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Aires jedoch ging, ohne ihr Gelegenheit zu einer Aussprache zu geben, und Kara blieb in einem Zustand tiefer Verwirrung und Furcht zurück. Unruhig lief sie in ihrem Zimmer auf und ab. Der Tag war überaus anstrengend gewesen, und sie war schon wieder müde, trotz der fast zwölf Stunden, die sie in der vergangenen Nacht geschlafen hatte. Trotzdem wußte sie, daß an Schlaf in den nächsten Stunden nicht zu denken war. Elder hatte irgend etwas gesagt, was ihr keine Ruhe ließ. Sie rang noch eine geschlagene halbe Stunde mit sich selbst, dann verließ sie ihr Zimmer, um noch einmal zu Elder zu gehen.

Als sie auf den Gang hinaustrat, löste sich ein unförmiger Schatten aus einer Nische neben der Tür. »Hrhon?« sagte sie erstaunt. »Du? Wie lange stehst du schon hier?«

Sie bekam keine Antwort, aber sie wußte auch so, daß der Waga die ganze Zeit vor der Tür gestanden hatte. »Warum bist du nicht hereingekommen?«

»Dhu bhissst... dhie nheuhe Herrsssherhin«, antwortete Hrhon zögernd.

»Deswegen bin ich doch noch immer dieselbe, die ich vorher war«, sagte Kara. Aber stimmte das wirklich? Im selben Moment wurde ihr klar, daß sie diesen einen Satz in schärferem Ton gesprochen hatte, als es zwischen Hrhon und ihr üblich war. Sehr viel sanfter fügte sie hinzu: »Wir sind doch noch immer Freunde, oder?«

»Sssisssher«, zischelte Hrhon. »Ahbher nhiehmahnd dharf Angellahsss Sssimmher be...« Er brach ab und verbesserte sich. »Isss mheinhe, dhasss Sssimmher dher Herrsssherhin bhethrethen, ohne aufghefhordher't sssu ssseinh.«

Kara lächelte flüchtig. »Du schon«, sagte sie. »Ich sehe nicht ein, daß sich irgend etwas zwischen uns ändern sollte, nur weil ich umgezogen bin.«

»Esss whäre nhissst ghut fhür dhie Dhissssssiplhihn«, sagte Hrhon. »Rhegheln sssinhd fhür allhe da.«

Kara seufzte. »Na gut, du dickköpfige Schildkröte. Hiermit ernenne ich dich offiziell zu meinem Leibwächter. Du wirst mich auf Schritt und Tritt begleiten, wohin ich auch gehe. Es sei denn, du hättest das Gefühl, daß ich allein sein möchte. Einverstanden?«

Hrhon nickte. Ein breites Grinsen erschien auf seinem geschuppten Gesicht, und Kara fügte schadenfroh hinzu:

»Natürlich wirst du mich auf meinen Reisen begleiten müssen. Du solltest dir also in den nächsten Tagen schon einmal einen eigenen Drachen aussuchen und reiten üben.«

Sie wußte zwar, daß es unmöglich war - aber sie hätte in diesem Moment jeden Eid geschworen, daß Hrhon unter seinem Schuppenpanzer blaß wurde. »Wende dich an Cord«, bemerkte sie noch. »Er wird dir ein passendes Tier heraussuchen und dich einweisen. Und jetzt komm mit. Ich möchte noch einmal mit Elder reden.«

»Elder?« Hrhon wandte sich gehorsam um und ging neben ihr her. »Ahirhesss whirdh dhasss nhissst ghernhe sssehen.«

»Das kann schon sein«, antwortete Kara achselzuckend. »Aber weißt du: Ich bin die Herrscherin hier, nicht Aires.«

Sie gingen in den Seitenflügel des Gebäudes, in dem Elders Quartier lag. Auf dem Weg dorthin begegnete ihnen niemand, was an sich schon sonderbar war. Karas Müdigkeit gab ihr zwar das Gefühl, es wäre irgendwann nach Mitternacht, aber die Sonne war erst vor einer halben Stunde untergegangen, und eigentlich sollte dieses Haus noch vor Stimmen und Gelächter widerhallen, denn die Drachenkämpfer waren ein lebenslustiges Völkchen, das gern und oft lachte und keine Gelegenheit zu einem Fest ungenutzt verstreichen ließ. Wahrscheinlich galt Cords Befehl, sie und die anderen abzuschirmen, noch immer.

Erst vor der Tür von Elders Zimmer traf Kara wieder auf einen Menschen; den Posten, den Cord davor abgestellt hatte.

Kara schickte ihn mit einer Kopfbewegung fort; der Mann zögerte einen Moment, ehe er gehorchte. In der Tat, dachte sie. Sie würde mit Cord reden müssen.

