«Nicht dieses Jahr, wo der Winter so kurz bevorsteht. Und vielleicht auch niemals. Ich könnte die Demütigung nicht ertragen. Ich weiß, wie mich die Leute hinter meinem Rücken verspotten würden – ist von zu Hause weg, um einen Grafen zu heiraten, weil ihr in Island keiner gut genug war. Und jetzt, wo sie zurück ist, muss sie einen von ihren verschmähten Bewerbern nehmen, wenn sie nicht als alte Jungfer sterben will.»
«Was wirst du also machen?»
«Ich habe beschlossen, eine Pilgerreise nach Konstantinopel zu unternehmen. Dort werde ich für Helgis Seele eine Messe lesen lassen.»
«Und wie wirst du reisen?»
Caitlin antwortete nicht.
«Möchtest du mit uns kommen?»
«Mit dir, ja.» Sie sah auf. «Mit dir.»
In Vallon stieg leise Panik auf. «Weiß Drogo davon?»
«Von meiner Reise nach Konstantinopel oder von meinen Gefühlen für dich?»
Vallon rieb sich mit den Fingerknöcheln über die Augenbraue. «Was du mir da gerade anvertraust, überfordert mein Fassungsvermögen, weißt du. Wann genau haben denn diese Gefühle dein Bedürfnis verdrängt, mich umzubringen?»
«Mir ist klargeworden, dass sich die Prophezeiung erfüllt hat. In der Nacht, in der ich mich um dich gekümmert habe, als du verletzt warst. Als ich dich in den Armen hielt, hast du meinen Namen gesagt.»
«Ich habe deinen Namen gesagt?» Vallon wurde bewusst, dass er die Stimme erhoben hatte. Er warf einen Blick auf die geschlossene Tür.
«Voller Zärtlichkeit. Du hast mich deine Prinzessin genannt.» Sie errötete. «Und du hattest auch noch andere Namen für mich.»
«Ich war im Fieberwahn. Gott weiß, was für einen Unsinn ich von mir gegeben habe. Es tut mir leid, wenn ich etwas Peinliches gesagt habe.» Dann breitete sich Verständnislosigkeit auf seinem Gesicht aus. «Welche Prophezeiung?»
«Als ich ein kleines Mädchen war, hat mir eine Frau mit dem zweiten Gesicht erklärt, dass ein dunkelhaariger Fremder aus einem fernen Land mein Herz stehlen und mich übers Meer bringen würde. Diese Prophezeiung ist einer der Gründe, aus denen ich keinen Isländer geheiratet habe. Schon als ich dich das erste Mal gesehen habe, wusste ich, dass du es bist.»
«An dem Tag, als wir uns kennengelernt haben, hast du mich angesehen wie etwas, in das du versehentlich hineingetreten bist.»
«Ich musste meine Gefühle vor Helgi verbergen. Er kannte die Prophezeiung und fragte mich immer wieder, was ich von dir hielte. Ich musste so tun, als würde ich dich hassen.»
«Du hast also Theater gespielt, als du Helgi am See befohlen hast, gegen mich zu kämpfen?»
«Was hätte ich denn sonst tun sollen? Du hast mich beim Baden beobachtet. Er hätte dich auf jeden Fall herausgefordert, ganz gleich, was ich gesagt hätte. Wenn ich ihn nicht angestachelt hätte, wäre er meinen wahren Gefühlen auf die Spur gekommen.»
Da gab es noch eine Menge zu klären, einschließlich der Frage, welches Verhältnis genau Caitlin zu ihrem Bruder gehabt hatte. Doch dafür war jetzt nicht der rechte Augenblick. Vallon schüttelte sich leicht. «Drogo ist vernarrt in dich. Drogo hasst mich. Wenn er herausfindet, dass du … dass deine Zuneigung …»
«Du musst ihn wegschicken. Er will immer noch dein Blut fließen sehen. Eine Eiterbeule, die er aufstechen muss, wie er es ausdrückt.»
«Nur um es klarzustellen. Also erwiderst du seine Gefühle nicht?»
Caitlin reckte stolz das Kinn. «Er langweilt mich. Einen Mann, der wie ein Hund hinter mir herläuft, kann ich nicht ernst nehmen.»
Vallon ging auf und ab. «Und was ist mit Torstig und Olaf?»
«Sie kommen mit mir nach Konstantinopel. Nachdem Helgi nun tot ist, wollen sie in die Dienste des Kaisers eintreten.»
«Sonst noch jemand?»
«Nur meine Mägde.»
«Nur deine Mägde», echote Vallon. Er atmete tief ein. «Du kannst eine von ihnen mitnehmen – die junge. Wie heißt sie?»
«Asa.»
