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Er schätzte das Zuggewicht des gegnerischen Bogens auf weniger als fünfzig Pfund, die Hälfte dessen, was seine eigene Waffe erforderte. Er wählte seinen leichtesten Pfeil aus, um die größtmögliche Reichweite zu erzielen. Es war windstill, also konnte er weiter als dreihundert Schritt schießen. Er hatte die Sonne im Rücken, und er schoss den Pfeil hoch in die Luft, sah den Nomaden den Kopf zurücklegen, um dem Flug zu folgen. Der Pfeil ging nicht weit hinter ihm nieder. «Das musst du erst mal besser machen», sagte Wayland. Er machte noch zehn Schritte in Richtung seines Gegners und breitete erneut die Arme aus.

Wieder flog der Pfeil des Nomaden zu kurz. Wayland blieb an derselben Stelle stehen, und sein nächster Pfeil grub sich knapp vor den Füßen seines Gegenübers in die Erde. Der Junge rief seinem Begleiter zu, er solle den Wettstreit abbrechen, und deutete nach Westen, um ihn daran zu erinnern, dass bald Verstärkung da sein würde.

Doch der ältere Nomade winkte nur ab. Er blies die Backen auf und griff nach dem nächsten Pfeil, entschlossen, das tödliche Spiel bis zum Ende durchzuhalten.

Noch zweimal schossen sie, die Entfernung zwischen ihnen betrug nun unter zweihundert Schritt. Als der Nomade zum fünften Mal den Bogen spannte, schrie Syth:

«Sie kommen!»

Wayland sah kurz über die Schulter. Etwa zwei Meilen entfernt waren vier schwarze Umrisse zu erkennen. Sein Gegner schoss, und sein Pfeil zog beinahe einen Scheitel durch Waylands Haar.

Der Junge stieß einen Ruf aus und deutete auf die Reiter. Sein Gefährte – Bruder, Cousin – schaute zu der anrückenden Verstärkung hinüber, dann drehte er sich wieder um und breitete in Erwartung des letzten Pfeils die Arme aus. Wayland legte seinen schwersten Pfeil ein und schätzte Entfernung und Wind ab – gute hundertachtzig Schritt und ein Hauch von Seitenwind. Er lehnte sich leicht vor und wieder zurück, richtete seine Gedanken konzentriert auf das Ziel aus, lehnte sich von dem Bogen weg, bis er beinahe in Sitzhaltung war und die Pfeilnock bis zu seinem Ohr zurückgezogen hatte, während die Spitze des Pfeils zum Himmel zeigte. Er hielt den Pfeil einen Moment lang so, bevor er ihn abschoss. In dem Augenblick, in dem er ihn abschnellen ließ, wusste er, dass er niemals einen genauer gezielten Pfeilschuss abgegeben hatte. Er beobachtete, wie der Pfeil zum Himmel hinaufjagte und sich dann mit einer Kurve wieder senkte. Von der Sonne geblendet, spähte der Nomade aufwärts. Er sah den Pfeil nicht kommen. Und dann fiel er um wie mit der Axt erschlagen, die lebenswichtigen Organe von der Schulter bis zur Taille durchstochen. Sein Begleiter schrie auf und ritt zu ihm, und Wayland rannte näher, um noch einen tödlichen Pfeil loszuschicken. Wenn es ihm gelang, sich eines der Pferde zu greifen, konnten Syth und er es noch vor den Nomaden an den Fluss schaffen.

Der Junge erriet seine Absicht, schwenkte ab und zog das Pferd des Toten am Zügel hinter sich her. Wayland rannte zu Syth zurück, band ihr überlebendes Pferd los, stieg auf und zog Syth hinter sich hinauf. Die Verstärkung war nur noch eine gute Meile hinter ihnen, nahe genug, dass sie ihr wildes Geheul über die Steppe klingen hörten.

Wayland trieb das Pferd zum Galopp an, doch mit so viel Gewicht auf dem Rücken fiel das Tier bald in einen angestrengten Trab. Der junge Nomade hielt sich seitlich von ihnen, jedoch außerhalb der Schussweite. Er hatte ohnehin keine Hand frei, weil er die Zügel des zweiten Pferdes halten musste, und begnügte sich damit, Drohungen zu brüllen. Wayland vermutete, dass er ihm einen langsamen und grausamen Tod versprach, sobald seine Leute sie eingeholt hätten.

Und das würden sie. Sie gewannen zusehends an Boden. Wayland klopfte Syth auf den Oberschenkel. «Du nimmst das Pferd, und ich versuche sie aufzuhalten.»

Sie schlug ihm auf die Schulter. «Das kannst du nicht!»

Sie hatte recht. «Dann ergib dich», sagte er. «Sie werden dich nicht töten.»

«Ich soll dich verlassen?»

