Wayland richtete sich auf, zog den Pfeil zurück, zielte und ließ ihn abschnellen. Der Pfeil rutschte im Schulterbereich an Drogos Kettenhemd ab. Sein Pferd bäumte sich auf, und augenblicklich griffen die anderen Reiter nach ihren Waffen.
Wayland kroch durch das Heidekraut davon. Schlecht gezielte Armbrustbolzen zischten über seinen Kopf hinweg. Als er außer Reichweite war, stand er auf. Drogo hielt sich die Schulter, obwohl der Pfeil das Kettenhemd nicht durchbohrt hatte. Die Reiter waren in Kampfstellung Schild an Schild zusammengerückt. Wayland schwenkte seinen Bogen. Dann warf er seinen Kopf zurück und breitete die Arme in einer stummen Siegesgeste aus.
Bald darauf saß er im schräg einfallenden Sonnenlicht des Nachmittags am Waldrand und beobachtete seine Verfolger, die sich weit unterhalb von ihm einen Weg über den South Tyne suchten. Der Jagdmeister hatte den lahmenden Marteau quer vor sich über den Rücken seines Pferdes gelegt, und die anderen Jagdhunde spürten lautlos dem Weg nach. Als alle sieben Reiter den Fluss überquert hatten, erhob sich Wayland und massierte sich die schmerzenden Waden. Seit der Morgendämmerung hatte er über zwanzig Meilen zurückgelegt. Dann hängte er sich den Bogen über die Schulter und verschwand in den Wald, mitten hinein in die Kindheitsgerüche von Veilchen und Waldanemonen. Der Hund erinnerte sich an den Wald und heftete sich mit gesenktem Schwanz dicht an Waylands Fersen. Wayland betrat die heimatliche Lichtung mit dem schleppenden Schritt eines Trauernden. Eschen und Haselsträucher hatten die Gemüsebeete erobert, und die Stelle, an der das Haus gestanden hatte, war ein einziges Nesselgestrüpp.
Hinter dem Haus war der Kuhstall zu einem Balkenhaufen zusammengestürzt, den Efeu und Brombeergestrüpp überwucherten. Wayland zwängte sich dazwischen. Das Dickicht würde kein angreifendes Pferd aufhalten können, doch das Unkraut wuchs dicht genug, um ihn zu verbergen. Er war an mehreren Stellen vorbeigekommen, an denen er die Normannen ohne große Gefahr für sich selbst in einen Hinterhalt hätte locken können. Aber er wollte sie wissen lassen, warum er sie hierhergeführt hatte. Roussel und Drax waren bei dem Trupp gewesen, der seine Familie ums Leben gebracht hatte. Wayland wollte, dass sie diesen Ort wiedererkannten, bevor er sie tötete.
Während er wartete, zog er seinem Hund Kletten zwischen den Krallen heraus. Dann nahm er sechs Eschenpfeile aus seinem Köcher und legte sie bereit. Hinter den Bäumen versank die Sonne. Bläuliche Dämmerung brach an, Raben krächzten in ihren Nestern. Alles war friedlich.
Dann schrie im Wald ein Häher, und die Raben flogen von ihren Nestern auf. Am anderen Ende der Lichtung schimpfte ein Zaunkönig. Wayland hörte das heisere Hecheln der Jagdhunde und zog sein Messer. Dann schwankte das Gebüsch, und Ostine stand vor ihm. Sie verharrte auf der Stelle und warf den Kopf zurück, doch bevor sie Laut geben konnte, stürzte sich der Hund auf sie und warf sie um. Die anderen Jagdhunde brachen aus der Deckung hervor. Als sie seinen Hund wahrnahmen, winselten sie und duckten sich unterwürfig. Wayland kauerte sich vor sie und zog ihnen die Maulkörbe über die Schnauzen. Er sah ihnen in die Augen und lächelte. Ein Geräusch, und ich schneide euch die Kehle durch. Die Hunde legten sich hin und begannen sich die schmerzenden Glieder zu lecken.
Gleich darauf tauchten zwei Reiter aus dem Wald auf. Sie hielten an und musterten die Lichtung. Dann gab einer von ihnen ein Zeichen, und die andern fünf kamen nach. Alle trugen Kettenhemden und Helme. Zwei von ihnen hatten ihre Armbrust schussbereit gemacht. Waylands Mund wurde trocken. Er wischte sich die Hände ab und hob seinen Bogen.
