«Nehmt den Falkner mit. Er kennt jeden Fußbreit dieses Landes.»
Vallon dachte über weitere praktische Fragen nach. «Pferde?»
«Für die kann ich sorgen, ohne Verdacht zu erregen. Davon abgesehen wird Euch Geschwindigkeit nicht retten. List und Glück sind Eure einzigen Waffen, aber was das Erfinden von Listen angeht, seid Ihr ja offensichtlich erfahren genug.»
Vallon war schon beim nächsten Gedanken. «Wir bräuchten Verpflegung. Wir könnten uns erst in ein paar Tagen in die Nähe eines Dorfes wagen.»
Margaret deutete auf den Korb. «Lebensmittel und Decken.» Dann griff sie in ihren Kleiderärmel und brachte eine Börse zum Vorschein. «Genügend Silber, um bis nach Norwich zu kommen.»
«Sollen dort die Besitzurkunden übergeben werden?»
«Der Geldverleiher dort heißt Aaron. Der König hat ihn nach England mitgebracht. Vorher war er in Rouen, das liegt nicht weit von meinen Ländereien entfernt. Meine Familie hat schon früher mit ihm Geschäfte gemacht. Ich habe Briefe für ihn vorbereitet. Diese Briefe werden vor Euch bei ihm eintreffen.»
Vallon beobachtete die Jagd. Der Hirsch wurde schwächer, und die Hundemeute schloss dichter zu ihm auf. Reiter sprengten aus mehreren Richtungen auf ihn zu.
«Richard wird Euch begleiten.»
«Nein! Mein Diener allein ist schon Belastung genug.»
«Richard ist nicht so dumm, wie er aussieht. Er hat mir geholfen, diesen Plan zu entwerfen. Er wird als mein Bevollmächtigter auftreten. Er wird die Urkunden übergeben und den Vertrag besiegeln. Übrigens wird seine Gegenwart für Eure Sicherheit sorgen. Wenn Ihr von einem normannischen Spähtrupp aufgebracht werdet, zeigt Richard ein Dokument vor, das verbürgt, dass Ihr in meinem Auftrag unterwegs seid.»
«Weiß der Graf Bescheid?»
«Er hat so seine Vermutungen. Macht Euch keine Sorgen, ich weiß, wie ich ihn besänftige.»
«Aber nicht Drogo.»
«Er wird es nicht wagen, mir im Haus seines Vaters etwas anzutun.»
Der Hirsch hetzte in den Innenhof des Römerkastells. Verwirrt von all den Wällen und Gräben, lief er ziellos hin und her. Dann erklomm er einen halb eingestürzten Abschnitt des Walls, sah, dass es auf der anderen Seite senkrecht hinabging, und galoppierte auf dem Wall entlang, bis er nicht mehr weiterkam. In die Enge getrieben, drehte er sich zu seinen Angreifern um und senkte das Geweih. Die Reiter ganz vorne hoben ihre Jagdhörner, bliesen zum Sammeln und signalisierten so, dass der Hirsch gestellt worden war. Drogo galoppierte zu dem Tier und sprang vom Pferd. Die Hundemeute kreiste den Hirsch ein.
«Wenn Ihr Walter kennen würdet, würdet Ihr mir meinen Wunsch mit Freuden erfüllen», sagte Margaret. «Ich weiß, dass er Euch angelogen hat … ich meine, ich weiß, dass er gelogen hat … aber Ihr müsst seine Gründe in Betracht ziehen. Er besitzt Liebenswürdigkeit und Anmut. Sogar der Graf zieht ihn seinem natürlichen Sohn vor.»
Einer der Jäger sprang hinter den Hirsch, um ihm die Beinsehnen durchzuschneiden. Drogo rückte mit gezogenem Schwert durch die tobende Hundemeute vor. Vallon sah den Hirsch schwanken und fallen. Die Jäger bliesen das ‹Hirsch tot›, und die Tonfolge wurde im ganzen Tal von den Jagdhörnern aufgenommen.
Margaret ließ die Geldbörse vor Vallons Gesicht baumeln. Vallon schob sie weg.
«Ich teile Euch meine Entscheidung heute Abend mit.»
Unter einem blutroten Himmel kehrten die Jäger zurück. Der Priester musste sich den Karren jetzt mit dem getöteten Hirsch und einem Eber teilen, den die Jagdgesellschaft am Nachmittag erlegt hatte. Im Palas schichteten die Diener so viel Holz aufs Feuer, dass die Flammen das Dach bedrohten. Die Männer waren schon betrunken, als einige Knechte den Hirsch erst hereintrugen und ihn an einem Drehspieß übers Feuer hängten.
