Er verfiel in einen leichten Trab. Die Signale hinter ihm wurden leiser, und Wayland erlaubte sich den Gedanken, dass er den Fluss ohne weitere Zwischenfälle erreichen könnte.
Doch ein weiterer Vogelruf von vorn ließ ihn erstarren, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. Er schlich weiter, spähte immer wieder angestrengt zwischen den Bäumen hindurch. Der Hund stellte das Nackenfell auf, und ein dunkles Knurren kam tief aus seiner Kehle.
Wayland legte einen Pfeil ein und spannte den Bogen. «Ich weiß, dass ihr da seid.»
Stille.
Er ließ seinen Blick über die Baumlandschaft wandern. «Ihr geht mir besser aus dem Weg. Ihr habt es nicht mit einem verirrten Wikinger zu tun.»
Die Bäume ragten in grauen, geisterhaften Formen vor ihm auf. Hinter ihm kamen die entnervenden Vogelrufe näher. Er hängte sich den Bogen über die Schulter und zog sein Schwert.
«Ich komme jetzt, und ich töte jeden, der versucht, mich aufzuhalten.» Er zog die Kettenhaube über den Kopf und hob das Schwert. Der Hund beobachtete ihn mit heraushängender Zunge.
«Los!»
Er rannte mit voller Geschwindigkeit, als eine Gestalt hinter einem Baum hervortrat und ein Seil zischend und so geschickt über dem Kopf schleuderte, dass es wirkte wie eine Verlängerung ihrer Hand. Wayland wich aus und sah aus dem Augenwinkel noch ein Seil, das aus einer anderen Richtung auf ihn zuschoss. Die dritte Schlinge sah er nicht. Sie fiel über seine Schultern, zog sich fest, und bremste seine Vorwärtsbewegung mit solcher Wucht, dass er rücklings von den Füßen gerissen wurde und es ihm den Atem aus den Lungen presste. Er setzte sich auf. Benommen sah er zwei Männer an dem Seil ziehen, und dann sah er sie das Seil hinwerfen, als sich der Hund auf sie stürzte.
Waylands linke Seite war durch den Sturz von der Hüfte bis zur Schulter wie betäubt. Er kam langsam auf die Füße und wurde sofort von einem weiteren Lasso wieder zu Boden gerissen. Die nächste Schlinge fiel über seinen Schwertarm und drohte ihm die Waffe aus der Hand zu ziehen. Er war gestellt und gefesselt, und ohne den Hund wäre es ihm ebenso ergangen wie Raul. Den Lederharnisch mit Pfeilen gespickt, griff das Tier einen der Männer an den Seilen nach dem anderen an, warf sie um, grub seine Zähne in ihr Fleisch, schlug sie in die Flucht.
Die Seile waren immer noch um Wayland festgezogen, doch er hatte weder das Bewusstsein noch sein Schwert verloren. Als das letzte Seil durchgeschnitten war, hastete er vorwärts, als wollte er sich von dieser Welt in die nächste werfen. Die Rufe der Männer, die den Hinterhalt gelegt hatten, wurden schwächer. Wayland wusste jetzt, wo er war. Er war auf dem Weg, der am Fluss entlangführte. Er gab dem Hund einen Klaps. «Wir sind durch!»
Der Hund ließ sich fallen, bog den Rücken durch und leckte an seinem Bauch.
Wayland rannte zu ihm. «Was ist?» Er nahm den Kopf des Hundes in beide Hände und zog ihn hoch. «O Gott.»
Ein abgebrochener Pfeilschaft steckte im Unterleib des Hundes. Es war nicht zu erkennen, wie tief die Pfeilspitze eingedrungen war. Der Hund lag auf der Seite, als forderte er Wayland auf, sich um die Wunde zu kümmern. Er legte ihm eine Hand auf den Kopf, und der Hund leckte ihm kurz über die Finger und wandte den Blick ab. Wayland griff nach dem Pfeilschaft und zog behutsam. Der Hund winselte leise. «Schsch», flüsterte Wayland. Er zog stärker, spürte Widerstand, und der Hund jaulte auf und nahm Waylands Handgelenk zwischen die Kiefer. Behutsam löste er seine Hand aus dem Maul. Der Pfeil hatte Widerhaken und war tief eingedrungen. Mit schwimmendem Blick dachte Wayland über einen Ausweg nach. Der Hund hechelte, den Blick seiner Topasaugen in die Ferne gerichtet. Doch von dort kam keine Hilfe, nur die Lappen stürmten zwischen den Bäumen auf sie zu.
Er zog den Hund hoch. «Komm schon. Ich kümmere mich um den Pfeil, wenn wir zurück beim Boot sind.»
Etwa hundert Schritte weit blieb der Hund mit Wayland gleichauf. Dann hielt er wieder an stieß ein so jämmerliches Winseln aus, wie es Wayland nicht mehr von ihm gehört hatte, seit er ein Welpe gewesen war. Das Tier sah ihn an. Die Lappen kamen näher. «Los!», befahl er und klatschte in die Hände. «Wir sind schon fast am Fluss. Hero wird dir den Pfeil im Handumdrehen herausziehen. Komm!»
