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«Nicht in einem Hafen. Es ist in den Marschen versteckt.»

Einer der Fackelzüge bewegte sich in ihre Richtung. «Besser, wir verschwinden jetzt», meinte Raul.

«Reitet los», sagte Vallon. Er lenkte sein Pferd neben Heros Maultier. Der Mond kam hinter den Wolken hervor und beschien eine Seite seines blutbespritzten Gesichts. Er breitete die Arme aus, um Hero zu umarmen, doch Hero schlug sie zur Seite.

«Wir mussten die Soldaten töten», sagte Vallon. «Wenn wir es nicht getan hätten, wären wir jetzt alle drei tot. Und wir hätten keinen schönen Tod gehabt. Bevor wir gehängt worden wären, hätten sie uns auf der Streckbank die Knochen aus den Gelenken gerissen, und sie hätten uns den Schädel zusammengepresst, bis uns die Augen aus den Höhlen gequollen und uns das Gehirn zu den Ohren herausgelaufen wäre.»

«Dafür bin ich nicht zurückgekommen!», rief Hero.

«Und deshalb habe ich dich weggeschickt.»

Hero schluchzte. Tränen rannen ihm übers Gesicht. «Ich wollte Arzt werden. Ich wollte Leben retten.»

Vallon schüttelte ihn. «Das hast du doch. Du hast mir das Leben gerettet. Und Raul. Und du hast dich selbst gerettet.» Er nahm die Zügel. «Und jetzt sei still und reite.»

XIII

Der Sonnenuntergang vergoldete die Spitzen der Schilfhalme, als Snorri den letzten aus der Flüchtlingsgruppe auf die Insel stakte. Die Hochstimmung war von Niedergeschlagenheit abgelöst worden. Es schien Vallon, als wären sie in einer Sackgasse und nicht in einem sicheren Versteck gelandet. All ihre Hoffnungen ruhten auf einem angeschlagenen Schiff und einem verkrüppelten Mann. Auch wenn das Schiff noch zu retten war, konnte sich Vallon nicht vorstellen, wie es aus dem Marschland manövriert werden sollte. Und falls es ihnen tatsächlich gelang, die Küste zu erreichen, mussten sie für das Schiff immer noch eine Mannschaft finden. Ganz gleich, worüber Vallon nachdachte, er sah überall nur Probleme. Ihre Unterkunft bestand aus einem halbverrotteten Schuppen, es gab kein Holz zum Feuermachen und kein frisches Wasser bis auf das bisschen, das sie selbst mitgebracht hatten. Und ihr einziges Transportmittel, seit sie die Pferde und Maultiere hinter Snorris Hütte angebunden hatten, war der Stechkahn.

Während Raul und Richard die Tarnung wegzogen, prahlte Snorri mit den Besonderheiten des Schiffes.

Die Knarr war ein robustes Arbeitstier, maß von Steven zu Steven fünfzig Fuß und mehr als dreißig in der Breite. Der mittschiffs gelegene Laderaum fasste fünfzehn Tonnen Fracht, und zwei kleine Halbdecks an seinen Enden konnten bei schlechtem Wetter zum Kochen und Unterkriechen genutzt werden. Umgedreht über dem Laderaum war das etwa fünfzehn Fuß lange Beiboot befestigt. Dreizehn überlappende Planken bildeten die Seiten der Shearwater. Im obersten Plankengang waren acht Ruderlöcher – zwei an jeder Seite des Vorder- und Hinterdecks. Snorri zeigte Vallon das Seitenruder, das er aus der Halterung an der Steuerbordseite genommen hatte, und den Kiefernmast, der ausgebaut auf einem Gerüst lag. Die schwersten Beschädigungen befanden sich am Rumpf auf der Steuerbordseite, wo das Plankenholz auf eine Länge von etwa zwölf Fuß eingedrückt war. Um die Knarr in ihr Versteck zu rudern, hatte Snorri ihren Tiefgang verringert, indem er an der Mündung des Wasserlaufs Tonnen von Steinballast ausgeladen hatte.

All das erklärte Snorri in einer Mischung aus verstümmeltem Englisch und verunstaltetem Französisch.

«Wo hast du dein Französisch gelernt?», fragte Vallon.

Snorri rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. «Auf dem Markt von Norwich. Normannen sind meine besten Kunden.»

Vallon und Raul wechselten einen Blick.

Als es dunkel wurde, schliefen Richard und Wayland bald ein. Vallon aber ging noch einmal prüfend über das Schiff. Die Shearwater war solider, als er zuerst gedacht hatte.

Snorri stand katzbuckelnd vor ihm. «Was denkt Ihr, Hauptmann?»

