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Mit monotoner Stimme fuhr Vallon fort. «Ein Monat verging. Zwei Monate. Eines Tages, nach vier Monaten der Gefangenschaft, kamen im Morgengrauen Wachsoldaten zu mir. Ohne ein Wort der Erklärung fesselten sie mich und warfen mich auf einen Karren. Wir verließen die Stadt in südliche Richtung, und um die Mittagszeit hatten wir mein neues Gefängnis erreicht. Der Ort hieß Cadrete – es war eine schroffe Festung auf einem steilen Hügel. Als wir durch das Tor fuhren, zogen mir die Männer der Eskorte eine Kapuze über den Kopf, sodass ich nichts mehr sehen konnte. Während sie mich zu meiner Zelle brachten, versuchte ich mir eine Vorstellung von der Festungsanlage zu machen. Zuerst führten sie mich auf einem ebenen, gepflasterten Boden bis weit in die Festung hinein. Ich ging neunzig Schritte, bis wir vor einer Tür stehen blieben, die mit einem Schloss und drei Riegeln gesichert war. Auf der anderen Seite gingen wir zwölf gemauerte Stufen hinunter. Dann blieben wir erneut stehen, und ich hörte, dass Lampen angezündet wurden und sich eine Falltür im Boden öffnete. Wachleute ließen eine Leiter durch die Falltür hinab. Dann führten sie mich zu der Leiter und befahlen mir hinunterzusteigen. Ich zählte achtundzwanzig Sprossen, bis ich den Boden erreichte. Dann nahmen mir die Wachen die Kapuze ab, stiegen die Leiter hinauf, zogen sie hinter sich nach oben, schlossen die Luke und ließen mich in völliger Dunkelheit zurück.» Vallon hielt inne. «Weißt du, was eine Oubliette ist?»

Hero erschauerte. «Ein Loch, in dem Gefangene dem Vergessen überlassen werden.»

«Es hatte die Form eines Bienenkorbs mit einer Falltür in der Decke zwanzig Fuß oberhalb des Bodens. Es gab keine andere Öffnung, und mein Wärter hielt die Falltür immer geschlossen, wenn er mir etwas zu essen brachte. Im Boden befand sich ein kleines Loch, das sich zu einer Grube erweiterte, die als Latrine und als Friedhof diente. Die Skelette ehemaliger Gefangener lagen verstreut in diesem Grab. Das habe ich an einem Abend gesehen, an dem mir mein Wärter meine Ration brachte. Seine Aufgabe bestand darin, mir einen Eimer mit Essen und einer Lampe herunterzulassen. Sobald ich gegessen hatte, zog der Wärter den Eimer und die Lampe wieder hinauf, sodass ich bis zum nächsten Tag wieder im Dunkeln saß. Ich gewöhnte mir an, möglichst langsam zu essen, um den Luxus dieses kleinen orangefarbenen Flämmchens länger genießen zu können. Einmal weigerte ich mich, die Lampe wieder nach oben zu schicken, und zur Strafe bekam ich tagelang nichts mehr zu essen und auch kein Licht. Wie viele Tage genau, kann ich nicht sagen. Abgesehen von dem täglichen Essensritual, hatte ich keine Möglichkeit festzustellen, wie die Zeit verging.»

«Dort habt Ihr Euch also mit der Ratte angefreundet», sagte Hero.

«Ich habe gern mit ihr gesprochen. Sie hatte so verlässliche Gewohnheiten, dass ich unruhig wurde, wenn sie zu spät kam. Ich machte mir Sorgen, dass sie gestorben sein könnte und ich vollkommen auf meine eigene Gesellschaft zurückgeworfen sein würde.»

«O Herr!»

Vallon richtete den Blick in unbestimmte Ferne. «Es ist mir gelungen, einen Steinsplitter von der Mauer zu lösen, mit dem ich dann einen Kalender in die Wand gekratzt habe. Die Wochen wurden zu Monaten. Mein Haar hing mir über den Rücken hinunter, und meine Fingernägel wurden zu Klauen. Außerdem plagten mich die Läuse.»

Hero kratzte sich unauffällig am Arm. «Ich wäre verrückt geworden. So etwas hätte ich nicht ausgehalten.»

«Ich war ein paarmal kurz davor, mich umzubringen. Noch heute frage ich mich, wie viele der Toten in der Grube sich selbst das Leben genommen hatten.» Vallon hielt inne und sprach dann entschlossen weiter. «Nachdem mir klargeworden war, dass ich aus Aquitanien keine Hilfe zu erwarten hatte, beschwor ich den Emir, bei König Sancho um Unterstützung für mich zu bitten und ihn daran zu erinnern, dass ich ihm und seinem Vater jahrelang treu gedient hatte. Nach etwa sieben Monaten der Haft brachte ein Diener des Emirs Sanchos Antwort. Der König hatte mir seine Gunst entzogen, ich stand nicht mehr unter seinem Schutz. Ihm war zugetragen worden, dass ich derjenige gewesen wäre, der in das Hoheitsgebiet des Emirs eingedrungen war. Roland hatte ihm den Verstand vergiftet.»

