Caitlin wischte ihm das Gesicht ab. Die Flecken auf ihrem Gewand schienen sie nicht zu stören. «Es tut mir leid. Ich hätte nicht damit anfangen sollen.»
Vallon würgte erneut. «Mir tut es auch leid. Können wir dieses Gespräch ein anderes Mal fortsetzen?»
Ein paar Meilen weiter stromauf sagte Raul unruhig: «Ich weiß, dass Vallons Verwundung nicht allzu schlimm aussieht, aber ich habe ein Dutzend Männer mit Bauchverletzungen gesehen, die nicht schlimmer waren als seine, und davon haben nur zwei überlebt.»
«Lass es gut sein», murmelte Wayland. Zuvor hatte Rauls Geschwätz drei besonders große Birkhühner aufgeschreckt, die daraufhin über die Baumwipfel geflattert waren, bevor Wayland auf sie anlegen konnte.
Sie gingen weiter. Unter ihren Füßen erstreckte sich ein silbriger Flechtenteppich. Eine große Eule von derselben Farbe wie das silbrige Rentiermoos saß eng am Stamm einer Tanne auf einem Ast, ein zitronengelbes Auge in einem verschwörerischen Zwinkern erstarrt. Wayland wahrte ihr Geheimnis und durchkämmte weiter den Wald nach Beute. Er hatte seit zwei Tagen nichts geschossen, und wenn er auch an diesem Tag kein Jagdglück hatte, würden die Falken zum ersten Mal hungern, seit er sie gefangen hatte. Seine Gedanken wanderten zwischen Vallons Verletzung und seinen eigenen Sorgen hin und her. Dann blieb er plötzlich stehen, als hätte sich vor seinen Füßen ein Abgrund aufgetan. Sie hatten schon zweimal Spuren von Rentierhirten gefunden, doch die waren alt gewesen. Was er jetzt sah, war eine frische Spur.
Wayland musterte den feuchten Rentier-Dung und die angenagten Zweige.
«Sieht frisch aus», sagte Raul.
Wayland erhob sich von einem Knie. «Hier sind zwei Herden vorbeigekommen. Die erste vor ein paar Tagen. Die zweite gestern.»
Dann erspähte er zwischen den Bäumen grob zurechtgezimmerte Gebilde, die sich als drei kegelförmige zeltartige Bauten aus Fichtenstämmen von zwölf Fuß Höhe entpuppten. In jedem Zelt fand sich ein Aschekreis, um den rauchgeschwärzte Steine lagen. Wayland grub seine Hand in die Asche. «Noch warm. Sie sind heute früh aufgebrochen.»
Er ging im Zickzack über den Pfad, starrte vorgebeugt auf den Boden wie ein Rutengänger, der festlegen wollte, wo ein Brunnen gegraben werden sollte. Schließlich richtete er sich auf.
«Was meinst du? Wie viele sind es?»
«Mindestens dreißig. Männer und Frauen. Alte und Junge. Sie haben Hunde dabei.» Wayland sah zuerst auf der einen, dann auf der anderen Seite den Pfad entlang. Er folgte einem Os, einem natürlichen Damm, der sich im Sumpf gebildet hatte. «Siehst du das?», sagte er und deutete auf Stapel mit Feuerholz neben den Schutzzelten. «Sie rechnen damit, dass noch mehr von ihnen hier durchkommen. Bleib von dem Pfad weg und verhalte dich ruhig. Ich warne die anderen.»
«Ach verdammt. Lass uns hier warten, bis sie uns eingeholt haben. Sie sind nicht weit hinter uns.»
Aber Wayland hatte sich schon umgedreht.
«He, Wayland.»
Der Falkner blieb in Bewegung, nur lief er jetzt rückwärts. Raul hob die Faust und senkte sie wieder. «Schon gut.»
Wayland winkte ihm zu. «Es dauert nicht lange.»
Eine Meile flussab traf er auf das Langschiff und war bald wieder zurück an der Stelle, an der er Raul allein gelassen hatte. Der Deutsche war nirgends zu sehen, und frische Spuren überlagerten die des Lappenzuges. Wayland suchte und fand schnell, was er befürchtet hatte. Er legte die Finger auf den Boden, und als er sie hob, waren sie fleckig von Blut. Die anderen, die inzwischen zu ihm aufgeschlossen hatten, beobachteten ihn schweigend. Er setzte den Hund auf Rauls Spur, und ein kleines Stück flussab blieb das Tier an einer Stelle stehen, an der die Erde aufgewühlt war. Und da war noch mehr Blut. Viel Blut, das in den Kuhlen zusammengelaufen war, die von den Kämpfern in den Boden getreten worden waren. Von dieser Stelle aus führte eine Tropfenspur zum Fluss. Wayland ging zum Ufer und sah, dass sich die Spuren auf der anderen Seite in Richtung Wald fortsetzten. Er drehte sich zu den anderen um. «Sie haben Raul.»