Wayland zog heftig an den Zügeln, um das Pferd zum Stehen zu bringen. «Ja. Steig ab. Heb die Hände, und sie lassen Gnade walten.»

«Niemals!» Sie schlug nach ihm. «Wenn du stirbst, dann sterben wir alle beide.»

Sie hatten keine Zeit mehr zum Streiten. Die Nomaden waren so nahe, dass Wayland die Hufschläge ihrer Pferde hören konnte. Er ritt auf einen Erhebung, und plötzlich hatte er den Fluss vor sich, aber auch einen weiteren Trupp Reiter.

«Noch mehr von ihnen!», rief Syth.

«Nein, das ist Vallon!»

Sieben Reiter preschten im kurzen Galopp nebeneinander auf sie zu. Wayland schrie und peitschte auf sein strauchelndes Pferd ein. Seine verzweifelte Anstrengung trieb die entgegenkommenden Reiter zu mehr Schnelligkeit an. Sie begannen zu galoppieren und waren von den Flüchtenden gleich weit entfernt wie die Nomaden, als sie über den Hügelkamm ritten. Vallon zog sein Schwert, und seine Truppe stürmte vor. Neun gegen fünf, einer davon noch ein sehr junges Bürschchen, das gerade gesehen hatte, wie zwei seiner Gefährten von einem fremden Bogenschützen besiegt worden waren. Die Nomaden zogen sich in sichere Entfernung zurück, und die Retter kamen bei Wayland und Syth an.

Vallon hielt sein Pferd an und schüttelte den Kopf. «Ihr zwei lasst es wirklich drauf ankommen. Die Falken zu verlieren ist schon schlimm genug, aber wenn wir euch auch noch verloren hätten …»

«Wir haben den Falken eingefangen!», rief Syth.

Wayland strich über den Weidenkorb. «Hier ist er.»

Vallon starrte sie an. «Das müsst ihr uns erzählen, sobald wir im Lager sind.» Er warf einen prüfenden Blick zu den Nomaden hinüber. «Stellen sie eine Gefahr dar?»

«Es sind gute Bogenschützen», sagte Wayland, «aber keine Soldaten. Sie haben keine Schwerter. Ich glaube, eigentlich sind sie Hirten.»

Vallon nickte. «Geordneter Rückzug», rief er. «Kein Vorstoß, solange sie nicht selbst angreifen.»

Die Nomaden beschatteten sie den gesamten Weg bis zum Lager. Die Sonne war untergegangen, der Himmel war in leuchtendes Kobaltblau getaucht und von diffusen Wolkenbändern durchzogen. Vallon ritt zwischen den verängstigten Russen hindurch, die zum Wachdienst bestellt worden waren, und hob den Zeigefinger. «Drogo.»

Der Normanne gab sich lässig, schlenderte langsam auf Vallon zu. Fulk neben ihm hatte die Hand am Schwertknauf.

Vallon sah vom Pferd auf ihn hinunter. «Wayland behauptet, du hast die Falken freigelassen.»

«Er ist ein Lügner. Ist dir das Wort eines Bauern mehr wert als meins?»

«In Waylands Fall, ja. Du hast geschworen, unser Vorhaben nicht zu gefährden.»

«Das habe ich auch nicht. Beweise mir das Gegenteil.»

«Du bist der Einzige, der ein Motiv dafür hat, die Falken freizulassen. Ohne sie können wir deinen Bruder nicht auslösen.» Er hob das Kinn. «Wayland, wiederhole deine Anklage. Und Drogo, ich werde nicht urteilen. Ich lasse eine Jury entscheiden.»

Drogo spuckte aus. «Männer, die sich aushalten lassen.»

Vallon beugte sich zu ihm hinunter. «Und was bist du?»

Drogo verzog den Mund und knurrte: «Wenn du so sicher bist, dass Waylands Anschuldigung richtig ist, warum beweist du sie dann nicht im Zweikampf?»

«Du hast die Falken wie ein Dieb in der Nacht freigelassen. Ich werde einen solchen Verrat nicht mit einem Gottesurteil adeln.»

«Weil du weißt, dass ich dich besiegen würde.»

Vallon sah Wayland an. «Wiederhole deine Anklage.»

Drogo ging auf Wayland zu. «Sei lieber vorsichtig, bevor du mit haltlosen Beschuldigungen um dich wirfst. Denk erst mal über deine eigenen Interessen nach, bevor du meinen schadest.»

Vallon hob die Hand. «Wayland, mach den Mund auf.»

Alle hatten sich um sie geschart, um die Untersuchung mitzuverfolgen. Wayland sah sich mit gehetztem Blick um. «Ich kann nicht sicher sein, dass es Drogo war.»

Vallon fuhr erstaunt herum. «Als du den Verlust entdeckt hast, hattest du noch keine Zweifel.»