«Ihr wollt also, dass wir Eure Fracht nach Konstantinopel begleiten.»
«Es wäre in beiderseitigem Interesse.»
«Über wie viele Sklaven reden wir?»
«Einunddreißig. Am Anfang waren es sechsunddreißig. Sie sterben sehr leicht. Mit jedem Monat, der vergeht, verliere ich Geld.»
«Und wie viele Schiffe?»
«Zwei, jedes mit acht Mann Besatzung.»
«Ein Dutzend zusätzliche Soldaten helfen nicht viel, wenn wir den Nomaden über den Weg laufen.»
«Das werdet Ihr nicht. Die Kumanen sind mit ihren Herden in der Steppe. Da im Winter keine Flotte den Dnjepr hinuntersegelt, ergibt es für sie keinen Sinn, sich am Fluss auf die Lauer zu legen. Ein Fuchs setzt sich auch nicht vor einen leeren Kaninchenbau.»
«Was hat Euch dann daran gehindert, die Schiffe ohne Eskorte loszuschicken?»
«Ah ja. Das liegt an den Lotsen. Ohne erfahrene Lotsen riskiere ich, alles an den Katarakten zu verlieren.»
«Also könnt Ihr nicht einmal Lotsen anheuern.»
«Oh, ich finde welche, wenn ich bereit bin, ihren Preis zu bezahlen. Aber wisst Ihr, wie hoch dieser Preis ist?» Er beugte sich über den Tisch. «Drei Silbergriwna für jeden.» Er rutschte auf seinem Platz herum und wiederholte mit erhobenem Zeigefinger: «Drei Silbergriwna für jeden.»
«Und was bringen Eure Sklaven in Konstantinopel ein?»
«Zehn Griwna das Stück, aber man muss noch meine laufenden Kosten abziehen und den Kredit abrechnen. Sechs Griwna zusätzliche für die Lotsen auszugeben ließe meinen Gewinn zu praktisch nichts zusammenschmelzen. Aber wenn Ihr für die Lotsen zahlen würdet …»
Hero zog die Augenbrauen zusammen. «Verzeiht. Habe ich Euch soeben sagen hören, wir sollen die Lotsen bezahlen?»
«Ohne meine Hilfe findet Ihr sowieso keinen.»
Hero lehnte sich zurück. «Gut. Wir fahren ohne.»
«Ohne einen erfahrenen Mann, der Euch durch die Stromschnellen bringt, verliert Ihr Eure Ladung und Euer Leben noch dazu. Das müsst Ihr mir nicht glauben. Aber Ihr könnt jeden fragen, der die Fahrt schon einmal gemacht hat. Sogar mit Lotsen gehen jedes Jahr Schiffe und Menschenleben in den Katarakten verloren.»
Abwesend fuhr Hero mit dem Zeigefinger eine Holzmaserung auf dem Tisch nach. «Als Ihr hereingekommen seid, hatte ich bereits den Eindruck, Ihr wolltet uns um Hilfe bitten. Nun aber sieht es so aus, als sollten wir für das Privileg bezahlen, Eure Schiffe eskortieren zu dürfen. Was ist unser Gewinn?»
«Meine Schiffe. Eure Boote sind nicht groß genug, um das Schwarze Meer zu überqueren, und Ihr werdet an der Dnjepr-Mündung keine Schiffe finden, die Ihr mieten könnt. Sie sind alle weggeschafft worden und kommen erst im Frühling wieder.»
Ebendies hatte ihnen schon Vasili erklärt. Hero strich sich übers Kinn. «Wenn wir also für die Lotsen zahlen, können wir mit Euren Schiffen bis nach Konstantinopel fahren.»
Fyodor grinste breit. «Ganz genau.»
«Ich muss mit unserem Anführer reden.»
Hero beschrieb Vallon das Angebot. «Ich bin sicher, dass er die Bedrohung durch die Nomaden herunterspielt», schloss er. «Und vermutlich gibt es noch mehr, das er für sich behält.»
«Glaubst du, er ist hinter unserer Fracht her?»
«Nein. Er will, dass wir seine Kosten übernehmen, und vielleicht auch noch ein bisschen mehr als seine Kosten. Ich wette, dass die Lotsen nicht einmal ein Viertel dessen bekommen, was sie ihm zufolge verlangen.»
«Wie viel Silber haben wir noch?»
«Knapp über zwanzig Pfund. Nowgorod war teuer.»