«Was für eine Schlange! Aber warum wurde sein Wort über Eures gestellt?»

«Roland war der Neffe des Herzogs. Seine Behauptungen würden immer mehr Gewicht haben als die eines Kommandeurs im mittleren Rang von bescheidener Herkunft. Vielleicht hatte sich Roland auch selbst davon überzeugt, dass seine Version der Geschichte stimmte. Ich habe gelernt, dass ein Mann, der andere betrügen will, zuerst sich selbst betrügen muss. Ich weiß bis heute nicht, wie er es angestellt hat. Ich hatte keine Zeit, es herauszufinden, als ich endlich entkam.»

«Aber Ihr seid entkommen. Dafür sei Gott gedankt.»

Vallon massierte sich die Rippen. «Ein weiterer Monat verging, und dann wurde mein Bewacher durch einen anderen ersetzt. Mein neuer Gefängniswärter war ein älterer Mann mit einer Schwäche für Wein. Er erfüllte seine Pflichten eher nachlässig und brachte mir meine Tagesration, wann immer es ihm passte. Einmal ließ er dabei die Falltür offen, und danach machte er sich nie mehr die Mühe, sie zu schließen. Warum auch sollte er sich diese Umstände machen? Die Falltür war für mich genauso unerreichbar wie der Himmel. Dieses Fehlverhalten gab mir Hoffnung. Die Kammer oben besaß ein Fenster, das genügend Licht hereinließ, um die Dunkelheit unten bei mir etwas zu erhellen. Dass eine Treppe von der Kammer zu einer verriegelten Tür führte, wusste ich schon. Mein Wärter ließ auch diese Tür oft aufstehen, wenn er mir meine karge Ration brachte. In dieser Zeit hörte ich manchmal, wie dort vor der Tür Säcke und Fässer auf Karren geladen wurden. Es war klar, dass der Raum dahinter eine Lagerhalle oder ein Warendepot sein musste, von dem aus man in den Hof der Festung kam.

Aber wie sollte ich es bis dorthin schaffen? Die Leiter war die einzige Möglichkeit, und meine Wärter hatten sie erst einmal herabgelassen, seit sie mich in mein Gefängnis gebracht hatten. Ich beschloss, die Nachlässigkeit meines Wärters zu testen. Als er mir das nächste Mal etwas zu essen brachte, tat ich so, als wäre ich krank. Aber er verhöhnte mich nur und verschwand. Am nächsten Tag gab ich vor, bewusstlos oder tot zu sein. Er war ein schludriger Wärter, aber doch nicht so pflichtvergessen, dass er die Leiter allein hinuntergestiegen wäre. Er rief zwei Soldaten zur Bewachung der Falltür, während er hinabkletterte, um nach mir zu sehen. Nach beinahe einem Jahr in diesem Kerker war ich so ausgemergelt, dass mein Wärter schnell zu der Überzeugung kam, ich würde bald den Skeletten in der Grube Gesellschaft leisten. Ich hatte sogar ein wenig Sorge, dass er mir selbst den Garaus machen und mich in das Grab werfen würde. Aber schließlich kletterte er wieder nach oben.

Ich sah ihm aus dem Augenwinkel nach. Er zog die Leiter hinauf. Ich war sicher, dass er – weil die beiden anderen Soldaten dabei waren – die Falltür schließen würde. Doch er tat es nicht. Erst ließ er das Ende der Leiter über der Öffnung liegen, dann schob er es mit dem Fuß ein Stückchen weg. Ich wusste, dass das Leiterende höchstens einen Fuß oder zwei vom Rand der Öffnung entfernt lag.

Ich erkläre besser, was das für eine Leiter war. Sie war ungefähr fünfundzwanzig Fuß lang und hatte eine vierkantige Mittelstrebe von etwa sechs oder sieben Zoll Dicke. Die Mittelstrebe besaß Bohrlöcher, durch die man die Sprossen geschoben hatte. Sobald ich gehört hatte, wie an der äußeren Tür die Riegel vorgelegt worden waren, machte ich mich daran, mit einem Steinsplitter meine Decken in Streifen zu schneiden. Ich brauchte bis weit nach der Mittagszeit, um ein Seil zusammenzuknoten, das lang genug war, um bis zu der Falltür und etwas darüber hinauszureichen. An einem Ende dieses Seils knotete ich den Stein an.»