Der dichte Wald rund um die Lichtung machte die Soldaten unruhig. Sie rückten Steigbügel an Steigbügel vor und spähten über ihre Schilde. Wayland spannte seinen Bogen und zielte auf Roussels Brust. Das ist nah genug. Sie kamen näher. Erst zwanzig Schritt vor ihm blieben sie stehen. Mückenschwärme umtanzten sie. Die Pferde warfen die Köpfe hoch, ihre Flanken zitterten.
Roussel fuhr sich mit dem Unterarm über die Wange. «Ich werde bei lebendigem Leib aufgefressen.»
Drax ließ seinen Blick immer wieder von einer Seite der Lichtung zur anderen wandern. Wayland beobachtete seinen Gesichtsausdruck. Schieß in dem Moment, in dem ihm klar wird, wo er ist. Schieß und dann lauf.
«Roussel.»
«Was?», fragte Roussel und kratzte sich mit dem Rand seines Schildes am Handgelenk.
«Ich kenne diese Lichtung. Wir beide kennen sie.»
Roussel hörte auf, sich zu kratzen.
«Erinnerst du dich nicht? Da drüben stand ein Cottage. Die Beete kann man immer noch erkennen.»
Roussel packte die Zügel fester. «Gott, du hast recht.»
«Das muss Zufall sein. Wir haben keinen am Leben gelassen.»
«Sei dir da nicht zu sicher. Walter hat den Falkner nicht weit von hier eingefangen. Er muss in diesen Wäldern aufgewachsen sein.» Roussel sah sich auf der Lichtung um. «Willst du wissen, was ich denke?»
«Was?»
«Er hätte uns jederzeit entkommen können. Wir jagen ihn nicht; er jagt uns.»
Drax lachte unruhig auf. «Einer gegen sieben. Glaubst du das im Ernst?»
«So günstig sieht es für uns vielleicht gar nicht aus. Der Franke muss Richtung Süden geflohen sein. Und den Falkner haben wir in einem Kreis verfolgt. Er könnte uns in einen Hinterhalt locken.»
«Worauf willst du hinaus?»
«Ich sage, wir verschwinden von hier.»
«Dafür nagelt uns Drogo ans Kreuz.»
«Wir erzählen ihm, wir hätten den Falkner bis zum Dunkelwerden verfolgt und seien in einem Wald gelandet, in dem es weder Unterschlupf noch etwas zu essen gab. Was hätten wir denn tun sollen?» Roussel drehte sich zu dem Jagdmeister um. «Ruf die Hunde zurück.»
Wayland spürte Erleichterung in sich aufkeimen. Nur ein paar Schritte von sieben bewaffneten Reitern entfernt, hatte er gespürt, wie seine Entschlossenheit schwand. Im besten Fall hätte er einen einzigen Pfeil abschießen können. Und er war nicht mehr sicher gewesen, dass dieser Pfeil sein Ziel auch getroffen hätte, denn so lange mit dem gespannten, schweren Bogen dazustehen, brachte seine Muskeln zum Zittern. Er senkte den Bogen und atmete tief durch.
Wenn nur der Jagdmeister sein Horn benutzt hätte. Stattdessen nahm er die Knochenpfeife, die er an einer Schnur um den Hals trug, und blies einen leisen, hohen Ton, der für ein menschliches Ohr kaum vernehmbar war. Einer der Jagdhunde winselte.
Roussel hob sein Schwert. «Genau vor uns!»
Wayland spannte den Bogen und schoss. Der Pfeil fuhr am Handgelenk in den Ärmel von Roussels Kettenhemd und bohrte sich weiter durch seinen Helm, den Schädelknochen, und bis tief ins Gehirn. Wayland sah, wie sich Roussels Körper nach hinten bog, die Hand an die Stirn geschlagen, so als sei er über irgendetwas höchst empört.
«Angriff!»
Wayland drehte sich um und rannte los, kämpfte sich zwischen den Balken und dem Dornengestrüpp hindurch. Er hatte damit gerechnet, dass die Normannen durcheinandersprengen würden, doch er hatte ihre Disziplin genauso unterschätzt wie ihr Vertrauen auf ihre Rüstungen und Pferde.
«Dort ist er!»
Er war bereits im Wald und rannte auf die Schlucht zu, als er seinen zweiten Fehler erkannte. In den Jahren seit er nicht mehr in dieser Wildnis lebte, hatte Dickicht die vertrauten Pfade überwuchert. Zweige peitschten gegen seinen Körper, und Gestrüpp behinderte ihn. Während er kämpfte, um Vorsprung zu gewinnen, konnten die Pferde das Unterholz einfach niedertrampeln. Schließlich waren sie so aufgerückt, dass ihm keine Zeit blieb, einen Pfeil einzulegen.