Vallon trommelte mit den Fingern aufs Fensterbrett. «Wir brauchen einen Lotsen, und wir brauchen ein seetüchtiges Schiff. Fyodor kann uns mit beidem versorgen. Wenn wir sein Angebot ablehnen, werden wir vermutlich noch schlimmer geschröpft. Ich will keinen Tag länger in Kiew bleiben als unbedingt nötig. Glebs Männer könnten einen Boten schicken und uns unter irgendeinem Vorwand verhaften lassen. Die Wikinger könnten die Beherrschung verlieren und jemanden im Streit erschlagen. Jeder weitere Tag …» Er beendete den Satz nicht und starrte über die Dächer zum Dnjepr hinunter.
«Herr?»
Vallon drehte sich um. «Es ist ja nicht unser eigenes, schwer erarbeitetes Geld. Zahl dem Gauner, was er fordert. Sag ihm, du willst mit den Lotsen sprechen und dass wir unverzüglich aufbrechen müssen.»
Fyodor strahlte, als Hero ihre Kapitulation verkündete. Er rief seinem Sklaven etwas zu, und der Junge rannte die Treppe hinunter. «Es wird nicht lange dauern», sagte Fyodor. «Ich habe ihnen gesagt, sie sollen sich bereithalten, damit sie sich vorstellen können.» Er lehnte sich zurück und begann Däumchen zu drehen.
Hero nahm den Weinkrug auf. «Möchtet Ihr uns vielleicht bei einem Becher Gesellschaft leisten?»
«Zu freundlich», sagte Fyodor. Er hob seinen Becher. «Auf unser gemeinsame Unternehmung.»
Wayland und Syth standen unter der Zentralkuppel der Sophienkathedrale, hielten sich wie Kinder an der Hand und bestaunten das gewaltige Deckenmosaik von Christus dem Weltenherrscher, den vier Erzengeln umgaben. Sie waren in die Kathedrale geraten, nachdem sie sich im Straßengewimmel von Kiew verirrt hatten, und nun war Wayland vor Ehrfurcht erstarrt. Jedes Detail in dieser Kathedrale war in der Absicht gestaltet worden, ihn daran zu erinnern, dass sein Schöpfer prüfend auf ihn herniedersah. Die Heiligen, die auf jedem Fleckchen glatter Wand in Mosaiken und Fresken dargestellt waren, verfolgten ihn mit ihren Blicken. Wenn er sich bewegte, wurde das Geräusch seiner Schritte durch die Nischen, die wie Resonanzkammern in die Wände gemauert worden waren, verstärkt zurückgeworfen.
Dann begann ein Chor zu singen. Den Worten des Vorsängers folgte jeweils ein mehrstimmiger Antwortgesang.
Syth drückte Waylands Arm. «So muss es im Himmel sein.»
«Ich weiß nicht, ob ich die Ewigkeit damit verbringen will, Heiligenbilder anzuschauen und einen Chor singen zu hören.»
«Wie sollte denn dein Himmel aussehen?»
«Er würde sich nicht sehr von dem Leben auf der Erde unterscheiden, nur dass niemand unter Hunger, Armut und Unterdrückung leiden müsste.»
«Und wäre Raul dort? Vallon? Der Hund?»
«Das hoffe ich.»
«Aber Raul war ein Sünder. Vallon hat seine Frau ermordet. Und Hunde haben keine Seele.»
«Ich wäre aber lieber mit ihnen zusammen als mit einer Bande Heiliger, ganz gleich, wo sie am Ende landen.»
Syth zwickte ihn. «Schsch! Gott wird dich hören, und dann kommst du in die Hölle.»
«Mir egal.»
Syth dachte darüber nach. «Stell dir vor, wir wären gestorben, und ich dürfte in den Himmel, aber du würdest in die Hölle geschickt. Das wäre sinnlos, weil es ohne dich für mich kein Himmel wäre.»
«Genau das meine ich. Du müsstest mit mir im Fegefeuer braten.»
«Red nicht so. Du machst mir Angst.» Sie stellte sich dicht neben ihn. «Einer von den Priestern beobachtet uns.»
Es war ein junger Mann mit gütigem Gesichtsausdruck. Als Wayland ihn ansah, wurde sein Lächeln breiter, und er kam auf sie zu. Wayland nahm Syth am Arm und ging mit ihr in Richtung Pforte. Der Priester rief nach ihnen und begann schneller zu gehen. Darauf wurde auch Wayland schneller, und als der Priester es ihm gleichtat, begann er zu rennen. Mit klatschenden Schritten hasteten Syth und er über den Marmorfußboden auf eine der großen Bogentüren zu, stürzten ins Freie und verschwanden in der Menge, als das Echo von Syths Lachen noch in der Kathedrale hing.