Doch der Hund sah ihn nur unentwegt an, und was er sagen wollte, war so offensichtlich, dass Wayland aufstöhnte. Es gab keine Heilung für diese Wunde. Die Widerhaken des Pfeil hatten sich so tief in die Eingeweide des Hundes gebohrt, dass kein Chirurg sie entfernen konnte.
Die Lappen waren nur noch fünfzig Schritt weit weg. Wayland kniete sich vor den Hund. «Komm! Bitte!»
Der Hund sah ihn ein letztes Mal an. Dann drehte er sich zu den Lappen um, schüttelte sich, und stürmte auf sie los. Wayland sah ihn einen der Angreifer zu Boden werfen, und dann verschwand er, verschluckt von einem Trupp Kämpfer mit Äxten und Speeren. Als das wilde Hacken und Stechen aufhörte, hockten sich die Lappen auf den Boden und machten sich mit Seilen und Ästen zu schaffen. Als sie aufstanden, trugen sie den Kadaver des Hundes an einen Ast gebunden davon. Vier Männer waren notwendig, um ihn hochzustemmen. Sie schulterten ihre Trophäe und hasteten in den Wald.
Wayland fand den Fluss und ging stromaufwärts. Die Wolken verzogen sich, die Sonne kam durch. Und sie sank als trüber roter Ball, als er das Langschiff am Nordufer des Onega-Sees erreichte. Seine Gefährten erhoben sich, als er ins Lager hinkte. Sie öffneten den Mund, um ihn auszufragen, doch dann lasen sie ihm die Antworten vom Gesicht ab und schwiegen. Syth rannte auf ihn zu und schloss ihn in die Arme. Er hielt sie an sich gedrückt und strich ihr übers Haar.
Vallon trat zu ihm. «Der Hund auch?»
Wayland nickte.
«Das tut mir leid. Bist du verletzt?»
«Ein kleiner Stich von einem Pfeil und ein paar Prellungen. Nichts Ernstes.»
«Das sagst du. Ich möchte, dass Hero dich untersucht. Danach essen und schlafen.»
Wayland schob sich an ihm vorbei. «Ich kann nicht schlafen, wenn die Falken hungern.»
«Ich habe sie gefüttert», sagte Syth. «Vallon hat eines der Pferde schlachten lassen. Wir haben genügend Fleisch für die Falken, bis wir in Rus sind.»
Vallon nickte. «Ich habe dir ja gesagt, dass ich sie nicht hungern lassen würde.»
Wayland erwachte im Langschiff, das eine Ufer nur noch ein schwacher Umriss, das andere unsichtbar. Sie brauchten vier Tage, um den See zu überqueren, und das Einzige, was er von dieser Überfahrt im Gedächtnis behielt, waren die Gänse, die in langen, unregelmäßigen Reihen über sie hinwegflogen und zehntausendfache Klagerufe ausstießen.
XXXVII
Ein breiter Fluss namens Swir verband den Onega-See mit dem Lagoda-See und dem Land Rus. Immer öfter sahen sie unbewohnte Hütten auf Lichtungen, die in den Wald geschlagen worden waren. Die Katen waren die Sommerunterkünfte von Jägern und Sammlern. Nachdem sie wochenlang im Freien geschlafen hatten, waren die Reisenden froh über den Schutz, den diese einfachen Hütten boten. Es war nun Anfang Oktober, und der Winter war ihnen dicht auf den Fersen. Jeden Tag zogen weniger Wildvogelschwärme nach Süden. Zwei weitere Isländer waren gestorben, weil sie der Hunger so stark geschwächt hatte, dass sie auch Vallons Anordnung nicht mehr retten konnte, die übrigen Pferde schlachten zu lassen.
Vallons Wunde hatte sich sauber geschlossen. Er hatte Hero auf die Wange geküsst und erklärt, ohne seine Heilkünste hätte ihn ein langsamer Tod durch den Wundbrand erwartet. Hero versuchte, daraus Genugtuung zu ziehen, während er eines Morgens mit Richard am Flussufer entlangtrottete. Es war das einzig Positive, was er ihrer Situation abgewinnen konnte. Sie waren noch Tage von Nowgorod entfernt, hatten nahezu alle Lebensmittel aufgebraucht, und viele der Reisenden waren krank. Wayland jedoch hatte sich erholt und verbrachte den größten Teil des Tages auf der Jagd. Doch ohne die Hilfe des Hundes schaffte er es nicht, genügend Beute zu machen, um die Falken satt zu bekommen. Sämtliche Vögel hatten so viel Muskelfleisch abgebaut, dass ihre Kielbeine hervorstanden wie Messer, und einer schrie von morgens bis abends nach Futter.