Выбрать главу

«Dann klettern wir auf einen Baum.»

Sobald Syth ihre Position eingenommen hatte, rannte er über die Lichtung und in den Wald. Die Auerochsen hatten tiefe Hufabdrücke und beträchtliche Dunghaufen hinterlassen. Der Wind stand in Gegenrichtung, und so konnte sich Wayland schnell vorwärtsbewegen. Die Spuren führten in einen dichtbewachsenen Jungwald, in dem man nicht weiter als dreißig Fuß freie Sicht hatte. Er drehte sich um und bedeutete Syth, dass sie bleiben sollte, wo sie war. Vorsichtig ging er weiter. Trotz ihrer Größe waren die Auerochsen zwischen den engstehenden Bäumen hindurchgezogen. Wayland war mitten in dem Dickicht, als das Warnsignal erneut vom Fluss herüberhallte. Es musste ernst sein.

Er kam zu einem Gewirr umgestürzter Bäume, kämpfte sich durch und erreichte ein unberührtes, tief verschattetes Waldstück. Er blieb stehen, damit sich sein Gehör an die neue Umgebung gewöhnen konnte. Goldgrüne Lichtspeere durchbohrten das Zwielicht, in dem er sich beinahe wie unter Wasser fühlte. Er spähte zwischen dunklen Ästen und Zweigen hindurch. Nichts. Das Hornsignal hatte die Auerochsen verscheucht, und inzwischen waren sie vermutlich schon eine Meile entfernt. Er wollte gerade den nächsten Schritt machen, als sich einer der tiefschwarzen Schatten bewegte. Wayland blinzelte, blinzelte noch einmal, und da nahm der riesenhafte Bulle keine vierzig Schritt entfernt aus dem Waldesdunkel heraus Form an. Das Tier hatte ihn wahrgenommen und sah mit zuckenden Ohren, die feuchten Nüstern geweitet, in seine Richtung. Wayland drehte sich um, Syth war nicht mehr in Sichtweite. Als Wayland den Bullen erneut ansah, graste das Tier wieder. Zwischen ihnen lag der Kadaver einer Rieseneiche. Sie war mit Moos gepolstert und mit Pilzen bewachsen, die aussahen wie übergroße Menschenohren. Er schlich darauf zu. Jahrelange Erfahrung in der Natur hatte ihn gelehrt, dass der Trick beim Anschleichen an die Beute darin bestand, sich nicht anzuschleichen. Man musste mit der Luft verschmelzen, zu einem Teil der Erde werden, aber niemals durfte man sich seiner selbst bewusst sein. In dem Augenblick, in dem man seinen Verstand einschaltete, spürte es die Beute.

Zehn Schritt vor der Eiche blieb Wayland stehen. Der Bulle graste weiter. Wayland ließ sich unendlich langsam auf den Boden sinken und schob sich auf dem Bauch zu dem Eichenstamm. Dort rollte er sich auf die Seite, spannte einen Pfeil in den Bogen und hob Zoll für Zoll den Kopf.

Der Bulle stand weniger als zwanzig Schritt entfernt, Lichtflecken und Schatten spielten auf seinem Rücken, und Wayland konnte die Narben alter Rangkämpfe auf seinen Schultern sehen. Wayland rührte sich nicht. Er war nichts weiter als ein Teil dieses Waldes, sein Gesicht ein blasses, nicht weiter bedrohliches Oval, genauso unbedeutend wie die Pilze, die auf dem Baum wuchsen. Doch der Bulle überprüfte seine Umgebung mit jedem Heben des Kopfes, und als er es das nächste Mal tat, stellte er fest, dass Waylands Gesicht noch nicht da gewesen war, als er zuvor in diese Richtung gesehen hatte. Ein tiefes Grollen dröhnte aus seiner Brust. Er stampfte mit den Vorderhufen auf. Im nächsten Augenblick würde er angreifen.

Wayland sprang auf und begann zu schreien. Der Auerochse schnaubte, drehte sich um, und galoppierte davon. Wayland setzte über den Baumstamm und schrie erneut. Vor sich hörte er donnernde Hufschläge und peitschend zurückschnellende Zweige. Hinter ihm stieß Syth schrilles Gekreisch aus.

Ohne zu warten, bis sie ihn eingeholt hatte, rannte er den Auerochsen nach. In welche Richtung sie liefen, hörte er an den Geräuschen, mit denen sie durch Wald und Unterholz brachen. Sie waren ein gutes Stück voraus, flüchteten panisch und unaufhaltsam, und er jagte ihnen mit dem schuldbewussten Rauschgefühl eines Mannes nach, der eine Lawine ausgelöst hat.

Gleb kehrte wieder ans Ufer zurück, und dieses Mal begleiteten ihn sechs von seinen Männern. Die übrigen lagen ums Feuer, doch Vallon konnte an ihrer Körperspannung ablesen, dass sie auf ein Signal zum Angriff warteten. Gleb blieb etwa zwanzig Schritt entfernt stehen. «Komm. Das Essen ist fertig. Es ist nicht viel – Schmorfleisch. Kwas.»