Elder lag angezogen auf dem Bett und schlief, als sie die Kammer betrat, wachte aber durch das Geräusch der Tür auf.

Er konnte nicht tief geschlafen haben, denn sein Blick sprühte sofort vor Feindseligkeit, kaum daß er sie ansah. Mit einer gewandten Bewegung setzte er sich auf, schwang die Beine von der Liege.

»Hallo«, sagte Kara. Seltsam - sie war hergekommen, um mit ihm zu reden, und jetzt wußte sie nicht, was sie sagen sollte.

Elder hob den Kopf, sah sie an und schwieg, und zum ersten Mal seit sie sich wiedergesehen hatten, fiel ihr wieder auf, wie gut er aussah. In Ermangelung eines anderen Kleidungsstückes hatte ihm Cord die schlichte schwarze Lederkombination eines Rekruten gegeben.

»Überlegst du gerade, ob du mich köpfen oder lieber bei lebendigem Leib häuten läßt?« fragte Elder. Seine Worte taten ihr weh, was Elder sehr genau wußte. Offensichtlich bereitete es ihm großes Vergnügen.

»Ich... ich wollte nur nach dir sehen«, sagte Kara verlegen. »Wirst du gut behandelt? Fehlt dir irgend etwas?«

»Deine Sorge rührt mich zu Tränen«, erwiderte Elder spöttisch. »Kümmert ihr euch um alle eure Gefangenen so rührend?«

»Du bist unser Gast, Elder, nicht unser Gefangener.«

Elder lachte hart. »Euer Gast? Dann habt ihr eine höchst sonderbare Art, mit Gästen umzugehen. Ich habe noch nie ein Gästezimmer gesehen, bei dem sich der Riegel außen an der Tür befindet. Und ein Wächter davorsteht.«

»Der Posten steht zu deinem Schutz dort«, antwortete Kara. »Den Riegel lasse ich noch heute abend entfernen. Du kannst dich frei bewegen. Ich würde dich nur bitten, dein Zimmer vorerst nicht zu verlassen und mit niemandem zu reden.«

»Ist das eine von diesen Bitten, die man nicht abschlagen kann, ohne Gefahr zu laufen, daß einem etwas anderes abgeschlagen wird?« fragte Elder.

»Es ist eine Bitte, Elder, nicht mehr. Du bist frei. Du kannst tun und lassen, was du willst. Und du kannst gehen, wohin du willst. Ein Wort, und ich lasse dich nach Schelfheim zurückbringen - oder an jeden anderen Ort, den du mir nennst. Aber ich...« Sie stockte. Es fiel ihr schwer, weiterzusprechen.

»Ja?« sagte Elder.

»Ich würde mich freuen, wenn du noch eine Weile bleiben würdest«, sagte Kara, ohne ihn anzusehen.

»Wozu? Willst du mich zur Feier der nächsten Jahreswende öffentlich verbrennen lassen?«

Kara fuhr unter seinen Worten zusammen. »Es tut mir leid, Elder«, sagte sie. »Ich entschuldige mich. Wenn du es willst, offiziell und in aller Form. Ich habe einen Fehler gemacht, aber was sollte ich tun? So wie die Dinge liegen, dachte ich, daß... daß du zu ihnen gehörst. Es tut mir leid, daß ich dich geschlagen habe.«

»Darum geht es gar nicht«, sagte Elder. Kara sah ihn überrascht an, und plötzlich lächelte er. »Du hast eine Menge Schaden angerichtet, aber das konntest du nicht wissen. Es war auch meine Schuld. Ich hätte euch ins Vertrauen ziehen sollen, statt den einsamen Helden zu spielen. Das ist es aber nicht.«

»Was dann?« fragte Kara. »Warum haßt du mich so?«

»Blödsinn!« sagte Elder aufgebracht. »Du überschätzt dich, Kind. Ich bin nur wütend auf dich.«

»Weil ich dich niedergeschlagen habe?« Karas Blick tastete schuldbewußt über sein immer noch angeschwollenes Gesicht.

»Ich bin wütend darüber, was du danach getan hast«, antwortete Elder. »Du hast mich behandelt wie... wie ein Stück Dreck. Du hast mir nicht die kleinste Chance gegeben, mich zu verteidigen oder auch nur ein Wort zu erklären. Du hast mich zwei Tage lang gefesselt. Ich habe mich beschmutzt, Kara. Ich habe mich vor mir selbst geekelt, und es war mir peinlich. Deshalb bin ich zornig.«

»Es tut mir leid«, sagte Kara. »Wirklich.«

Elder antwortete nicht. Plötzlich aber lächelte er, rutschte ein Stück auf der Bettkante zur Seite und machte eine einladende Geste. Ohne zu zögern, nahm Kara neben ihm Platz, hielt aber einen Meter Abstand zu ihm.