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«So einer bin ich nicht.»

«Ich würde dich besser verstehen, wenn du so einer wärst. Hier», sagte er und gab Wayland ein paar Münzen. «Das ist mehr, als dir zusteht. Aber verlass deinen Posten nicht noch einmal ohne guten Grund.»

Wayland ging ein paar Schritte, dann blieb er stehen und drehte sich um. «Herr?» Es war das erste Mal, dass er Vallon mit diesem Titel ansprach.

«Ja.»

«Habt Ihr jemals einen Gerfalken gesehen – einen weißen?»

«Nein.»

«Aber es gibt sie?»

«Ich glaube schon. Bleib bei uns, und du wirst Wunderdinge sehen, die man sich nicht einmal erträumen kann.»

Wayland fand Syth zitternd an derselben Stelle, an der er sie zurückgelassen hatte. Der Hund hatte seinen Kopf in ihren Schoß gelegt. Das Essen schien sie nicht zu interessieren. Stattdessen sah sie ihn mit rotgeäderten Augen an. «Ich habe diese Sachen mit Snorri nur gemacht, weil ich beinahe verhungert wäre. Aber er durfte ihn nie bei mir reinschieben.»

Wayland schloss kurz die Augen. Dann streckte er ihr das Geld hin. «Geh weg.»

«Wohin denn?»

«Weg. Hier ist es gefährlich.»

«Warum. Was hast du getan?»

«Wir haben ein paar Normannen getötet. Du darfst niemandem erzählen, dass du uns gesehen hast.»

Sie stand auf. Ihre Lippen bebten. «Lass mich bleiben. Ich koche und nähe für dich. Ich verdiene meinen Unterhalt.»

«Geh weg», rief er und scheuchte sie mit einer Geste von sich. «Und komm nicht wieder hierher.»

Sie wich zurück, raffte ihren zerrissenen Kittel zusammen. Er hob drohend seine Hand. Da drehte sie sich um und rannte mit fliegenden Füßen über den Strand, wurde kleiner und kleiner, bis ihre Gestalt in der Entfernung verschwand.

Als Wayland gehen wollte, folgte ihm der Hund nicht. Stattdessen blieb er liegen, den Kopf auf die Pfoten gebettet, mit hängenden Ohren.

«Keine Widerrede mehr», ermahnte ihn Wayland.

XIV

Es folgten Tage der Arbeit und des Abwartens. Am dritten Abend blieb Raul bis zum Dunkelwerden an der Küste, doch Snorri tauchte nicht auf. Und auch am nächsten Tag nicht. Diese Nacht, die sie in ratloser Ungewissheit verbrachten, war der Tiefpunkt ihres Aufenthalts auf der Insel. Wayland war froh, dass er am nächsten Morgen Wache hatte und von der Insel kam. Der Wind hatte aufgefrischt und auf West gedreht, er fuhr raschelnd durchs Schilf und trieb Regenwolken über das weite Mündungsgebiet des Wash. Die Wolken wurden immer dichter, und der schimmernde Lichtstreifen am Horizont verblasste, bis das Meer und der Himmel in trübem Grau miteinander verschmolzen.

Dann wurde der Hund mit einem Ruck aufmerksam, setzte sich auf und starrte über den Fluss. Wayland rief das Tier in die Deckung zurück und legte einen Pfeil ein. Kurz darauf erschien Snorri am anderen Ufer und spähte herüber. Er trug neue Kleidung und hatte sich Haar und Bart scheren lassen. Als er den Eindruck hatte, dass niemand in der Nähe war, ging er ins Schilf zurück und kam mit zwei schwer beladenen Maultieren wieder heraus.

Wayland trat vor. «Wir haben gedacht, du hättest uns im Stich gelassen.»

«Gnade!», rief Snorri und schlug sich die Hand auf die Brust. «Mir ist fast das Herz stehengeblieben.»

Wayland setzte mit dem Stechkahn über. «Warum hast du so lange gebraucht?»

«Ich war von früh bis spät auf den Beinen, hier etwas bestellt, dort nachgefragt. Es hat allein vier Tage gedauert, bis das Holz geschliffen und die Eisenteile geschmiedet waren. In ganz Norwich gab es nicht genügend Wolle für das Segel. Ich musste aus Yarmouth noch ein paar Ellen kommen lassen.» Snorri schlug auf einen dicken Sattelkorb. «Das hier ist noch nicht mal ein Zehntel der Ladung. Ich musste zwei Karren mieten, um alles zu transportieren.» Er deutete hinter sich. «Sie sind dahinten.»

«Suchen die Normannen noch nach uns?»

Snorri kicherte. «Sagen wir es mal so. Ich wäre jetzt zehn Pfund reicher, wenn ich euch verraten hätte.»

«Warum hast du es dann nicht gemacht?»

«Sieh mich nicht so an, Meister Wayland. Snorris Wort ist so gut wie ein Pfandbrief.»