«Lebt er?», fragte Hero.
«Jedenfalls hat er noch gelebt, als sie ihn über den Fluss gebracht haben. Er wurde gefesselt. Und ein paar von ihnen hat er getötet.» Wayland zeigte auf die Stelle, an der er das erste Blut entdeckt hatte. «Einen von ihnen hat er dahinten erschossen, und dann wollte er fliehen. Hier haben sie ihn erwischt, und er hat noch einen getötet.»
Richard hob die Hand vor den Mund. «Was machen wir jetzt?»
Wayland starrte zum anderen Ufer hinüber. «Ich folge ihnen. Es nutzt nichts, wenn noch jemand mitkommt. Wenn wir sie zu sehr unter Druck setzen, bringen sie Raul um und verschwinden in den Wäldern.»
«Wahrscheinlich haben sie ihn schon getötet», sagte Drogo. «Wir werden vermutlich vorm Dunkelwerden am Onega-See sein. Dort warten wir bis morgen Abend auf dich. Wenn du bis dann nicht bei uns bist, gehe ich davon aus, dass du tot bist.»
Da ertönte hinter ihm eine Stimme. «Das sind ganz schön viele Vermutungen, oder?»
Vallon stand, gestützt von Garrick, im Boot. Er sah aus wie ein Toter, der aus dem Grab auferstanden ist, und seine Augen, die tief in violetten Höhlen lagen, erinnerten an dunkel glitzernde Flintsteinsplitter.
Drogo straffte sich. «Ich habe im Interesse der Gemeinschaft gesprochen.»
Wayland begann, dem Hund die Lederrüstung anzulegen.
Vallons tödlicher Blick ließ Drogo nicht los. «Gib ihm deine Rüstung.»
Drogo trat vor Erstaunen einen Schritt zurück. «Ein Bauer soll meine Rüstung tragen?»
Wayland schüttelte den Kopf. «Ich will sie nicht. Je weniger ich schleppen muss, desto schneller hole ich sie ein.»
«Du holst eine Horde Lappen ein, die uns für Sklavenhändler halten.» Vallon wandte sich wieder an Drogo. «Leih ihm deine Rüstung.»
Mit verkniffenem Gesicht warf Drogo Wayland die Rüstung hin. Der Falkner nahm nur das Kettenhemd. Der klaffende Spalt in der Bauchgegend war notdürftig geflickt worden.
«Du brauchst ein Schwert», sagte Vallon. «Drogo, ich werde nicht von dir verlangen, dich von deinem Schwert zu trennen.» Sein Blick schweifte zu Tostig, einem von Helgis Männern. «Gib Wayland dein Schwert.»
Beim ersten Laut des Widerspruchs fiel Caitlin mit einer zornentbrannten Tirade über Tostig her. Er schnallte seinen Schwertgürtel ab, und Wayland legte ihn an.
«Welchen Plan hast du?», fragte Vallon.
«Ich werde um Rauls Leben handeln.»
Vallon schnippte mit den Fingern. «Arne, du hattest schon mit den Lappen zu tun. Was meinst du, was wäre ein ausreichendes Angebot für sie?»
«Eisen und buntgefärbte Stoffe sind ihnen am liebsten. Vor allem Eisen. Ein Messer, eine Axt und sechs Ellen Tuch könnten reichen.»
Hastig wurden die Gegenstände zusammengesucht. Wayland packte alles und zusätzlich Brot und Fisch in seinen Rucksack. Dann nahm er Syth für einen Augenblick an beiden Händen, bevor er den Fluss überquerte. Gleich darauf verschwand er zwischen den Bäumen.
Jedes Kind hätte den Spuren der Lappen folgen können. Sie bewegten sich schnell, ein Dutzend Männer zerrten Raul vorwärts, während er sich trotz seiner Fesseln wehrte. Der bewölkte Himmel ließ kaum Rückschlüsse auf die Tageszeit oder die Richtung zu. Wayland nahm an, dass die Dunkelheit nicht mehr lange auf sich warten lassen würde und die Lappen Richtung Osten zogen. Sie hielten sich auf dem gewundenen Damm, und als Wayland schätzte, etwa sechs Meilen weit gelaufen zu sein, blieb der Hund stehen und witterte. Vermutlich hatten die Lappen Männer abgestellt, die nach Verfolgern Ausschau halten sollten, und Wayland hoffte, mit dieser Nachhut verhandeln zu können, statt sich mit der Hauptgruppe auseinandersetzen zu müssen. Aus der Art, wie der Hund knurrte und angriffslustige Blicke nach rechts und links warf, konnte Wayland schließen, dass sie ihn beobachteten und dass einer von ihnen hinter ihm war.