleich das einzige, was überhaupt einen Sinn ergibt«, antwortete Elder. Er warf Kara einen beinahe entschuldigenden Blick zu. »Das, was ich zu tun im Begriff stand, ehe sie mich niedergeschlagen und weggeschleppt hat. Hilfe herbeirufen. Ich habe die Basis im Schlund angegriffen, weil ich an ihren Pararaumsender heranwollte. Der Versuch hat mich mein Schiff gekostet, aber es ist gut möglich, daß sie mich für tot halten. Ich habe daher eine gute Chance, es ein zweites Mal zu versuchen. Gelingt es mir, an einen Sender heranzukommen und einen Hilferuf abzusetzen, dann wimmelt es hier in drei Monaten von Truppen, das schwöre ich euch.«
»Was ist ein Pararaumsender?« fragte Aires.
»Etwas wie die Funkgeräte, die sie in Schelfheim benutzen«, antwortete Elder. »Nur sehr viel leistungsfähiger. Ich kann damit andere Welten erreichen. Aber es gibt nur zwei Stück davon auf diesem Planeten. Der eine befindet sich in der Pumpstation, doch ich fürchte, daß sie ihn jetzt etwas besser bewachen werden.«
»Und der andere?«
»In ihrem Schiff«, antwortete Elder. »Leider weiß ich nicht, wo er steht.«
»Und wenn wir einen eigenen Sender bauen?« schlug Kara vor.
Elder starrte sie einen Moment lang aus weit aufgerissenen Augen an - und begann schallend zu lachen.
»Was ist daran so komisch?« grollte Kara. »Habe ich was Falsches gesagt?«
Elder beruhigte sich erst nach einer Weile. »Das hast du«, sagte er schließlich. »Drücken wir es vorsichtig aus: Es ist völlig unmöglich. Ich muß dieses Schiff finden und versuchen, irgendwie hineinzukommen. Ihr könnt dabei gar nichts tun.«
»Wir werden sehen«, sagte Aires. »Vorerst danke ich dir für deine Kooperation, Elder. Ich möchte mich für das entschuldigen, was dir geschehen ist. Kara hat einen Fehler gemacht; aber ich hoffe, daß du verstehst, warum. So wie die Dinge liegen, hätte ich vermutlich auch nicht anders gehandelt.«
Kara war nicht sicher, ob das zornige Funkeln in Elders Augen ihr oder dem Vorwurf in Aires' Worten galt. Er schwieg.
»Du hast sicher Verständnis, daß wir ein wenig Zeit brauchen, um uns zu beraten«, fuhr Aires fort. Sie wandte sich mit einem auffordernden Blick an Hrhon. »Geleite Elder in sein Quartier, Hrhon. Und sorge dafür, daß er mit allem Respekt behandelt wird, der einem Gast zukommt.«
34
Die Beratung dauerte bis nach Sonnenuntergang. Kara schwirrte der Kopf, als sich Aires und Cord schließlich als letzte erhoben und gingen; nicht ohne die Drohung, am nächsten Morgen in aller Frühe wiederzukommen, um die Beratung fortzusetzen.
Sie versuchte, Aires' Blick festzuhalten, damit sie blieb, aber Aires wich ihr aus und hatte es plötzlich sehr eilig zu gehen. Kara hätte gern noch einen Moment mit ihr gesprochen. Nicht über das, was Elder ihnen erzählt hatte, aber sie hatte während des ganzen Tages immer wieder an Maran gedacht, und irgendwann einmal hatte sie sich eingestanden, daß ihre Entscheidung über das Schicksal des jungen Drachenkriegers eigentlich mehr von einem kindischen Trotz Aires' gegenüber diktiert gewesen war.