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«Ich habe gesagt, dass es Richard miserabel geht.»

«Das ist nur ein Sturm», rief Vallon. «Der ist bald vorbeigezogen.»

«Er hält nicht mehr lange durch. Kommt, seht ihn Euch selbst an.»

Richard sah aus, als hätte er einen Schlag mit der Streitaxt abbekommen. Seine Augen waren nach oben verdreht, und sein Gesicht war fahl wie das eines Toten. Er faselte mit schleppender Stimme Unsinn und schlug um sich, als Vallon ihn am Arm nehmen wollte.

«Raul, Wayland, stützt ihn.»

Der Sturm trieb sie vor sich her, sie stolperten unter den heftigen Windstößen, ihre Umhänge flatterten ihnen um die Beine. Schließlich kamen sie an eine Schafshürde, ließen sich auf der windabgewandten Seite zu Boden fallen, nahmen Richard in die Mitte und steckten sich die Hände in die Achselhöhlen, um ihre Finger aufzuwärmen. Der Sturm raste mit unbarmherziger Gewalt rechts und links an ihnen vorbei.

Irgendwann ließ der Wind nach, und es hörte auf zu schneien. Die Flüchtlinge schauten sich an: Sie sahen mit ihren weißen Haaren und Augenbrauen aus wie alte Männer. Dann hob sich die Dunkelheit, und eine bleiche Sonnenscheibe strahlte durch dahinjagende Wolken. In dem milchigen Licht sah Vallon, dass sie von dem Sturm auf die östliche Seite des Felsmassivs getrieben worden waren. Unterhalb von ihnen fiel es steil in ein Tal ab.

«Kennst du diese Gegend?», fragte er Wayland.

Der Falkner drehte sich einmal um sich selbst und schüttelte dann den Kopf.

Hero rieb Richard die Hände. «Er kann die Nacht nicht hier oben verbringen. Unsere Decken sind tropfnass.»

«Ich wusste, dass er das schwächste Glied in der Kette ist», sagte Vallon. «Aber ich habe nicht geglaubt, dass er so schnell zusammenbrechen würde.»

Die letzten schwarzen Wolkenfetzen trieben nach Osten, der Wind legte sich, und Sonnenlicht überströmte die Hügel. Vor ihren Augen begann der Schnee zu schmelzen, nur im Schatten blieb eine zarte Eisschicht zurück. Weit unten im Tal entdeckte Vallon ein einzelnes Bauerngehöft in einem hellgrünen Dreieck aus bebautem Land. Er beschattete die Augen mit der Hand und betrachtete das Gebäude aufmerksam.

«Ich sehe jemanden auf dem Feld arbeiten.»

Wayland hob zwei Finger.

«Zwei Männer und im Umkreis auf Meilen kein anderes Wohnhaus. Wir riskieren es.»

Sie folgten einem rauschenden Flussbett und hielten sich außer Sicht des Hauses. Als sie schon recht nahe herangekommen waren, kletterte Vallon die Uferböschung hinauf und spähte über den Rand. Das Bauerngehöft war ein fensterloses Cottage aus unverputztem Basaltstein. Die Fugen waren mit Torf verschmiert und das Dach mit Besenheide gedeckt, die im Lauf der Zeit beinahe schwarz nachgedunkelt war. Rauch stieg aus dem Abzugsloch in der Mitte des Daches. Neben dem Cottage stand ein Kuhstall. Unterhalb des Hauses bearbeitete ein Mann mit dem Ochsenpflug ein karges Feld. Daneben flickte ein anderer Mann eine Steinmauer. In seiner Nähe stand ein Pferd, dessen Vorderbeine zusammengebunden waren, um es am Davonlaufen zu hindern. Um das Gehöft scharrten magere Hühner im Sand.

«Wartet hier», sagte Vallon.

Er erhob sich und begann auf das Haus zuzugehen. Er war noch nicht weit gekommen, als an einer Biegung des Wasserlaufs ein kleines Mädchen auftauchte, das zwei ausgemergelte Kühe vor sich hertrieb. Das Kind schrie auf und flüchtete, die Kühe auf die knochigen Rücken schlagend, stromab. Die Hühner flohen gackernd auf den Dachfirst, die Männer hasteten zum Haus.

Vallon gab den anderen ein Zeichen, dass sie hervorkommen sollten. Mit Schwertern bewaffnet stürzten die Bauern wieder aus dem Haus. Vallon ließ sein eigenes Schwert stecken und ging ihnen so weit entgegen, dass sie die Waffen hoben. Es waren sehr junge Männer, vermutlich Zwillinge. Vallon deutete hinter sich auf die Flüchtlinge, dann bettete er den Kopf seitlich auf seine Hände, um zu zeigen, dass sie schlafen wollten. Die jungen Männer versuchten Vallon mit abwehrenden Gesten zum Gehen zu veranlassen. Als er sich nicht rührte, sahen sie einander an, um sich Mut zu machen, und kamen mit erhobenen Schwertern auf ihn zu. Vallon blieb stehen, wo er war. Auf der Handfläche streckte er ihnen einen Silberpenny entgegen.

