Einer der Soldaten steckte den Finger in den Eintopf und leckte ihn ab. «Mmm. Aalsuppe mit Pflaumen, wie meine Mutter sie gemacht hat.»
Der Unteroffizier schlug ihm auf die Hand. «Du bekommst deinen Anteil, wenn dein Dienst vorbei ist.» Dann nickte er den anderen Wachsoldaten zu. «Durchsucht ihn.»
Nach einer ruppigen Überprüfung traten die Wachen kopfschüttelnd zurück.
«Bringt ihn rauf.»
Zwei Soldaten packten Hero an den Armen und führten ihn die Treppe hinauf. Während er in das Turmgebäude stieg, versuchte er sich die Lage der Räume genau einzuprägen. Im ersten Stockwerk befanden sich ein Lagerraum und eine Waffenkammer. Bis er an den Schlafquartieren im zweiten Stockwerk vorbeikam, waren von unten keinerlei Geräusche mehr vernehmbar. Als der Unteroffizier die Tür zum obersten Stock aufzog, sah Hero als erstes Vallons Schwert und Rauls Armbrust. Sie lehnten an der Wand hinter einem Tisch, an dem die Wachen saßen, die gerade dienstfrei hatten. Vallon hockte auf einer Pritsche hinter eng gesetzten Stangen, die den Raum wie eine durchlässige Wand von der Decke bis zum Boden teilten. Raul lag wie eine bösartige Puppe in einer Ecke der Zelle, an Händen und Füßen an einen in die Wand eingelassenen Ring gekettet. Seine verschwollenen Augen waren nur noch Schlitze, und sein von Schlägen aufgedunsener Mund schien zu einem schrecklichen Lächeln verzerrt.
Vallon sprang auf und umklammerte mit beiden Händen die Stangen. «Es wird auch Zeit. Hast du für unsere Freilassung gesorgt?»
«Hört euch bloß den an», sagte der Unteroffizier. Er ging zu den Stangen. «Die einzige Freiheit, mit der du noch rechnen kannst, erwartet dich am Ende eines Stricks. Aber vorher spieße ich dich noch vom Arsch bis zu den Augen auf einen Stock. Noch eine Nacht, dann ist Drogo mit deinem rechtskräftigen Todesurteil hier. In der Zwischenzeit kannst du uns dabei zusehen, wie wir uns das Essen schmecken lassen, das dein Diener für dich gebracht hat.»
Vallon trat mit dem Fuß gegen die Stangen und wandte sich ab.
Der Unteroffizier fummelte an einem schweren Holzzapfen herum, der von einem groben Fallriegelschloss gesichert wurde. Dann zog er die Tür auf und schob Hero in die Zelle.
Vallon nahm seinen Arm. «Wie haben sie dich erwischt?»
«Das haben sie nicht. Ich habe mich freiwillig ergeben.»
Vallon zuckte zurück. «Das heißt die Treue wirklich zu weit treiben.»
«Nein, Herr. Ich bin gekommen, um Euch herauszuholen.»
«Und wie?»
«Ich habe etwas in den Wein gemischt.»
Sie beobachteten, wie sich die Soldaten an den Tisch setzten. Der Unteroffizier verteilte Suppe und schenkte Wein aus. Dann hob er seinen Becher in Richtung der Gefangenen. «Seid ihr sicher, dass ihr nichts davon haben wollt? Er schmeckt köstlich.»
«Uff. Dieser Wein hat’s wirklich in sich», sagte einer der Soldaten.
«Das ist das Lieblingsgetränk der Deutschen», sagte Hero. «Aber vielleicht ist es für Normannen zu stark.»
Einer der Wachmänner knurrte: «Ich kann jeden von diesen beschränkten Deutschen unter den Tisch trinken.»
«Ich habe ihn aber einmal zwei Schläuche an einem Abend leeren sehen.»
Vallon schubste Hero mit dem Fuß an, um ihn vor allzu viel Übertreibung zu warnen. «Was ist drin?», flüsterte er.
«Opium, Schafkraut und Alraune. Da ist ein Betäubungssaft, den die Wundärzte in Salerno verwenden.»
«Wie lange dauert es, bis die Wirkung einsetzt?»
«Das weiß ich nicht. Konstantinus hat es Cosmas gegen seine Brustschmerzen verschrieben – ein Löffel voll sollte ihm beim Einschlafen helfen.»
«Und wie viel davon hast du in den Wein gemischt?»
«Ungefähr einen Schoppen.»
Als die Soldaten mit dem Essen fertig waren, wirkten sie außerordentlich entspannt. Einer von ihnen gähnte. «Zeit, dass ich in die Falle komme», sagte er und taumelte zur Tür hinaus.
«Für mich auch», sagte ein anderer. Er stand auf und hielt sich am Tisch fest. Dann schaute er zur Tür, als wollte er ein Ziel anpeilen, stieß sich vom Tisch ab und torkelte in die falsche Richtung. «Hoppla.» Er korrigierte seinen Kurs und kreuzte zur Tür hinüber. «Hoppla.»
