Wachmänner drehten ihre Runden, als Andrei die aufgeputzten Gäste zum Stadthaus seines Herrn führte. Eine Fackelallee beleuchtete den Weg zum Eingang, in dem Herr Vasili stand, um sie zu begrüßen. Er war ein gepflegter Mann von etwa fünfzig Jahren, mit einem goldenen Schneidezahn und einem sorgfältig gestutzten, leicht ergrauten Bart. Aus seiner Bekleidung sprach der Geschmack eines wohlhabenden Mannes, der seinen Reichtum nicht zur Schau stellen muss. Er trug einen Kaftan aus grau schillernder Seide mit Aufschlägen aus Goldbrokat über einem dunkelblauen Gewand mit einem Gürtel aus Gold und Emaille. Er begrüßte seine Gäste auf Nordisch, doch als Hero vorgestellt wurde, wechselte er ins Griechische und Arabische, wobei er sein Unvermögen beklagte, in diesen Sprachen elegante Konversation zu betreiben. Nach jeder Vorstellung, bei der Vasili stets ein paar freundliche Nachfragen stellte, wurde der jeweilige Gast von Vasilis Verwalter an seinen oder ihren Platz an einer Festtafel geführt, die in sanftes Kerzenlicht getaucht war.
Er platzierte Vallon und Hero zu Vasilis rechter beziehungsweise linker Seite, die übrigen männlichen Gäste gegenüber, und die Damen um ein Ende der Tafel. Zwei Bedienstete liefen mit Getränken und Appetithäppchen umher, und die Gäste stellten fest, dass sie zwischen Bier, Kwas und vier unterschiedlichen Honigweinen wählen konnten. Dann trug ein Zug Diener die Hauptgerichte auf, und die Geladenen staunten nicht schlecht. Da gab es ein geröstetes Spanferkel, Platten mit Wildbret, Gebäck und Pasteten, Hecht und Lachs in Aspik, Schalen mit Kaviar und Sauerrahm, ein halbes Dutzend Brotsorten, einschließlich Weizenbrote, deren Korn aus dem Süden kam, und ein besonderer Auflauf, der mit Honig und Mohnsamen abgeschmeckt war.
Während die Gäste ihre Wahl trafen, zog Vasili seine Tischnachbarn ins Gespräch. Er sah die Männer direkt an, erkundigte sich nach ihren Aufgaben und ihrer Stellung und machte ausführliche Bemerkungen, wenn ihre Erfahrungen seine eigenen berührten. Er war ein Mann von Welt, und er liebte die Ferne. Er hatte sein Vermögen durch den Handel erworben; im Süden mit Kiew und Byzanz, mit Deutschland, Polen und Schweden im Westen, und im Osten mit Arabien und Persien. Zweimal war er nach Konstantinopel gereist, und als junger Mann hatte er Handelsgeschäfte mit arabischen Karawanen in Bolgar an der Wolga betrieben.
Während seine Gäste speisten, hörte er sich Heros Bericht von ihrer Reise und ihren Plänen an.
«Und mit wie vielen Reisenden werdet ihr das Unternehmen fortsetzen?»
«Wenn die Wikinger mitkommen, sind wir ungefähr ein Dutzend.»
Vasili legte eine beringte Hand auf Vallons Arm. «Verehrter Gast, es gefällt mir gar nicht, aber ich muss Euch sagen, dass Euer Vorhaben unmöglich ist. Der Frühsommer, wenn der Dnjepr durch die Schneeschmelze mehr Wasser führt, ist die einzige Zeit, in der die Straße zu den Griechen befahren werden kann. Jetzt ist der Wasserstand auf der nördlichen Strecke zu niedrig für Schiffe. Ihr wartet besser bis nächstes Jahr. Oder, natürlich, Ihr verkauft Eure Waren hier.» Er warf einen Blick auf Wayland, bevor er sich wieder an Vallon wandte. «Ich glaube, mein Verwalter hat erwähnt, dass die Falken rasch an einen meiner arabischen Kunden verkauft werden könnten. Er ist sehr reich.»
Vallon beobachtete Wayland, der an einem Brocken Schweinefleisch kaute. Er schien der Einzige unter den Gästen zu sein, auf den Vasilis Charme keine Wirkung hatte.
«Die Falken sind der Anlass für unsere Reise nach Süden. Man könnte sogar sagen, dass nicht wir sie mitnehmen, sondern sie uns dorthin führen.»
«Hero hat gesagt, dass vier Falken zur Auslösung gefordert werden. Ihr habt sechs. Verkauft mir zwei, einschließlich des erwachsenen weißen Vogels.»
«Nein», sagte Wayland, ohne dabei auch nur aufzusehen.
Vallon funkelte ihn an, bevor er lächelte und Vasili entgegnete: «Wir können es uns nicht erlauben, uns auch nur von einem der Falken zu trennen. Wir haben schon zwei an der Küste des Weißmeeres verloren, und in den Wäldern waren wir kurz davor, alle aufgeben zu müssen. Wenn wir hier mit sechs Falken abreisen, schätze ich mich glücklich, mit vier in Anatolien anzukommen.»
