Ein Gefühl ungläubigen Entsetzens machte sich in ihr breit, als sie nach unten sah.
Die Stadt brannte lichterloh. Kaum ein Straßenzug, aus dem nicht Flammen oder schwarzer Rauch in den Himmel stieg; kaum ein Viertel, in dem nicht mindestens ein kompletter Häuserblock in Flammen stand; kaum eine Straße, die nicht mit Toten, Verwundeten und mit glühenden Kratern übersät war.
Die Angreifer mußten sich über die gesamte Fläche der Stadt verteilt und jeden Widerstand erbarmungslos zusammengeschossen haben.
Ein schimmernder Umriß erhob sich aus dem Stadtzentrum, gefolgt von einem zweiten und dritten, die sich nach Norden wandten, kaum daß sie über die Dächer hinaus waren. Kara versuchte, Markor zu größerer Schnelligkeit anzutreiben, aber der Drache gab ohnehin schon alles, was er konnte. Die Maschinen stiegen rasend schnell in die Höhe und verschwanden, ehe sie ihnen nahe genug kamen, um einen gezielten Feuerstoß anbringen zu können.
Sie verzichtete darauf, sie zu verfolgen, sondern ließ Markor noch tiefer sinken. Nach ein paar Sekunden bemerkte sie, daß ihre Vermutung richtig gewesen war: eine weitere Libelle erhob sich aus dem brennenden Häusermeer im Herzen der Stadt, und auch am Boden sah sie ein gläsernes Schimmern und Blitzen.
Kara wagte es nicht, Markors Feuer einzusetzen, denn sie waren den Häusern zu nahe. Einer der Reiter neben ihr kannte die Bedenken nicht. Kara schloß geblendet die Augen, als ein grell lodernder Feuerstrahl neben ihr die Luft zerschnitt und die Libelle traf.
Es war so, wie sie befürchtet hatte: Der Helikopter taumelte, aber die Flammen prallten wirkungslos von einer unsichtbaren Wand ab, die ihn umgab, und glitten in die Tiefe. An zwei oder drei Stellen loderten neue Brände auf.
Kara gestikulierte heftig, das Feuer einzustellen, und brachte Markor in einer engen Spirale nach unten. Sie entdeckte fünf, sechs weitere Libellen am Rande eines gewaltigen Kraters, der im Boden der Stadt gähnte. Der Anblick kam ihr bekannt vor, aber sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Eine weitere Libelle startete, während Markor sich in die Tiefe schraubte, dann schlug der Drache wie ein lebendes Geschoß zwischen den übrigen Maschinen auf. Seine peitschenden Schwingen zermalmten zwei der Libellen. Kara triumphierte innerlich. Der unsichtbare Schild der Maschinen funktionierte offenbar nur, wenn sie sich in der Luft befanden. Am Boden waren sie verwundbar.
Das Mädchen glitt von Markors Rücken, zog das Schwert und rannte auf eine Libelle zu, deren Rotoren sich in diesem Moment pfeifend zu drehen begannen. Eine Sekunde später stieß ein ungeheuerlicher Schatten vom Himmel. Meterlange Krallen schnappten zu, zerfetzten die Rotoren und den gläsernen Kopf der Maschine mitsamt der beiden Männer, die sich darin befanden.
Kara warf sich zur Seite, als ein grüner Blitz nach ihr stach.
Sie rollte über die Schulter ab, lief im Zickzack auf die beiden übriggebliebenen Maschinen zu und sah, wie die gläsernen Pilotenkanzeln nach oben klappten, um den Männern darunter die Flucht zu ermöglichen. Eine der Maschinen wurde von einem herabstoßenden Drachen in Stücke gerissen, ehe die Männer in den blauen Uniformen herauskamen. Die beiden anderen schafften es.
Aber sie lebten trotzdem nicht mehr sehr lange.
Ein riesiger Schatten stieß vom Himmel herab. Kara begann fast verzweifelt zu gestikulieren, aber es war zu spät. Die Kiefer des Drachen schlossen sich mit einem furchtbaren Laut und bissen einen Flüchtenden in zwei Hälften, und fast im gleichen Moment traf die Schwinge des Drachen den letzten Überlebenden und schleuderte seinen zerschmetterten Körper fünfzig Meter weit. Mit einem triumphierenden Brüllen schraubte sich der Drache wieder in die Luft. Aus dem Haus hinter Kara zuckte ein dünner, giftgrüner Blitz, traf den Mann auf seinem Rücken und verwandelte ihn in eine lebende Fackel, die schreiend zu Boden stürzte.
