Ash kratzte sich am Knie. «Und was haben sie bei sich?»
«Ich verspreche dir nicht das Blaue vom Himmel herunter. Ehrlich gesagt, sehen sie aus, als hätten sie die letzte Woche auf einem Misthaufen geschlafen, aber – und du würdest dir selbst in den Hintern beißen, wenn du dir diese Gelegenheit durch die Lappen gehen lässt – der Franzmann hat ein Schwert mit juwelenbesetztem Griff, das sein Gewicht in Silber wert sein muss. Außerdem trägt er einen wertvollen Ring und hat für das Essen mit Münzen bezahlt.»
Ash spielte mit seiner Halskette. «Wenn sie Geld haben, warum haben sie dann im Freien übernachtet?»
Der Köhler ging in die Hocke. «Das habe ich mich auch gefragt. Was, wenn sie auf der Flucht sind? Womöglich ist eine Belohnung auf sie ausgesetzt.»
Darauf schwieg Ash. Niemand störte ihn beim Nachdenken. Schließlich schniefte er, wischte sich mit der Hand unter der Nase entlang, griff nach seinem Schwert und legte es sich über die Beine.
«Wann können wir mit ihnen rechnen?»
«Sie müssten jetzt gerade aus dem Gasthaus kommen. Ich habe deinem Onkel gesagt, dass er sie bewirten soll, bis ich genügend Vorsprung habe.»
«Vielleicht übernachten sie im Wald. Da wird es nicht einfach, sie zu finden.»
«Edric folgt ihnen. Wenn sie draußen schlafen, umso besser. Dann können wir uns gleich beim Hellwerden auf sie stürzen.»
Ashs Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. «Edric ist ein guter Junge.»
«Er ist der Sohn seines Vaters.»
Wayland wurde klar, dass sie über den Jungen redeten, den Raul einhändig über seinen Kopf gehoben hatte.
Ash stand auf, ging zur anderen Seite des Raumes und nahm von einem Wandhaken eine rostige Kettenweste, die aus einem normannischen Kettenhemd geschnitten worden war. Er zog sie sich über den Kopf und drehte sich um. Seine Miene war ausdruckslos, die Augen schimmerten so kalt wie Münzen. Wayland schluckte. Das Amulett um Ashs Hals bestand aus aufgefädelten, verdorrten Menschenohren.
Ash schien ihn direkt anzusehen, ging auf das Fenster zu und streckte die Hände nach dem Fensterladen aus. Wayland warf sich zur Seite und drückte sich mit dem Rücken an die Hauswand. Er zog sein Messer.
«Zunehmender Mond», sagte Ash nur wenige Handbreit neben Waylands Ohr. «Tragt eure Umhänge und Kapuzen. Verhüllt die Klingen.» Damit zog er den Fensterladen wieder zu.
Mit rasendem Herzschlag spähte Wayland erneut durch den Spalt und sah die Raubgesellen Schwerter, Bögen, Hippen, Speere und eine Axt zusammenraffen. Dann zogen sie sich formlose Kapuzen über die Köpfe und hüllten sich in Umhänge, auf die Zweige und Blätter genäht waren. In dem spärlichen Licht sahen sie aus wie die Mitglieder einer teuflischen Sekte.
«Wir warten an der Koboldeiche auf sie», sagte Ash. «Leofric, du und Siward geht den Weg bis zur nächsten Biegung zurück. Lasst sie vorbei, damit ihr ihnen in den Rücken fallen könnt. Haltet euch zwischen den Bäumen in Deckung.»
«Was ist mit Edric?»
«Den nehmt ihr mit. Der Junge kann zusehen. Wird eine gute Lektion für ihn sein.»
«Vielleicht können sie ja ihre Kunststücke vorführen, bevor wir sie umbringen. Das würde Edric gefallen.»
Ash atmete hörbar durch die Nase aus. Der Mann, der den Vorschlag gemacht hatte, wandte den Blick ab. «Verzeihung, Meister Ash.»
«Lasst einen am Leben, damit wir ihn ausfragen können. Alle anderen tötet ihr. Sorgt dafür, dass der Franzmann beim ersten Angriff stirbt. Gebt ihm keine Gelegenheit, sein Schwert zu benutzen. Anschließend verstecken wir die Leichen ein gutes Stück abseits der Straße. Die Schweine werden sich morgen um sie kümmern.»
Jemand lachte. «Deine Schweine haben besseren Fraß als wir.»
Bevor Wayland diese schrecklichen Bilder losgeworden war, kamen die Gesetzlosen an die Tür. Wayland hastete zum Rand der Lichtung und warf sich hinter einen Baum. Neun verhüllte Schatten kamen aus der Hütte. Wie Nebel stieg Atemluft aus den Schlitzen in ihren Kapuzen auf. Wayland hätte sie anspucken können, so dicht gingen sie an ihm vorbei.