Vasili zog seine Hand zurück. «Dann werde ich dieses Thema nicht mehr ansprechen.» Er tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab.
Danach war die Atmosphäre etwas angespannt, und Vallon wechselte schnell das Thema. «Wie stehen die Angelegenheiten in Rus?»
Vasili winkte einen Bediensten weg, der ihm eine Pastete angeboten hatte. Dann neigte er sich zu Vallon und sagte mit gesenkter Stimme: «Nicht gut. Ich bedaure, dass Ihr in einer besonders schlechten Zeit in meinem geliebten Vaterland angekommen seid. Unter Großfürst Jaroslav – Gott behüte seine Seele – war die Föderation vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer geeint. Jaroslav wurde ‹Der Weise› genannt, aber auf seinem Totenbett muss er wohl den Verstand verloren haben. Bevor er starb, hat er das Reich unter seinen fünf Söhnen aufgeteilt. Die drei ältesten haben ein Triumvirat gebildet – und das ist das instabilste aller Bündnisse, sei es in der Liebe, im Krieg oder in Staatsangelegenheiten. Und noch ein Gift bedroht das Reich. Und zwar Vseslav von Polotsk, ein Außenseiter. Er ist der Urenkel Vladimirs des Heiligen. Vseslav ist ein Magier und ein Werwolf. Ihr lächelt, aber ich kenne den Mann und kann beschwören, dass er der Zauberkunst mächtig ist.»
Vasili nippte an seinem Becher. «Vor fünf Jahren hat das Triumvirat Vseslav in Kiew ins Gefängnis geworfen. Viele Leute glauben, dass seine Hexerei die Ursache für die Probleme hier im Land ist. Im Jahr darauf haben sich die Nomaden aus den Steppen des Südens die Verfeindung der Prinzenbrüder von Rus zunutze gemacht und uns mit einem großen Verband angegriffen. Als sie unsere Armee geschlagen hatten, brach in Kiew ein Aufruhr aus. Die Bürger haben Vseslav befreit und ihn zu ihrem Prinzen erklärt. Ein Jahr später wurde er wieder entthront und flüchtete zurück nach Polotsk, wo er heute noch Zauberformeln ersinnt und seine nächsten Schritte vorbereitet. Ich beschreibe ihn deshalb so genau, weil Ihr durch das unzivilisierte Gebiet müsst, dass an sein Fürstentum angrenzt. Eine so kleine Reisegesellschaft wie Eure könnte einfach in den Wäldern verschwinden, ohne dass es irgendjemand mitbekommt.»
Vasili richtete sich sorgenvoll auf. «Verehrter Freund, meine dunklen Überlegungen halten Euch vom Essen ab. Darf ich Euch von den Poriggi anbieten? Hier, nehmt etwas von dem Würzfleisch. Es ist sehr gut, um den Appetit anzuregen.»
«Es sind nicht Eure Bedenken, die mir den Appetit verderben. Es ist noch nicht lange her, da hat mir ein Wikinger den Bauch aufgeschlitzt. Die Wunde ist kaum verheilt. Mein Arzt hat mich angewiesen, zurückhaltend zu essen und auf Fleisch zu verzichten, bis ich mich vollständig erholt habe.»
Darauf blinzelte ihn Vasili etwas verwirrt an, als habe er den Verdacht, von Vallon auf den Arm genommen zu werden.
«Erzählt uns mehr vom Süden», sagte Vallon.
Vasili legte einen Bernsteinlöffel auf den Tisch. «Nowgorod.»
Dann nahm er einen silbernes Salzfässchen und stellte es in die Mitte des Tischs. «Kiew.»
Auf die gegenüberliegende Seite des Tischs stellte er seinen goldenen Trinkbecher. «Konstantinopel.»
Er tauchte seinen Finger in den Becher und zog von Nowgorod ausgehend eine feuchte Linie auf den Tisch. «Von hier aus überquert Ihr den Illmensee und fahrt die Lowat hinauf. Dieser Abschnitt der Reise wird sehr anstrengend. Wie ich schon sagte, führt der Fluss Niedrigwasser und kann nur mit kleinen Booten befahren werden. Und auch dann müsst Ihr für jedes Werst, das Ihr segelt oder rudert, mit zwei Werst rechnen, die Ihr Euer Boot schleppen müsst.»
Vasili tippte zwischen Nowgorod und Kiew auf den Tisch. «Hier verlasst Ihr den Fluss, und es kommt der Überlandtransport, die sogenannte Große Portage, auf die andere Seite der Wasserscheide. Das dauert etwa sechs Tage. Der kürzeste Weg führt Euch zur Westlichen Dwina und dann, südlich von Smolensk, zum Oberlauf des Dnjeprs. An Eurer Stelle würde ich dort erst gar nicht in die Stadt gehen. Die Händler dort sind reine Verbrecher.»