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«Wayland hat die Schnur.»

«Gib sie mir.»

Vallon holte die Schnur ein, an deren Ende ein Seil über das Dach heraufkroch. Vallon rollte es neben sich auf. Nach einer Weile straffte sich das Seil, und von unten war ein dumpfer Stoß zu hören.

«Vorsichtig», sagte Hero. «Wayland hat eine Axt ans Ende gebunden.»

Vallon zog so behutsam weiter, als wäre die Axt ein Korb voll roher Eier. Doch dann spannte sich das Seil und bewegte sich nicht mehr. Vallon ließ locker und zog dann noch einmal. «Sie hat sich unter dem Dachvorsprung verfangen.» Er ruckelte an dem Seil, doch die Axt hing fest. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. «Halt das fest», sagte er und gab Hero das Seil. Dann nahm er das andere Ende des Seils und ließ sich durch das Loch im Dachstroh wieder hinunter. Er band es an dem Querbalken fest und ließ es ein Stück herunterhängen.

Dann zog er sich erneut auf das Dach hinaus, wartete ab, bis sich seine Atmung beruhigt hatte, und hangelte sich dann rückwärts an dem Seil über das Dach hinunter. Als er den Dachvorsprung erreicht hatte, beugte er sich halb liegend weit darüber hinaus und tastete nach der Axt.

«Lass ein bisschen locker.»

Hero gab ein bisschen nach.

«Ziehen.»

Hero zog, und die Axt glitt auf das Dach. Vallon kroch an dem Seil entlang wieder bis nach oben, band die Axt los und warf sie Raul hinunter, bevor er selbst erneut zu ihm abstieg. Das alles dauerte viel länger, als Hero erwartet hatte.

«Leg dich auf die Seite und streck die Arme aus», sagte Vallon keuchend zu Raul. Er hob die Axt, ließ sie niederfahren und zertrennte die Kette zwischen Rauls Händen und Füßen. «Und jetzt die an den Füßen», sagte er und schlug auch sie entzwei.

Von seinem Platz auf dem Dach aus konnte Hero einen Teil des Raumes sehen, der von der Zelle abgetrennt war. Ein Bein des Unteroffiziers befand sich in seinem Sichtfeld. Hero glaubte zu erkennen, dass sich das Bein bewegte. Als er gerade den Mund öffnen wollte, verstellte ihm Vallon die Sicht.

«Breite die Arme aus», sagte Vallon zu Raul. «Und rühr dich nicht.»

Die Axt fuhr nieder, und Raul sprang auf. Vallon wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn.

«Herr?»

Vallon sah zu Hero hinauf. «Was ist?»

«Der Unteroffizier. Ich sehe ihn nicht mehr.»

Vallon wirbelte herum und erstarrte. Raul wusste zunächst nicht, wohin er laufen sollte, und hastete schließlich zu dem herabhängenden Seil.

«Keine Zeit!», rief Vallon.

Raul hieb mit so mächtigen Axtschlägen auf das Schloss ein, dass der gesamte Turm zu erzittern schien.

«Schnell!»

Das Schloss splitterte, und Raul trat die Tür auf. Vallon und er rannten aus der Zelle und griffen sich ihre Waffen.

«Was ist mit mir?», schrie Hero.

«Klettere draußen am Turm hinunter. Warte nicht auf uns. Wenn du unten bist, mach, dass du wegkommst.»

Hero hörte ihre Schritte über die Treppe poltern. Entsetzt spähte er an dem steilen Dach hinunter. Er wusste, dass er nicht kräftig genug war, um den Abstieg ohne Hilfe zu schaffen. Aus dem Gebäude drang ein erstickter Schrei. Darauf folgte lange Stille. Dann hörte er jemanden vom Fuß des Turms aus in die Stadt rennen, verfolgt von wütendem Geklirr, bis auch diese beiden Geräusche erstarben. Irgendwo wurde ein Fensterladen geöffnet, und jemand rief etwas. Hero zögerte und verlor Zeit, bis er endlich einsah, dass ihm nichts anderes übrigblieb, als ebenfalls die Treppe zu nehmen. Er ließ sich auf den Balken hinunter, schürfte sich die Hände auf und sprang auf den Boden der Zelle. Der Wächter, der beim Damespiel eingeschlafen war, lag noch immer über dem Tisch. Auf Zehenspitzen ging Hero zur Tür und spähte in das Schlafquartier der Soldaten. Die Treppe war verlassen, und zwei Wachmänner lagen im Betäubungsschlaf auf ihren Pritschen. Hero schlich Stufe für Stufe abwärts und tastete dabei mit einer Hand an der Wand entlang. Als er das Stockwerk darunter erreicht hatte, lauschte er mit klopfendem Herzen und ging dann durch die Tür. Auf dem Treppenabsatz unter ihm lag der Unteroffizier, Arme und Beine weit von sich gestreckt, den Kopf vom Scheitel bis zur Kehle gespalten. Unterhalb von ihm war ein Soldat halb enthauptet am Türpfosten zusammengesunken. Überall war Blut – die Wände bespritzt, Lachen auf dem Boden. Hero rutschte beinahe darin aus. Hinter der Tür saß ein weiterer Soldat und hielt sich den Bauch. Er lebte noch. Als er Hero sah, bewegten sich seine Lippen.

