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«Ja, Herr. Er ist in meinem Medizinkasten versteckt.» Hero machte Anstalten, den Kasten zu öffnen.

«Später. Wie heißt dieser Herrscher?»

«Er schmückt sich nicht mit Titeln. Aus christlicher Bescheidenheit nennt er sich Prester – oder Priester – Priester Johannes.»

Vallon sagte stirnrunzelnd: «Ich habe die Mauren von ihm sprechen hören.»

«Genau wie ich. Cosmas hatte sogar im Osten bis Samarkand und im Süden bis Ägypten Gerüchte über ihn gehört. Manche sagen, er stammt von einem der Heerführer Alexanders des Großen ab. Andere behaupten, seine Herkunft ginge auf Kaspar zurück, einen der drei Weisen, die das Jesuskind in Bethlehem aufgesucht haben.»

«Und wo liegt sein Reich?»

«Irgendwo in den Drei Indien. Als Cosmas einmal eine Expedition nach Groß-Indien unternommen hat, entdeckte er mehrere christliche Gemeinden, die von dem Apostel Thomas gegründet worden waren. Thomas ist auch der Schutzheilige des Reiches von Priester Johannes. Cosmas glaubt, dass dieses Reich im jenseitigen Indien zu finden ist, einem Land, das die Reisenden früherer Tage Äthiopien nannten.»

Vallon nickte, ohne sämtlichen Einzelheiten folgen zu können. Für ihn war Indien eine Gegend, die hinter Mythen und Nebeln verborgen lag.

«Beschreibe es.»

Hero fuhr über den Deckel des Kastens. «Priester Johannes sagt, sein Reich liege an der Grenze zum Paradies. Es ist in zweiundsiebzig Provinzen aufgeteilt, jede mit eigenem König, von denen einige heidnisch sind, ihrem obersten Herrscher aber ebenso wie alle anderen tributpflichtig. Zwölf Erzbischöfe und zwanzig Bischöfe spenden den Untertanen zur Erhaltung ihres geistlichen Wohls die Sakramente. Ein Fluss namens Ydonus fließt aus dem Garten Eden in sein Reich. Neben diesem Fluss entspringt eine klare Quelle mit Wunderkräften. Jeder, der aus ihr trinkt, erhält Jugend und Lebenskraft zurück.»

Vallon unterdrückte ein Lächeln. «Cosmas war todkrank. Hat er darauf gehofft, im Jungbrunnen zu baden?»

«Davon weiß ich nichts, aber er hat mir gesagt, er würde die Dokumente verkaufen, wenn er sie alle bekäme, um eine Reise an Priester Johannes’ Hof zu finanzieren.»

«Also gibt es noch andere Dokumente.»

«Ja, Herr. Das andere ist ein Evangelium, dessen Existenz lange vermutet wurde, aber bisher niemals bestätigt werden konnte – das Evangelium nach Thomas.»

Vallon richtete sich auf seinem Stuhl auf. «Das Evangelium nach Thomas.»

«Einschließlich der geheimen Worte Jesu, die zu seinen Lebzeiten aufgeschrieben wurden.»

Vallon kratzte sich am Kopf. «Braucht die Welt noch ein weiteres Evangelium?»

«Cosmas hat mir erklärt, dass dieses eine von unschätzbarem Wert ist. Die Gelehrten glauben, dass die vier biblischen Evangelien lange nach dem Tod der Apostel von anderen Jüngern geschrieben wurden. Aber das Thomasevangelium wurde zu seiner eigenen Lebenszeit geschrieben, in seinen eigenen Worten diktiert. Stellt Euch nur vor – eine Erzählung vom Leben Jesu aus erster Hand, von einem seiner vertrautesten Jünger. Lasst Euch von mir die ersten Absätze vorlesen.»

Hero öffnete das Geheimfach und nahm ein Pergament heraus. «Das Evangelium ist auf Altgriechisch geschrieben. Walter hat Cosmas erlaubt, einen Teil zu lesen und die erste Seite zu transkribieren. Der Anfang lautet so: «Hier ist niedergelegt die Heilsbotschaft des Judas Thomas genannt Didymus, in welcher ich euch zeigen werde, was kein Auge je gesehen, sagen werde, was kein Ohr gehört, geben werde, was keine Hand berührt. Die geheimen Winkel des menschlichen Herzens werde ich aufschließen.»

Die Worte hallten in Vallons Kopf wider. Seine Haut kribbelte. «Du hast gesagt, dass Cosmas die Dokumente verkaufen wollte.»

