»Was ist hier los?« fragte Kara scharf, als sie die Gruppe erreicht hatte.
Der Krieger fuhr ärgerlich herum und schluckte eine wütende Entgegnung hinunter, als er Kara erkannte. »Ich versuche diesem Verrückten zu erklären, daß er die beiden Viecher hier wegbringen soll, ehe die Drachen vollkommen durchdrehen«, sagte er. »Aber er hört nicht auf mich.«
Kara unterdrückte ein schadenfrohes Lächeln, als sie erkannte, daß der ›Verrückte‹ niemand anders als Gendik war, das regierende Oberhaupt von Schelfheim. Auch er hatte die Worte des Kriegers gehört. Sein Gesicht verfinsterte sich.
»Es wäre besser, wenn Ihr auf ihn hört, Gendik«, sagte sie mit einer Geste auf die beiden Hornköpfe. »Sie machen unsere Tiere nervös. Schickt sie fort. Ich weiß, daß es sich um Eure persönliche Garde handelt, aber solange Ihr bei uns seid, garantieren meine Leute und ich für Eure Sicherheit.«
Zumindest die boshafte Spitze, die sich in diesen Worten verbarg, hatte Gendik verstanden, denn der Blick, mit dem er Kara von seinem Sattel aus maß, zeigte mehr als nur eine leichte Verärgerung. »Kennen wir uns, Kind?« fragte er.
Kara wollte auffahren, aber dann begriff sie, daß Gendik sich wirklich nicht an sie erinnerte. »Wir haben uns einmal gesehen«, antwortete sie. »Aber das spielt jetzt keine Rolle. Ich bitte Euch - schickt sie fort.«
Gendik zögerte noch einen Moment, aber dann machte er eine knappe, befehlende Geste, und die beiden riesigen Kampfinsekten wandten sich um und stolzierten mit eckigen Bewegungen davon. Kara atmete auf. Auch sie hatte die Nähe der Hornköpfe mit einem fast körperlichen Unbehagen erfüllt. Sie wußte natürlich, daß ihre Furcht völlig unbegründet war. Die Hornköpfe waren spezielle Züchtungen, und der Begriff Loyalität gehörte zu einem unauslöschlichen Teil ihrer Erbinformationen.
Aber das änderte rein gar nichts daran, daß sie ihr angst machten.
Gendik schwang sich mit einem hörbaren Ächzen aus dem Sattel, und Kara sah erst jetzt, daß er verletzt war. Sein linker Arm hing in einer Schlinge, auf der sich ein dunkler Blutfleck gebildet hatte. Sein gelber Mantel war mit häßlichen Brandspuren übersät. Mit kleinen, mühsamen Schritten trat er ihr entgegen und musterte sie mit einem langen Blick von Kopf bis Fuß.
»Jetzt erinnere ich mich«, sagte er. »Du warst mit eurer Anführerin bei uns, nicht wahr? Wie hieß sie doch gleich?«
»Angella«, sagte Kara gepreßt.
»Angella, richtig. Ist sie mitgekommen?«
»Sie ist tot«, antwortete Kara.
»Tot? Das tut mir leid. Aber jetzt bring mich bitte zu eurem Kommandanten. Ich habe mit ihm zu reden.«
»Er steht vor Euch, Gendik«, antwortete Kara. Sie hatte Mühe, noch höflich zu bleiben.
»Du?« Gendik suchte einen Moment verwirrt nach Worten, dann hellte sich sein Gesicht auf. »Ich verstehe. Er ist bei den anderen, die diese Hunde verfolgen, nicht wahr? Dann werde ich mich wohl bis zu seiner Rückkehr gedulden müssen.«
»Ich fürchte, Ihr habt mich mißverstanden, Gendik«, sagte Kara. »Angella war die Herrin der Drachenkämpfer. Ich bin ihre Nachfolgerin.«
Diesmal war Gendik mehr als überrascht. Der neuerliche Blick, mit dem er Kara maß, war beinahe schon beleidigend.
Aber er überwand seine Verwirrung sehr schnell. »Nun, wie dem auch sei«, sagte er. »Das vereinfacht die Sache sogar. Ich bin gekommen, um dir und den anderen tapferen Kriegern für eure Hilfe zu danken. Ihr seid im letzten Moment aufgetaucht.«
Lag da ein Vorwurf in seiner Stimme? Kara sah ihn scharf an, sie unterstellte zu seinen Gunsten, daß sie sich täuschte. »Wir sind gekommen, so schnell wir konnten«, sagte sie. »Aber ich fürchte, trotzdem nicht schnell genug. Was haben sie gewollt? Was habt Ihr getan, um diesen Angriff zu provozieren?«
»Nichts«, antwortete Gendik. »Wir wissen ja nicht einmal, wer sie sind.«
Kara sah ihn auf eine ganz bestimmte Art und Weise an, und Gendik fuhr in einem Tonfall fort, für den Kara ihm am liebsten die Zähne eingeschlagen hätte.