«Hilf mir.»

«Es tut mir leid», wimmerte Hero. «Es tut mir leid.»

Die Wachstube war leer, das Feuer in der Kohlenpfanne brannte, die Würfel lagen, wie sie beim letzten Wurf des Spiels gefallen waren. Einer der Soldaten lag bäuchlings draußen vor der Tür. Dann entdeckte Hero Vallon, der schwer atmend versuchte, den Balken zu heben, mit dem das Stadttor versperrt war. Er drehte sich um, sein Gesicht war mit Blut bespritzt. «Nimm das andere Ende.»

«Wo ist Raul?»

«Einer der Soldaten ist geflohen. Raul verfolgt ihn.»

Es gelang ihnen, den Balken zu heben. Vallon drückte die Torflügel auf. Hinter ihnen auf der Straße wurden Schritte hörbar, und er drehte sich mit gezogenem Schwert um. Doch es war Raul, der auf sie zukam. Er hielt sich die Seite, und immer noch hingen die Kettenstücke an seinen Armen und Beinen. «Hab ihn verloren», keuchte er.

Aus der Stadt erklangen Rufe.

«Machen wir, dass wir wegkommen», sagte Vallon. «Hast du die Maultiere mitgebracht?»

«Sie sind bei Wayland.»

«Wie viele sind es?»

«Zwei.»

«Das sind nicht genug. Zu Fuß können wir unmöglich entkommen.» Vallon hastete zu den Stallungen hinüber. «Raul, du hilfst mir. Hero, pass auf die Straße auf.»

Nur halb drang in Heros Bewusstsein, dass immer mehr Fensterläden geöffnet wurden und Warnrufe erschollen. Er sah immer noch den flehenden Blick des sterbenden Soldaten vor sich. Dann berührte jemand seinen Arm. Wayland war aus der Dunkelheit aufgetaucht. Er deutete mit dem Kinn auf den Soldaten, der vor dem Eingang zur Wachstube lag.

«Drinnen sind noch mehr. Es ist ein Leichenhaus.» Heros Magen hob sich.

Vallon und Raul eilten mit zwei gesattelten Pferden aus dem Stall. Auf dem Burgwall wurden Fackeln entzündet. Ein Horn wurde geblasen.

«Sie kommen», sagte Vallon. Er half Hero auf eines der Maultiere und stieg auf sein Pferd. «Reitet wie der Teufel.»

Sie galoppierten fort von der Stadt. Vallon zerrte Heros Maultier am Zügel neben sich her. Sie kamen an einen Fluss und ritten hindurch, das Wasser umspülte ihre Knie. Auf der anderen Seite hielt Vallon an. Im Morgengrauen warf das Massiv der Stadt einen riesigen Schatten, aus dem sich drei Fackelwürmer herausbewegten.

«Jetzt ist uns nicht mehr nur Drogo auf den Fersen», sagte Vallon. «Die Normannen werden jeden Stein umdrehen, um uns zu finden. Sie werden sämtliche Häfen überwachen. Wir müssen nach Westen, uns in einem Wald verstecken.»

«Wir haben das Schiff gefunden.»

«Ihr habt es gefunden! Wo?»

«Wayland wird es Euch erklären.»

«Es ist beschädigt», murmelte der Falkner.

Vallon blieb der Mund offen stehen. «Er spricht. Träume ich? Ist das heute die Nacht der Wunder?» Er packte Wayland am Arm. «Beschädigt? Wie schwer? Wie lange brauchen wir, um es seetüchtig zu machen?»

«Ich weiß nicht. Tage, sagt Snorri.»

«Wir haben aber nicht tagelang Zeit», sagte Raul. «Drogo wird über den Geldverleiher von dem Schiff erfahren.»

Vallon dachte darüber nach. «Aaron wird von dem Schiff nichts verraten, und sogar Drogo wird es sich zweimal überlegen, bevor er einem Goldesel des Königs etwas antut.» Er wandte sich an Wayland. «Wo liegt das Schiff?»