Die Schweine in der Koppel quiekten erregt. Sie wussten, was der Abmarsch der Gesetzlosen ankündigte. Es war, als hätte eine Fressglocke geläutet.
Waylands erster Gedanke war, so schnell wie möglich Vallon zu warnen. Aber was, wenn die Flüchtlinge von der Straße abgebogen waren und der Junge schon auf dem Weg zu Ash war? Selbst mit der Hilfe des Hundes konnte es die ganze Nacht dauern, bis er das Lager der Flüchtlinge fände. Er überlegte, ob er die Hütte anstecken sollte, aber die Gesetzlosen wären bestimmt schon eine Meile entfernt, bis das Feuer hochloderte, und würden den Brand hinter sich wahrscheinlich nicht bemerken.
Er konnte nicht länger warten. Die Gesetzlosen waren schon beinahe außer Sicht. Wayland wollte sich gerade daranmachen, ihnen zu folgen, als ihm ein neuer Gedanke kam. Er rannte zurück zu der Hütte, öffnete mit einem Fußtritt die Tür auf und polterte hinein. An der Wand hingen eine Kapuze und ein Umhang, mit denen sich die Gesetzlosen tarnten. Er hüllte sich in den Umhang und zog die Maske übers Gesicht.
Als er das Raubgesindel einholte, hatten die Männer eine langgezogene Kette gebildet. Wayland sah zum Himmel hinauf. Der Mond stand klein und fern über den Bäumen. Vallon musste inzwischen irgendwo ein Lager aufgeschlagen haben. Wayland beschloss, die Männer bis zu der Eiche zu beschatten und dann dem Köhler und seinem Gefährten den Weg hinunter zu folgen. Wenn er die beiden erledigt hätte, würde er dem Jungen auflauern. Er würde eine Stelle suchen, die weit genug von der Eiche entfernt war, sodass die Flüchtlinge rechtzeitig gewarnt wären, falls sie noch auf der Straße unterwegs waren.
Etwa auf der halben Strecke zu der Eiche hielten die Gesetzlosen an, scharten sich dicht zusammen, und besprachen sich flüsternd. Dann lösten sich zwei Schatten aus der Gruppe und verschwanden zwischen den Bäumen zur Rechten des Pfades. Als Wayland klar wurde, dass Leofric und Sidward eine Abkürzung nahmen, begann er zu zögern. Wenn er ihnen folgte, würde er vielleicht den Jungen verpassen. Doch wenn er bei der Hauptgruppe blieb und die Flüchtlinge immer noch auf der Straße waren, hätte er keine Gelegenheit, sie zu warnen, bevor Leofric und der andere auf den Jungen trafen.
Wayland beschloss, den Spähern zu folgen.
Die beiden bewegten sich auf ihrem vertrautem Terrain schnell und sicher. Wie Schemen huschten sie über mondbeschienene Stellen und durch tiefe Schatten. Wayland trabte möglichst lautlos hinter ihnen her. Dann trieben Wolken vor den Mond. Dunkelheit kroch über den Waldboden und verschluckte die beiden vollends. Um nicht blindlings mit ihnen zusammenzustoßen, verlangsamte Wayland seinen Schritt. Doch er spürte, dass sich die Gauner weiter von ihm entfernten.
Hierher.
Der Hund drehte sich um, und Wayland legte ihm die Hand auf den Nacken.
Gemeinsam rannten sie weiter, Wayland verließ sich vollkommen auf die Nase des Hundes.
Unvermittelt duckte sich der Hund auf den Boden und richtete seinen Blick auf Wayland, der daran ablas, dass die Gesetzlosen angehalten hatten und ganz in der Nähe waren. Der Mond blitzte durch Wolkenlücken. Wayland erkannte den Weg zu seiner Linken. Vor ihm lag eine Waldwiese, die stellenweise mit Gebüsch bewachsen war. Ein Schatten teilte sich in zwei. Eine Gestalt bewegte sich auf den Weg zu, überprüfte, dass niemand in der Nähe war, und hastete zwischen die Bäume auf der anderen Seite.
Es wäre einfacher, es einzeln mit den beiden aufzunehmen, aber wie? Auch wenn er sie ohne Blutvergießen entwaffnen konnte, würde es zu lange dauern. Der Junge konnte schon vorbeigekommen sein und den Treffpunkt erreicht haben. Wayland musste so schnell wie möglich zurück.
Er klopfte dem Hund auf die Schulter. Töte ihn.
Das Tier erhob sich, lief ein paar Schritte, und wandte den Blick zurück.