«Ich habe es dir doch gesagt. Wir haben schon gegessen.»

Verärgerung flackerte in Glebs Gesicht auf. «Es ist in meinem Land Sitte, dass man mit den Fremden, denen man unterwegs begegnet, das Brot bricht.»

«Gib einfach den Befehl», sagte Drogo.

Vallon hob ärgerlich das Kinn. «Haltet eure Waffen versteckt. Alle sollen in die Boote steigen.»

Gleb legte die Hand hinters Ohr. «He, Bruder, hast du mich nicht gehört? Ist dir die Gesellschaft von Russen nicht gut genug?»

Vallon spielte den Besorgten. «Ich befürchte, dass meinen fehlenden Männern etwas zugestoßen ist.»

Gleb ging auf die Lügengeschichte ein. «Sie sind zehn, hast du gesagt. Also genug, dass sie sich gegenseitig schützen können. Vergiss sie und iss mit uns. Vielleicht sind sie ja auch schon wieder da, bis wir fertig sind.»

«Eben fällt mir ein, dass es ein Missverständnis gegeben haben muss. Sie warten vermutlich weiter flussab auf uns.» Ein Blick über die Schulter zeigte Vallon, dass alle in die Boote gestiegen waren. «Wir beeilen uns lieber, damit wir schnell zu ihnen kommen. Es tut mir leid, dass ich deine Gastfreundschaft ablehnen muss.»

Gleb starrte auf den Boden, und als er den Kopf wieder hob, war seine Miene traurig geworden. «Aber da gibt es ein Problem. Du bist hier auf Polotsker Gebiet. Hast du die Erlaubnis, durch Prinz Vseslavs Land zu reisen?»

Vallon spielte auf Zeit. «Ich habe einen Geleitbrief von Herrn Vasili von Nowgorod.»

«Herrn Vasilis Geleitbriefe berechtigen dich nicht, dich in diesem Gebiet aufzuhalten. Es erstaunt mich, dass er dir keinen Führer mitgegeben hat.» Er sagte etwas auf Russisch, und seine Männer kicherten. Dann setzte er wieder eine ernste Miene auf. «Das Gesetz ist eindeutig. Eine Karawane, die ohne Erlaubnis in Vseslavs Gebiet eindringt, soll verhaftet werden, und ihre Waren unterliegen der Beschlagnahme.»

«Hören wir auf, uns etwas vorzuspielen», sagte Vallon. «Es war Vasili, der dich geschickt hat.»

Gleb grinste. «Und du hast keine zehn Leute im Wald. Nach Olegs Zählung können es nur zwei sein, und einer von den beiden ist nur ein Mädchen.» Er schüttelte mit gespieltem Bedauern den Kopf. «Du hättest auf Herrn Vasili hören und ihm die Falken verkaufen sollen. Ich erspare dir einen vergeudeten Tag. Ihr wärt niemals an den Stromschnellen und den Nomaden vorbeigekommen.»

Er wedelte mit der Hand, und seine Männer erhoben sich wie eine Kompanie, die aus einer Trance erlöst wird. Sie zogen ihre Schwerter, spannten ihre Bögen und rückten vor.

Auch Vallon zog sein Schwert und hörte hinter sich Stahl aus der Schwertscheide gleiten. «Eins sage ich dir. Du wirst nicht lange genug leben, um aus diesem Verrat Gewinn zu ziehen», drohte Vallon.

«Komm ins Boot!», rief Drogo.

Es war zu spät. Die Russen waren nur dreißig Schritt vor ihm und würden an den Booten sein, bevor sie tieferes Wasser erreicht hatten.

«Es hat keinen Zweck zu kämpfen», sagte Gleb. «Gib mir die Falken, und ich lasse dich deiner Wege gehen.»

Vallon zog sich rückwärts bis zum Ufer zurück. «Hero, bereite dich darauf vor, die Falken in den Fluss zu werfen.»

Gleb ließ seine Männer anhalten. «Sei kein Narr. Die Falken sind das Einzige, was euch retten kann.»

Vallon setzte einen Fuß in den Fluss. «Leinen los!»

Als Gleb die Hand hob, um den Befehl zum Angriff zu geben, begannen die Hunde zu kläffen und an ihren Leinen zu zerren. Ein Pferd wieherte und warf den Kopf zurück. Gleb warf einen Blick über die Schulter, dann sah er wieder Vallon an.

«Die Falken.»

«Für wie dumm hältst du mich?»

Der Ruf eines Russen schnitt Gleb das Wort ab. Die Pferde hatten angefangen, mit zurückgelegten Ohren zu wiehern und herumzutänzeln. Die Hunde jaulten und verbissen sich ineinander, während sie versuchten, sich loszureißen. Ein tiefes Muhen dröhnte aus dem Wald.