Unter dem Einsatz aller Männer, Maultiere und Boote dauerte es den gesamten restlichen Tag, alles ins Lager zu bringen. Vallon und Snorri gingen die Sachen Stück für Stück durch – Holzplanken, Segeltuch, Tauwerk, Nieten, Tongeschirr, Nägel, Rohleder, Felle, Pech, Talg, Kohle, Leinöl, Terpentin, Schmalz, Rosshaar, Leim, Dechseln, Ahlen, Bohrer, ein Amboss, ein Blasebalg, Zangen, Hämmer, Hobel, Sägen, Kessel, Zuber, Fässer, Nadeln, Garn, Säcke …

Im Anschluss besprachen die beiden den Arbeitsablauf. «Wer passt die neuen Planken ein?», fragte Vallon.

«Das ist geregelt. Morgen kommt ein Zimmermann her.»

«Wir brauchen noch mehr Leute. Es ist Kräfteverschwendung, dass Raul und Wayland Wache stehen müssen.»

Snorri warf einen Blick zu den Leuten aus dem Marschland hinüber. «Ich rede mit ihnen.»

Am nächsten Morgen brachten die vier Marschbewohner, die in dem Wasserlauf gruben, zwei weitere Männer mit. Der Zimmermann war ein hochaufgeschossener, schlaksiger Kerl mit dem sanftmütigen Gesichtsausdruck eines Heiligen. Der Späher war ein kleiner, krummbeiniger Mann mit tiefliegenden Augen. «Er ist Vogelfänger», erläuterte Snorri. «Kennt die Marschen genauso gut wie ich. An dem kann sich keiner vorbeischleichen.»

Snorri und der Zimmermann machten sich mit den Dechseln an die Arbeit. Sie bearbeiteten die Bretter so, dass sie in das Loch zwischen den Schiffsplanken eingefügt werden konnten. Die Planken waren nicht gleichbleibend dick, zwei Zoll an der Wasserlinie, und bis zum Dollbord verjüngten sie sich auf den halben Durchmesser. Raul sah den beiden zu und zuckte dabei einige Male merklich zusammen, bis Snorri ihm seine Dechsel zuwarf. «Versuch’s doch selbst, wenn du glaubst, du kannst es besser.»

Raul nahm die Dechsel. «Aus dem Weg, du hässlicher Heide.» Er stellte sich über eine Planke, machte eine paar Probeschwünge mit der Dechsel und begann dann so sauber Späne abzuschlagen, als hätte er einen Hobel in der Hand.

«Das machst du nich zum ersten Mal.»

Raul spuckte aus. «Ich hab schon fast alles gemacht. Und manches sogar zweimal. Und dreimal nachts mit deiner Schwester.»

Um die Bretter der Krümmung der Querträger anzupassen, mussten sie in einer Holzkammer in Dampf erhitzt werden, bis sie sich biegen ließen. Heros Aufgabe dabei war, das Feuer unter dem Kessel in Gang zu halten, aus dem der Wasserdampf aufstieg. Nachdem sie die Bretter passend für das Loch zurechtgesägt hatten, schrägten die Zimmerleute die Enden ab, damit diese genau mit den vorhandenen Planken zusammengefügt werden konnten. Als die Plankenenden bündig abschlossen, verbanden sie die Hölzer mit Nieten und Metallplatten, die zuvor über einem Kohlefeuer rotglühend erhitzt und mit einer Mischung aus Teer, Leinöl und Terpentin überzogen worden waren. Richard kümmerte sich um den Kessel, in dem die Mischung siedete, und hatte außerdem die Aufgabe, die Planken mit dem Wasserschutz zu bestreichen.

Wayland nähte die Webstücke zu einem Segel zusammen. Jedes Webstück maß etwa sechs mal fünf Fuß, und dreißig davon ergaben ein Segel. Es dauerte nicht lange, bis er von der Nadel Blasen an den Fingern hatte.

Als es dämmerte, überprüfte Vallon, welche Fortschritte sie an diesem Tag gemacht hatten. Erst ein Plankengang war instand gesetzt. Hero hatte das Feuer ausgehen lassen, und Richard hatte die Teermischung für die Metallteile nicht nur einmal, sondern gleich zweimal in Brand gesetzt. Und Wayland hatte erst vier Webstücke zusammengenäht, obgleich seine Finger brannten wie Feuer.

«Ihr könnt nicht erwarten, dass alles gleich am ersten Tag klappt», sagte Snorri. «Morgen bringen die Marschenleute ein paar Näherinnen mit.»

Drei tauchten auf – zwei Frauen mittleren Alters und ein Mädchen mit Silberblick und der Figur einer Fruchtbarkeitsgöttin. Während sie arbeitete, sah das Mädchen immer wieder verstohlen zu Wayland hinüber und dehnte sich aufreizend.