«Wo bekommst du das Holz und das andere Material?»

«Norwich, Hauptmann. Gibt nichts Nähergelegenes für das, was wir brauchen.»

«Wie lange dauert es, bis sie seetüchtig ist?»

«Drei Wochen, wennse schön und tadellos sein soll.»

«Du hast fünf Tage.»

Vallon wartete Snorris Antwort nicht ab. Er ging die Strecke zwischen dem Schiff und dem Fluss ab. Neunzig Schritt. Dann schaute er auf den verschlammten Wasserlauf zurück.

«Wir brauchen einen Monat, um sie auszugraben.»

«Hab ich auch schon drüber nachgegrübelt. Ich kenn ein paar kräftige Kerle, die gern schuften, wennse ordentlich bezahlt werden.»

«Können sie den Mund halten?»

«Oh, ganz bestimmt, Hauptmann. Die Leute aus den Marschen sin so verschlossen wie Austern.»

«Wir brauchen auch ein paar Boote, um uns bewegen zu können. Und ich will die Pferde hier haben.»

«Überlasst das nur Snorri, Hauptmann.» Er entblößte seine grässlichen Zähne. «Übers Entgelt un andre Einzelheiten ham wir noch nich gesprochen.»

Vallon musterte erneut das Schiff. «Überschlagen wir die Reparaturkosten.»

Als sie zu den anderen zurückkamen, hing ein praller Frühlingsmond über den Marschen. Gänse zogen in langen Ketten vor seinem Angesicht vorbei und stießen Schreie aus, die an das Kläffen von Jagdhunden erinnerten. Snorri drückte sich erwartungsvoll ums Lagerfeuer.

«Also, meine Herren, s’wär vielleicht Zeit, dem alten Snorri zu erklärn, was ihr vorhabt.»

«Setz dich», sagte Vallon.

Mit einem verhaltenen Grinsen ließ sich Snorri beim Feuer nieder.

«Die Normannen machen Jagd auf uns», sagte Vallon.

«Wusst ich beim ersten Blick auf Wayland, dass ihr zwielichtige Gestalten seid. Ich kann die Normannen genauso wenig ausstehn wie ihr, un es geht mir hinten vorbei, vor was ihr abhaut, aber eins will ich schon wissen, un zwar, wohin ihr wollt.»

«Island. Es ist eine Handelsreise. Wir sind auf Falken aus.»

Snorris Grinsen veränderte sich nicht. Die anderen hörten auf zu essen und wechselten Blicke. Dann sprang Snorri auf. «Ich geh nich nach Island.»

Vallon klopfte auf den Kasten mit dem Silber. «Wir bezahlen dich gut.» Er nahm eine Handvoll Münzen aus dem Kasten und ließ sie langsam zurückrieseln. «Ein Honorar oder einen Anteil am Gewinn. Du hast die Wahl.»

Snorri fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. «Was für Waren verkauft ihr?»

«Alles, was der Markt verlangt. Darüber weißt du besser Bescheid als ich.»

«Mit Bauholz liegt man da oben nie falsch. Die ham keine Wälder in Island.»

«Und abgesehen von Falken, was gibt es dort noch für Tauschwaren?»

«Wollwaren un Daunen, Walfleisch un Dorsch. Un sie holen Walrosszahn un weiße Bärenfelle aus den Siedlungen in Grönland.»

«Snorri, für mich klingt das so, als könntest du mit dieser Reise ein für alle Mal aussorgen.»

Snorri schnalzte mit der Zunge. «Was is mein Anteil?»

«Ein Fünftel.»

«Ein Fünftel», wiederholte Snorri. «Ein Fünftel.» Er ließ sich in die Hocke nieder. «Wo holt ihr die Waren?»

Vallon ließ sich von Raul ein Stück rauchgeschwärztes Hammelbein geben. «Wir richten uns nach dem jeweiligen Ort. In Island tauschen wir Bauholz gegen Walrosszahn, und das verkaufen wir dann wieder in Russland.»

«Russland!»

Vallon kaute auf dem zähen Fleisch herum. «Und noch weiter. Die Falken sind für Anatolien bestimmt.»

«Wo ist das?»

«Östlich von Konstantinopel.»

Snorri fuhr entsetzt zurück. «Östlich von Miklagard! Das is unmöglich.»

Vallon zuckte mit den Schultern. «Das ist ausschließlich unser Problem. Du bringst uns nach Island, und damit ist deine Aufgabe erledigt.»

Snorri sah ihn beunruhigt an. «Darüber muss ich schlafen», sagte er und stand auf.