«Wir nehmen keine Passagiere mit. Du musst deinen Beitrag leisten.»
«Ich fürchte mich nicht vor schwerer Arbeit. Warte nur ab. Du wirst sehen, dass ich genauso stark bin wie du.»
Vallons Mundwinkel zuckten. «Das könnte jedes Katzenjunge behaupten.»
Caitlins Blick wurde weicher. «Wie geht es deiner Verletzung?»
«Ist verheilt.»
«Lass mich mal sehen.»
«Das ist nicht notwendig. Glaub mir einfach.»
Mit hypnotisierender Langsamkeit kam Caitlin auf ihn zu. «Ich habe sie gesehen, als sie frisch war. Ich habe den Verband gewechselt. Und ich habe den Tod auf deiner Schulter sitzen sehen und ihn mit meinen Gebeten vertrieben.»
«Dafür danke ich dir. Wie du siehst, sind deine Gebete erhört worden.»
«Dann lass mich sehen.»
Vallon warf einen verzweifelten Blick zur Tür. Dann zog er seinen Kittel hoch und starrte geradeaus wie bei einer Armeeparade. «Hier.»
Sie sank auf die Knie. «Du bist so mager.»
Er sah hinunter auf den violetten Streifen, um den herum der Bluterguss inzwischen nur noch blassgelb und grünlich war. Zu seinem Erstaunen bewegte sich Caitlins Kopf auf den hässlichen Narbenstreifen zu. Wollte sie ihn etwa küssen?
Er zog sie hoch. «Caitlin!»
Sie hing in seinen Armen, fraulich und weich, die Lippen leicht geöffnet. Ihr in die Augen zu sehen war, wie in den Ozean einzutauchen.
Sie lächelte. «Hat dich wirklich nur der Zufall an den Kratersee geführt?»
Als er antwortete, klang seine Stimme rau. «Reiner Zufall.»
«Siehst du. Das Schicksal hat seine Hand im Spiel.» Ihr Blick umflorte sich. «Du bist der erste Mann, der mich je nackt gesehen hat. War der Anblick ein Vergnügen für dich?»
«Er war keine unzumutbare Härte.» Träumerisch schloss sie die Augen, und ihr Mund näherte sich seinem. Er rührte sich nicht. Er konnte sich nicht bewegen. Ihre Lippen begegneten sich. Er küsste sie. Und nicht nur das. Er liebkoste sie, schlang die Arme um sie. Sie stöhnte, als sie ihn spürte. Er riss sich los und starrte blindlings zu der Ikone über seinem Bett.
«Ein Moment der Schwäche. Es wird nicht wieder vorkommen.»
«Wird es doch. Du kannst dich nicht dagegen wehren.»
«Ich werde es nicht zulassen!» Er ballte die Fäuste und funkelte die Ikone wütend an. «Hast du verstanden?»
Keine Antwort. Als er sich umdrehte, sah er gerade noch, wie der Türriegel wieder herunterfiel. Nach einer Weile erfolgte ein entschlossenes Klopfen. Vallon drehte sich wieder zu der Ikone um. Ihm war beinahe schwindlig. «Herein.» Er hörte Schritte, die kurz hinter ihm haltmachten. «Drogo.»
«Vallon. Caitlin ist ganz erhitzt und aufgeregt. Was hast du getan, um sie so außer sich zu bringen?»
Vallon bohrte die Fingernägel in seine Handflächen, um sich zu beherrschen. «Du bist nicht gekommen, um über Caitlin zu reden. Was willst du? Nein, sag’s nicht. Du bist mir inzwischen so ergeben, dass du eine Trennung nicht ertragen kannst. Stimmt’s?»
«Caitlin braucht immer noch meinen Schutz.»
«Sie hat Olaf und Tostig, die auf sie aufpassen können.»
«Du vergisst den Eid, den ich ihrem Bruder geschworen habe.»
Vallon drehte sich mit einem unschönen Grinsen zu ihm um. «Nun, die Wahrheit ist, dass ich dich nicht dabeihaben will.»
«Als ich dich mit Fulk bei dem Kampf gegen die Wikinger unterstützt habe, warst du noch froh, dass ich dabei war.»
«Dein Schwert ist zweischneidig. Es wird Zeit für deine Rückkehr nach England.»
«Ich habe kein Geld.»
«Ich bezahle für deine Überfahrt.»
«Das kann ich nicht annehmen.»
«Dann schwimm eben.»
«Hör zu, Vallon, ich bitte nur darum, dass du mich Caitlin bis Konstantinopel begleiten lässt. Ich habe nicht vor, euch nach Anatolien zu folgen. Was zwischen dir und Walter geschieht, interessiert mich nicht mehr.»
«Du bist ein Lügner. Bitte abgelehnt.»