Die beiden sahen sich stirnrunzelnd an. Einer von ihnen schüttelte den Kopf, aber der andere sagte etwas und beugte sich vor, um die Münze zu nehmen. Dann traten sie einen Schritt zurück. An den ehrfürchtigen Mienen, mit denen sie die Münze hin- und herreichten, erkannte Vallon, dass Geld in ihrer Hauswirtschaft eine Seltenheit war.

Schließlich winkten sie Vallon heran und nahmen ihn zwischen sich. Er bedeutete den anderen zu warten. Die Jünglinge gingen mit ihm zum Haus.

Er duckte sich durch den niedrigen Eingang in einen düsteren Raum, der nur von einem schwachen Torffeuer erhellt wurde. Eine Frau drückte sich mit vor der Brust gekreuzten Armen ängstlich in eine Ecke. In die Wände waren vier Schlafbänke gemauert, die an Grabnischen erinnerten. Ein schiefergrauer Tisch mit Baumstümpfen als Hockern vervollständigte die Einrichtung.

Die Männer begannen Fragen zu stellen. Das einzige Wort, das Vallon verstand, war ‹Normannen›.

«Keine Normannen», sagte er. «Normannen …» Er fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Kehle.

Dann ging er hinaus und winkte die anderen heran. Sie legten Richard in eine der Schlafnischen und deckten ihn zu. Dann hängten sie ihre durchnässten Decken an den rauchgeschwärzten Balken über dem Feuer, scharten sich um die spärlichen Flammen und streckten ihre Hände der Wärme entgegen. Das kleine Mädchen kam herein und beobachtete die Fremden mit stummer Faszination. Vallon gab der Frau das, was von ihrer Verpflegung noch übrig war – ein paar Bohnen und feuchtes Mehl, einen Rehschenkel, einen halben Topf Honig und einen Klumpen Salz. Sie verstaute die Lebensmittel, als wären sie ein wertvoller Schatz.

Ulf und Hakon, so hießen ihre Söhne, waren Abkömmlinge von Wikingern, die aus Irland eingedrungen waren. Sie hatten noch dieselben Schwerter, mit denen ihre Vorfahren an Land gewatet waren, doch nun waren die Klingen stumpfer als ihre Pflugscharen, mit denen sie sich ihr kärgliches Überleben sicherten. Ulf erklärte ihnen, dass die Normannen nur selten so weit in den Westen kämen. Den letzten Normannen hatten sie zwei Jahre zuvor gesehen, als König William nach der Verwüstung Northumbriens seine Armee durch die Pennines geführt hatte. Die nächstgelegenen Festungen befanden sich in York und Durham, mehr als einen Tagesritt östlich.

Der Torfrauch in dem Raum wurde immer dichter. Vallon ging hinaus, setzte sich auf einen Felsen und betrachtete die Hügel, die unter dem goldfarbenen Himmel in samtener Schwärze versanken. Bald kam Hero nach und setzte sich neben ihn.

«Richard sagt, Ihr wollt eine Expedition nach Norwegen führen.»

«Ich erläutere meine Pläne morgen beim Essen, wenn wir uns ausgeruht haben.» Vallon sah, wie Hero sich auf die Unterlippe biss, und bemühte sich um einen leichten Ton . «Erzähl mir, was du über unsere Reisegefährten denkst.»

«Richard ist intelligenter, als ich dachte. Er besitzt eine überraschend schnelle Auffassungsgabe.»

Vallon nickte. «Und Entschlusskraft hat er auch. Er hat mir erklärt, sein Glück lieber mit uns versuchen zu wollen, als zur Burg zurückzukehren. Was ist mit dem Falkner?»

Hero wurde lebhafter. «Der ist ein höchst ungewöhnliches Geschöpf. Dieser herausfordernde Blick, mit dem er Euch ansieht – wie ein Habicht.»

«Er könnte ein bisschen mehr Benimm vertragen. Ich habe noch keinen dreisteren Bauern getroffen.»

«Vielleicht ist er von höherer Geburt. Nach einem Bad und besser gekleidet würde er in jeder Gesellschaft eine gute Figur abgeben. Aber halt – er kann lesen, ich habe ihn einmal dabei beobachtet. Und das ist mehr, als sich von jedem anderen Bewohner der Burg sagen lässt. Wenn er doch nur sprechen könnte, dann hätte er sicher eine bemerkenswerte Geschichte zu erzählen.»

«Er braucht die Sprache nicht, solange er dich hat, um ihm ein geheimnisvolles Leben anzudichten.»