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Seine Versprechungen trafen auf unbehagliches Schweigen. Jeder wusste, dass Norwich eine der stärksten Normannenfestungen in England war. Dreihundert Soldaten bemannten die Burg, und sie waren äußerst wachsam. Kaum ein Jahr zuvor hatte die Garnison die Einnahme der nur einen Tagesritt entfernten Isle of Ely unterstützt, wo die Engländer bis zuletzt gegen die Normannen Widerstand geleistet hatten. Der Anführer des Widerstandes, Hereward, war aus der Umzingelung entkommen und weiterhin auf freiem Fuß. Gerüchte besagten, dass er neue Widerstandsgruppen aufbaute.

Richard und Wayland machten sich beim ersten Hahnenschrei auf den Weg nach Norwich. Vallon und Raul folgten ihnen um die Mittagszeit. Sie ritten unter einem weiten blauen Himmel über die Ebene. Vallon hatte sein Haar kurz gestutzt, wie es die Normannen trugen, und war in unauffälliges Grau gehüllt. Schon Meilen vor Norwich sahen sie die Burg, die als höchster Punkt die Silhouette der Stadt dominierte.

Sie hielten an einer Viehtränke ein gutes Stück vor dem Westtor der Stadt und mischten sich unter die anderen Reisenden, die ihre Tiere zum Wasser führten. Eine Holzpalisade umgab die Stadt, und Wachtürme ragten über den Toren auf. Die Sperrstunde rückte näher, und auf der Straße herrschte lebhaftes Treiben.

«Keine Spur von Wayland», sagte Vallon. «Hoffen wir, dass ihn die Normannen nicht festgenommen haben.»

Raul spuckte aus. «Da könnten sie schon leichter den Wind einfangen.»

Vallon führte sein Maultier zurück zur Straße. Sie reihten sich in den Strom der Reisenden ein. Der wachhabende Unteroffizier, ein hartgesottener Veteran, sah ihnen entgegen.

«Der macht Ärger», sagte Raul.

Der Unteroffizier hob einen Finger. «Ihr zwei da. An den Rand der Straße. Absteigen.»

Vallon blieb auf dem Maultier sitzen. Der Unteroffizier kam mit energischen Schritten auf ihn zu. «Hast du nicht gehört?»

«Sogar sehr gut», sagte Vallon kühl. «Und ich hätte nicht übel Lust, dir für deine Anmaßung eins überzuziehen. Ich bin Ralph von Dijon, Pioniereinheit, und im Auftrag des Königs unterwegs. Worum es geht, hat dich nicht zu interessieren.»

«Papiere.»

Nachdem er das Siegel in Augenschein genommen hatte, gab der Unteroffizier die Dokumente zurück. Er rief einen Soldaten heran, der vor dem Torturm ein Pferd striegelte. «He, Fitz, du begleitest diese beiden hier zur Burg.»

«Das ist nicht nötig», sagte Vallon. «Ich will mir die äußeren Befestigungsanlagen der Stadt ansehen, solange es noch hell ist.»

Der Unteroffizier hob das Kinn. «Der Kastellan hat es nicht gern, wenn unangemeldete Besucher kommen. Ich schicke Fitz los, damit er Euch anmeldet.»

«Nein, das wirst du nicht tun. Meine Aufgabe besteht darin, die Verteidigungsanlagen so zu inspizieren, wie ich sie vorfinde. Das ist eine unangemeldete Kontrolle.» Er schlug sich mit den Dokumenten auf die Hand. «Verstanden?»

Der Unteroffizier nahm Haltung an. «Hauptmann.»

Sie hörten ihn vor sich hin fluchen, als sie durch das Stadttor ritten. «Der wird Euch nicht so schnell vergessen», sagte Raul.

«Ich weiß. Hoffen wir, dass er auf der Burg keine Erkundigungen über uns einholt.»

Raul stellte sich in den Steigbügeln auf. «Da ist Wayland.»

Der Falkner schlenderte ein Stück vor ihnen zwischen Verkaufsständen die Straße hinauf. Vallon und Raul folgten ihm, stets belästigt von einem Schwarm zwielichtiger Händler und Bettler. Lahme und Blinde tasteten sich mit ihren Stöcken hinter ihnen her. Aus jeder Tür wurden sie von gewitzten Stadtkindern beobachtet. Es war Monate her, dass Vallon in einer Stadt gewesen war. Er atmete die scharfe Geruchsmischung von Holzrauch, zersägten Balken, rohem Fleisch, Talg, Brot, Vieh und Unrat ein. An einer Kirche mit gemauertem Rundturm bogen sie um die Ecke und ließen den Gestank und den Trubel hinter sich. Nachdem sie noch zweimal abgebogen waren, befanden sie sich in einer engen Gasse, die bis auf ein im Dreck wühlendes Schwein vollkommen verlassen dalag. Wayland blieb vor einem eisenverstärkten Tor in einer hohen Mauer stehen und zog an einer Glockenschnur.