»Gut. Ich weiß, was du jetzt sagen willst, Kindchen...«
»Kara«, unterbrach sie ihn. »Mein Name ist Kara.«
»Kara, meinetwegen. Du wirst mir jetzt erzählen, daß ihr uns gewarnt habt und es allein meine Schuld ist, weil ich nicht auf dich und die alte Frau gehört habe. Vielleicht hast du recht, vielleicht auch nicht. Das spielt im Moment keine Rolle. Wir können später Schuld zuweisen und Verantwortung verteilen. Vielleicht finden wir auch ein paar Köpfe, die wir abschlagen können.« Er lächelte überheblich. »Möglicherweise ist sogar mein eigener dabei, wer weiß.«
»Möglicherweise«, sagte Kara. Sie kochte innerlich vor Zorn.
»Was hier wessen Schuld ist und warum, ist im Moment unwichtig«, fuhr Gendik kühl fort. »Bedeutsam ist, was wir tun müssen, um den Schaden so gering wie möglich zu halten - und zu verhindern, daß es noch einmal geschieht. Glaubst du, daß deine Krieger sie schlagen können?«
Gendik schien nicht einmal bemerkt zu haben, daß es so etwas wie einen Kampf gar nicht gegeben hatte. Kara schüttelte den Kopf. »Das ist nicht die Frage, Gendik. Seht Euch hier um, und Ihr wißt, was meine Drachen mit diesen... Dingern anstellen können. Die Frage ist, warum sie Eure Stadt überhaupt angegriffen haben.« Sie deutete mit einer weit ausholenden Geste auf die zerstörten Häuser rings um den Krater, dann auf das gewaltige Loch im Herzen Schelfheims selbst: »Sie haben hier irgend etwas gesucht. Könnt Ihr Euch vorstellen, was?«
»Nein«, antwortete Gendik. »Rusman hat einige seiner Männer in dieses Loch hinabgeschickt, nachdem du und der Waga zurückgekommen seid. Aber sie haben nichts gefunden.«
»Vielleicht sollten wir Rusman selbst...«
»Er ist tot«, unterbrach sie Gendik. »Sie haben fast meine gesamte Garde ausgelöscht.« Zum allerersten Mal glaubte Kara, so etwas wie ein echtes Gefühl in Gendiks Gesicht zu erkennen: einen Schrecken, der die ganze Zeit über in ihm gewesen war und den er jetzt nicht mehr zu unterdrücken versuchte.
»Das tut mir leid«, sagte sie. »Ich wußte nicht, daß Eure Verluste so groß waren.«
»Groß?« Gendik schürzte die Lippen. »Ich fürchte, es ist kaum ein kampffähiger Mann übriggeblieben. Dieser Narr Rusman hat sie alle umgebracht. Wäre er nicht selbst in der Schlacht gefallen, würde ich ihn hinrichten lassen.«
»Er ist tot, und...«
»Das macht aus einem Dummkopf noch keinen Helden, Kara«, unterbrach Gendik sie. »Es ist kein Zeichen von Tapferkeit, seine Truppen gegen einen Feind anrennen zu lassen, der vollkommen unverwundbar ist.«
Es dauerte einen Moment, bis Kara begriff, was Gendik überhaupt meinte. Ungläubig starrte sie ihn an. »Ihr wollt damit sagen, daß Eure Leute nicht eine einzige dieser Maschinen zerstört haben?« fragte sie ungläubig.
»Nicht eine«, bestätigte Gendik. »Sie haben unsere Krieger abgeschossen wie Spatzen, obwohl wir ihnen hundert zu eins überlegen waren. Wenn ihr nicht gekommen wäret, dann gäbe es diese Stadt jetzt vielleicht nicht mehr.« Er schüttelte ein paarmal den Kopf, und Kara konnte regelrecht sehen, wie der Zorn in seinen Augen erlosch und wieder diesem dumpfen Schrecken Platz machte. »Wer sind diese Männer, Kara? Was weißt du über sie?«
»Nichts«, log Kara. »Jedenfalls nicht viel.« Sie starrte einen Moment ins Leere und fragte sich vergeblich, warum sie das gesagt hatte. War es wirklich so, daß sie einfach keinem Menschen mehr traute? Oder hatte sie nur Angst davor, die Wahrheit auszusprechen und Gendik zu erklären, daß das, was er für einen Sieg hielt, nichts als ein taktisches Manöver ihrer Gegner war?
»Ich schlage vor, daß wir uns zu einem späteren Zeitpunkt darüber unterhalten«, fuhr sie in unverändertem Tonfall fort. »Die Stadt brennt. Es muß sehr viele Verwundete geben. Wenn ich und meine Leute Euch irgendwie helfen können...«