«Aber nicht zu seinem persönlichen Gewinn. Im Jahr meiner Geburt haben Rom und Konstantinopel über die Frage, welche die Mutterkirche ist, ihre Beziehungen abgebrochen. Cosmas hat gehofft, dass Priester Johannes’ Angebot einer Allianz gegen die Feinde der Christenheit helfen könnte, dieses Schisma zu beenden. Cosmas hatte noch weitere Überlegungen. In seiner Lebenszeit war die politische Macht von Konstantinopel auf Rom übergegangen. Obwohl das Byzantinische Reich das wohlhabendere ist, sind seine Gebiete klein und abgelegen, während sich Roms geistlicher Einfluss über ganz Europa erstreckt. Cosmas glaubte, dass der Besitz des Thomasevangeliums die Position des Patriarchen von Konstantinopel in den Verhandlungen mit dem Papst in Rom stärken würde.»

An Kirchenpolitik hatte Vallon keinerlei Interesse. Ihm genügte es, an Gott zu glauben, mehr oder weniger täglich zu beten und nicht zu überrascht oder enttäuscht zu sein, falls seine Gebete nicht erhört wurden.

«Warum hast du mir das alles nicht schon früher gesagt?»

«Cosmas hat mich schwören lassen, dass ich es für mich behalte. Er wusste, abgesehen davon, dass Ihr ein Söldner wart, nicht das Geringste über Euch. Er dachte, Ihr könntet den Brief stehlen und ihn nach Rom verkaufen. In den letzten Tagen war sein Verstand ein bisschen getrübt.»

«Hat er erwartet, dass du die Mission alleine weiterführst?»

Hero ließ den Kopf hängen. «Zuerst habe ich mich geehrt gefühlt, dass er mir diese Aufgabe übertragen hat. Doch als ich einmal gründlich überdachte, was diese Aufgabe mit sich bringen würde, war mir klar, dass ich es nicht schaffen konnte. Ich wollte es Euch erzählen, aber mit jedem Tag, der verging, wurde es schwerer, meine Verschleierung zu beichten. Ich fürchtete Euren Zorn. Ich dachte, Ihr würdet mich zur Strafe wegjagen.»

«Und was wolltest du mit diesem Wissen anfangen?»

«Es geheim halten, bis wir die Reise nach England hinter uns gebracht hätten. Ich hatte gehofft, dass uns Olbec belohnen würde, wenn wir ihm Neuigkeiten von seinem Sohn gebracht hätten. Mir war nicht klar, dass Walter den Reichtum seiner Familie übertrieben dargestellt und Drogos Existenz verschwiegen hatte. Mein Plan war, von England aus nach Italien zurückzukehren und den Brief in Sizilien dem Patriarchen zu übergeben.»

«Alles, ohne mir ein Wörtchen davon zu erzählen.»

Hero wandte den Blick ab. «Bestraft mich, wenn Ihr es für richtig haltet. Wenn Ihr mich wieder wegjagt, habe ich es verdient.»

Vallon beugte sich vor. «Hero, ich habe dich während unserer langen Reise sicher geführt. Für dich habe ich mein Leben riskiert und Kälte, Hunger und Erschöpfung ertragen.» Er stieß den Zeigefinger vor. «Von Rechts wegen müsste dich töten.»

Hero starrte ihn an. «Ja, Herr. Meine Hinterlist ist unverzeihlich.»

Vallon sah ihn an. «Was für ein Narr du doch bist.» Mit einem Tritt ließ er den Stuhl umkippen. «Und was für ein Narr bin ich erst selbst!» Er ging im Raum auf und ab. «Unter anderen Umständen wäre mir klar gewesen, dass Cosmas niemals ohne heimlichen Grund nach England gereist wäre. Und warum war es mir nicht klar? Weil der Kummer mir den Verstand vernebelt hatte.» Vallon blieb stehen, seine Miene verdüsterte sich, er hob den Finger. «Du hast dich dumm gestellt und mir geschmeichelt.» Vallon fuhr mit hoher, weinerlicher Stimme fort: «‹Oh, Herr, Ihr seid stark und ich bin schwach. Bitte, helft mir.›» Vallon wirbelte herum, stützte sich mit den Händen rechts und links am Fensterrahmen ab und starrte blicklos hinaus.

Hero begann zu schluchzen. «Ich weiß, dass Ihr Sorgen hattet und immer noch Sorgen habt.»

Vallons Blick klärte sich. Er sah in den Garten hinaus. Ein Nebelteppich war vom Fluss herangezogen, und Enten quakten im Halbdunkel. «Was sind die Dokumente wert?»

«Jeden Preis, den Ihr dafür verlangt. Genügend Gold, um für den Rest des Lebens ein schönes Auskommen zu haben. Aber vorher müsstet Ihr sie in die Hand bekommen, und ich glaube, das ist unmöglich.»

«Warum?»

«Es ist, wie Aaron sagte. Eine Reise nach Norwegen und dann weiter durch Rus und über das Schwarze Meer, Herr, selbst eine Armee könnte solch ein gewaltiges Unternehmen nicht bewerkstelligen.»