Richard öffnete und führte sie in einen Innenhof mit moosbewachsenen Pflastersteinen. Auf drei Seiten erstreckte sich ein altes Haus mit umlaufendem Balkon, dessen Holzdielen sich verzogen hatten. Unkraut spross aus den Ritzen. Tauben gurrten auf dem Ziegeldach. Der Hof war eine Oase des Friedens.

«Ihr habt gesagt, es soll leise sein.»

«Es ist perfekt.»

Richard strahlte. «Es hat einem englischen Händler gehört. Ich habe es von seiner Witwe gemietet und ihr zwei Monate im Voraus bezahlt. Sie glaubt, Ihr wärt ein französischer Weinimporteur. Für Wayland und Raul habe ich Zimmer im White Hart am Kornmarkt genommen.»

«Hast du den Geldverleiher gefunden?»

«Das war nicht schwierig. Sein Haus steht direkt unterhalb des Burgwalls.»

«Hat er Lady Margarets Briefe bekommen?» «Schon vor Tagen. Er wird morgen nach Sonnenuntergang mit uns sprechen.»

«Warum so spät?»

«Es ist Sabbat.»

«Wie hat er reagiert, als du ihm unsere Namen genannt hast? War er beunruhigt?»

«Ich habe ihn nicht selbst gesehen. Man hat mich nicht ins Haus gebeten. Ich habe durch ein Türgitter mit jemandem gesprochen.»

Die Glocken läuteten zum Komplet, als sich Vallon und Richard auf den Weg zu ihrer Verabredung mit Aaron machten. In den dämmrigen Straßen vernagelten die Ladenbesitzer ihre Fenster, und die Leute beeilten sich, nach Hause zu kommen. Der Burgfried ragte knochenweiß in den vom Abendrot gefärbten Himmel.

«Ich wünschte, Hero wäre bei uns», sagte Richard. «Er hätte es sich verdient, den Erfolg unseres Plans mitzuerleben.»

«Der Erfolg ist noch nicht sicher. Drogo hat unsere Absichten bestimmt erraten. Es gibt nicht viele Geldverleiher in England. Er könnte schon bei Aaron gewesen sein.»

«Er kann den Juden nichts befehlen. Sie sind nicht einmal normannische Untertanen. Der König hat sie als persönliches Eigentum aus Rouen hergebracht.»

Die Straße mündete in den weiten Platz um die Burg – ein massiver Bau, der auf einem künstlichen Erdhügel errichtet worden war. In der Mitte des Platzes standen ein Schafott und mehrere Geißelsäulen. Die Köpfe hingerichteter Übeltäter steckten auf Stangen, die über dem Burgtor aufgepflanzt worden waren. Das Haus des Juden Aaron lag in Sichtweite des Torwegs an der Ecke einer Straße, die zum Heumarkt führte. Es war ein beachtliches zweistöckiges Steinhaus mit fensterlosem Erdgeschoss. Die Fenster des ersten Stocks waren mit Eisenstangen und Läden gesichert. Stufen führten zu einer mit Eisenbändern beschlagenen Holztür in einem gemauerten Rundbogen. Vallon hob den schweren Klopfer.

Die Klappe hinter einer vergitterten Luke wurde geöffnet, und ein ernst blickendes Auge betrachtete sie durch das Gitter. Dann wurden mehrere schwere Riegel zurückgeschoben, und die Tür schwang auf. Ein junger, zartgliedriger Mann winkte sie herein. Statt der üblichen Wohnhalle betraten sie einen Flur, der an mehreren Zimmern vorbeiführte. Vallon hatte das Gefühl, dass sich hinter den geschlossenen Türen Menschen befanden. Er glaubte, gedämpfte Frauenstimmen zu hören. Die letzte Tür stand offen. Der Jüngling bat sie hinein. Der Raum war weder besonders groß noch aufwendig eingerichtet, doch ein Aufschimmern von Silber, der dicke, maurische Teppich und der Geruch nach Bienenwachs verliehen dem Zimmer eine Atmosphäre maßvoll gelebten Wohlstandes. Aaron, angetan mit einem seidenen Gewand und einem Turban, stand bei einem glänzend polierten Tisch, auf dem in einer Schale duftende Rosenblätter lagen. Hinter ihm war eine Feuerstelle in die Wand gemauert, in der wärmende Flammen züngelten. Neben dem geschlossenen Glasfenster zwitscherte ein Goldfinkenpärchen in einem Käfig.