Als sie gegangen waren, legte der Unteroffizier ein Damebrett heraus. «Fünf Spiele. Der Gewinner kriegt einen Viertelpenny.»
Mitten im zweiten Spiel lachte sein Gegenspieler mit einem Mal kehlig auf und rieb sich die Augen. «Verflixt, dieser Wein steigt einem mächtig zu Kopf. Ich sehe schon zwei Spielbretter.» Blinzelnd saß er da, mehrmals sank ihm der Kopf auf die Brust, und er riss ihn wieder hoch, doch mit jedem Mal sackte der Mann tiefer und unausweichlicher Richtung Tischplatte, bis er schließlich darauf eingeschlafen war.
Der Atem des Unteroffiziers ging immer schwerer. Unter großer Anstrengung gelang es ihm, seinen Kopf zu wenden, zu spät dämmerte ihm die Erkenntnis. Fluchend versuchte er aufzustehen und wischte dabei die Essschalen vom Tisch. Fast hatte er es geschafft, auf die Füße zu kommen, als seine Beine nachgaben und er zusammenbrach. Sein Kopf schlug auf die Sitzbank, und er blieb als schlaffes Gliederbündel liegen.
«Allmächtiger», murmelte Vallon. «Und was jetzt?»
«Welche der Wände geht stadtauswärts?»
«Diese hier.»
Hero ging zu einer Schießscharte, zog das Leinentuch unter seinem Gürtel heraus, streckte den Arm durch die Schießscharte und begann mit dem Tuch zu wedeln.
«Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben», sagte Vallon. «Die wachhabenden Soldaten kommen manchmal herauf.»
Hero legte den Finger auf die konzentriert zusammengepressten Lippen.
Von draußen war ein Fuchsschrei zu hören.
«Das ist Wayland. Er wartet unten mit einem Seil.»
Vallon betrachtete stirnrunzelnd die Schießscharte.
«Nein, nicht dort entlang», sagte Hero und hob den Daumen Richtung Dach.
Vallon lächelte. Dann ging er in die Hocke. «Auf meine Schulter.»
Er erhob sich, und Hero schlang seine Arme um einen der Dachbalken. Vallon schob ihn schwungvoll noch weiter hinauf, sodass Hero über dem Balken hing. Von dort zog er die Beine nach und stellte sich schwankend auf den Balken. Während er sich mit einer Hand an einem Dachsparren festhielt, schob er sich weiter nach rechts und begann die Latten herauszuzerren, zwischen denen das Stroh steckte.
Vallon versuchte zu dem Balken hochzuspringen, doch er erreichte ihn nicht. Raul stemmte sich mit den Füßen gegen die Wand und mühte sich, den Ring, in den seine Ketten eingehängt waren, aus der Wand zu zerren. Vallon kam ihm zu Hilfe. Mit einem knirschenden Geräusch löste sich der Ring aus der Wand. Raul legte seine gefesselten Hände zu einem Steigbügel zusammen und schob Vallon zu dem Balken hinauf. Dort riss er zusammen mit Hero so lange Latten von den Dachsparren und zog Dachstroh herunter, bis Hero spuckend und blinzelnd endlich den Himmel über sich sah.
«Weitermachen», sagte Vallon.
Sie vergrößerten das Loch in dem Strohdach weiter, bis sie ein gutes Stück zwischen den Dachsparren freigelegt hatten.
«Rück zur Seite», sagte Vallon.
Er ging auf dem Querbalken in die Hocke, schnellte durch das Loch in die Höhe und schlang rechts und links je einen Arm um nebeneinanderliegende Sparren. So hing er zappelnd da, keuchend vor Anstrengung, und zog sich schließlich durch die Öffnung ins Freie. Dann legte er sich auf das Dach, hielt sich mit einer Hand an einem Dachsparren fest und streckte Hero die andere entgegen.
«Gib mir deine Hand.»
Er erwischte Hero am Handgelenk und zog ihn nach oben. Hero bohrte seine Füße ins Dachstroh, bis er auf einen Balken traf, an dem er sich abstützen konnte. Nebeneinander saßen sie auf dem Dach und sahen über die Stadt hinweg. Der Himmel im Osten wurde heller. Mondlicht ließ die Ränder einer Wolkenbank leuchten. Von unten herauf hörten sie Wortfetzen und Gelächter.
Hero riss den Saum seines Gewandes auf und zog die Schnur heraus. Er band ein Bleigewicht an ein Ende und ließ sie in die Tiefe hinab. Als er schon begann, sich Sorgen darüber zu machen, ob er die Länge falsch berechnet hatte, spürte er, wie die Schnur schlaff wurde. Und einen Augenblick später spürte er, wie dreimal kurz daran gezogen wurde.