Kara fuhr herum und begann in wilden Sprüngen auf das brennende Gebäude zuzuhetzen. Ihr Blick suchte verzweifelt nach dem Schützen, aber sie konnte ihn nirgends entdecken.
Dafür hatte er sie um so besser im Visier. Ein grüner Blitz zuckte in ihre Richtung und verwandelte den Boden neben ihr in rotglühende Lava. Kara bewegte sich nach links, rechts, machte unberechenbare Sätze und Sprünge und näherte sich dem Haus weiter. Sie wußte jetzt, woher die Schüsse kamen: aus einem Fenster im oberen Stockwerk der Ruine. Und der Mann schoß sich allmählich ein; obwohl sie wie verrückt hin- und hersprang, kamen die grünen Blitze immer näher. Wahrscheinlich hätte sie auch einer der nächsten Schüsse getroffen, wäre nicht in diesem Moment wieder ein Drache vom Himmel herabgestoßen. Seine Krallen trafen das Haus und zermalmten einen Teil des Mauerwerks zu Staub. Das grüne Feuer brach ab.
»Nein!«, schrie Kara so laut sie konnte. »Ich brauche ihn lebend!«
Sie wußte nicht einmal, ob der Reiter ihre Worte überhaupt hörte. Aber in der gleichen Sekunde erreichte sie das Haus und stürmte durch die Tür, und wenn schon nicht, um ihrem Befehl zu gehorchen, so doch wenigstens, um sie nicht in Gefahr zu bringen, brach der Drache seinen Angriff ab.
Das Haus war voll schwarzen Qualms, der sie zum Husten brachte. Vereinzelt loderten Flammen auf, und als sie sich behutsam auf die Treppe zutastete, die ins obere Stockwerk hinaufführte, stolperte sie über die Leiche eines sechsarmigen Hornkopfes. Sie fiel auf Hände und Knie, stemmte sich fluchend und mühsam nach Atem ringend wieder auf und blieb am Fuß der Treppe stehen. Aus tränenden Augen sah sie nach oben. Auch dort loderte rotes Licht. Sie hörte das Prasseln der Flammen und das Poltern von Steinen.
Kara ergriff ihr Schwert fester und bewegte sich vorsichtig und mit rasendem Herzen die Treppe hinauf. Sie hatte keine Ahnung, ob der Mann noch lebte, aber wenn, dann war er...
Er lebte noch. Und obwohl er so schwer verletzt war, daß Kara sich fragte, wie er überhaupt noch auf den Beinen stehen konnte, war er noch immer ein überaus gefährlicher Gegner.
Sein Gewehr war zerbrochen, aber der zersplitterte gläserne Lauf bildete eine fast ebenso tödliche Waffe wie Karas Schwert.
Er bewegte sich so schnell, daß Kara ihm nur mit Mühe ausweichen konnte, als er sie unversehens ansprang.
Sie glitt auf der Treppe aus, fing sich ungeschickt an der Wand ab und rutschte vier, fünf Stufen weit in die Tiefe. Das zerbrochene Gewehr riß eine fingerdicke Spur in die Mauer über ihr. Knurrend fuhr der Mann herum und setzte ihr nach.
Kara versuchte erst gar nicht, auf die Füße zu kommen, sondern stieß ungeschickt mit dem Schwert nach ihm. Die Klinge riß eine blutige Wunde in seinen Oberschenkel. Er prallte zurück, aber der neuerliche Schmerz schien ihn nur noch wütender zu machen. Sein Gesicht war das eines Wahnsinnigen.
»Gib endlich auf!« sagte Kara schweratmend, während sie gleichzeitig versuchte, in eine günstigere Position zu gelangen.
Der Mann rührte sich nicht, aber Kara bezweifelte, daß er so freundlich sein würde, ihr das Aufstehen zu gestatten. »Du hast keine Chance mehr! Deine Kameraden haben dich im Stich gelassen! Selbst wenn du mich besiegst, kommst du hier nicht mehr lebend heraus!«
Sie erfuhr nie, ob er ihre Worte überhaupt gehört hatte, denn er sprang sie im gleichen Moment an, in dem sie versuchte, auf den Treppenstufen aufzustehen. Kara sah ihn mit weit ausgestreckten Armen auf sich zufliegen und hob schützend die Hände vor das Gesicht. Ein dumpfer Schlag schmetterte ihr das Schwert aus der Hand, sie stürzte, krümmte sich zusammen und spürte, wie der Mann über sie hinweggeschleudert wurde.
Sie konnte hören, wie sein Genick brach, als er unter ihr auf der Treppe aufschlug.