Hero nutzte den günstigen Moment, um Olbec die Mixtur zu geben. «Tragt es kurz bevor Ihr Euch zurückzieht auf. Ihr habt gesagt, dass Eure Frau schwanger werden will. Welche Stellung nehmt Ihr üblicherweise ein?»
«Oben. Wie machen es die Araber?»
«Sie haben viele Stellungen», sagte Hero und verließ sich auf Informationen, die er seinen Schwestern abgelauscht hatte. «Eine davon wird besonders für Paare empfohlen, die Kinder haben möchten … Nein, es ist respektlos, über Fleischeslust zu sprechen, wenn Eure Dame nur ein paar Schritte entfernt sitzt.»
Olbec packte Hero am Ärmel. «Nein, sprich weiter.»
«Von hinten, die Dame auf den Knien, den Kopf zwischen ihren Armen.»
«Wie ein Bock, was? Da kocht mir schon beim bloßen Gedanken das Blut hoch.»
Als das Wildbret nach zeremoniellen Regeln zerlegt und verspeist worden war, erhob sich Olbec und erklärte, der Jagdausflug habe seine Frau ermüdet. Er wolle sich nun mit ihr zurückziehen, die anderen aber sollten den Abend genießen. In zwei Tagen, so fuhr er fort, würde die Fastenzeit beginnen, also sollte jeder noch einmal essen, trinken und fröhlich sein. Alle standen auf und stießen mit ihren Bechern an. Olbec winkte Hero zu sich und ließ ein dickes Ries Manuskriptseiten auf den Tisch fallen. «Hier, das dürfte genügen. Ich habe sie vom Priester.»
«Habt Ihr die Arznei angewendet?»
«Die ganze Flasche. Ich spüre schon die Wirkung.»
«Ich habe sie besonders stark gemacht. Ich hoffe, sie hat nicht zu sehr gebrannt.»
Olbec rülpste. «Doch, beim Schlucken schon.»
«Beim Schlucken?»
Der alte Ziegenbock zwinkerte Hero zu. «Ich wollte kein Risiko eingehen. Also hab ich’s lieber getrunken.»
Hero blätterte durch das Manuskript. Es waren wundervolle Seiten, jede mit Gold und Miniaturzeichnungen illuminiert. Er verzog das Gesicht. «Ich kann doch die Heilige Schrift nicht abkratzen.»
Olbec schlug auf den Manuskriptstapel. «Daran ist nichts heilig. Das sind nur wertlose englische Chroniken und ein paar Reime und Rätsel. Ich habe mir von einem Schreiber in Durham welche übersetzen lassen. Eins, an das ich mich noch erinnere, geht so:
Ich bin ein seltsames Wesen, denn ich befriedige die Frauen, erweise den Nachbarn einen Dienst! Keiner leidet unter meinen Händen, außer meinem Schlachter.
Ich werde sehr groß, richte mich im Bett auf, und untenherum bin ich behaart. Von Zeit zu Zeit
wagt es ein schönes Mädchen, eine brave Bauerntochter, Hand an mich zu legen.
Sie packt meine rötliche Haut, macht mich ganz kopflos und bringt mich in die Speisekammer. Unvermittelt denkt dieses Mädchen mit den Zöpfen, das mich eingesperrt hat, an unser Zusammentreffen. Und seine Augen werden feucht.
Olbec zwinkerte. «Nun, wie lautet die Antwort?»
Hero errötete.
Olbec zwickte ihn in die Wange. «Du hast schmutzige Gedanken, junger Mönch.» Mit beschwingtem Schritt ging er zur Tür, wo seine Frau mit einem starren Lächeln auf ihn wartete. «Es ist eine Zwiebel», rief er über die Schulter zurück. Hero versuchte, Richard unter den Zechern auszumachen. Er schämte sich über seinen Ausbruch wegen der verschütteten Tinte. Außerdem behielt er die Tür im Blick, denn er rechnete halb damit, dass der Graf wild vor Zorn hereinstürmen würde, weil das Mittel nicht gegen seine Impotenz geholfen hatte. Die Schlemmerei war beendet, und nun spielten die Soldaten ein Trinkspiel, bei dem sie sich die Gesichter mit Ruß anmalen und auf Bänke steigen mussten, die auf Tische gehoben worden waren, wo sie dann obszöne Liedchen sangen, die Drogo mit seinem Schwert dirigierte. In einem anderen Bereich des Palas maß sich Raul mit zwei Normannen zugleich im Armdrücken, während ihm ein dritter Soldat Honigwein in den Mund goss, den er mit zurückgelegtem Kopf gierig schluckte. Dann brach ein Tisch zusammen, und ein paar Männer fingen eine Prügelei an. Hero wusste nicht mehr, wie viele Becher Ale er schon getrunken hatte. Als er sich erneut nachschenken lassen wollte, legte sich eine Hand über den Becher.